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FM4 Bühne beim Donauinselfest 2023: RAF Camora

Patrick Münnich

festivalradio

FM4 am Donauinselfest 2023 mit RAF Camora, RAHEL, MOLA, Paula Hartmann & GReeeN

Das Donauinselfest feiert seine vierzigste Ausgabe und am ersten Tag durfte FM4 die Festbühne bespielen. Schon im Vorfeld war der elephant on the stage RAF Camora, einer der größten deutschsprachigen Acts, Wahl-Berliner und Wiener.

Von Dalia Ahmed

Angefangen hat am Freitag alles mit dem Regen. Statt viel zu heiß, war es fast den ganzen Abend verregnet und kühl. Das hat aber die Die-hard-Fans von RAF Camora nicht davon abgehalten, schon vor dem ersten Act vor der Bühne Position zu beziehen. Und auch die Besucher*innen, die für die anderen Acts gekommen sind, wurden pünktlich ab 17 Uhr mehr und mehr.

RAHEL hat die Bühne eröffnet, die Künstlerin, die 2023 auf der Shortlist für den FM4 Award beim Amadeus war und sehr schönen, herzlichen Indie Pop macht. Bei ihrem Auftritt mit vollständiger Band gab es viele schöne Ansagen, „Meine Damen und Herr*innen“ oder „Beim nächsten Lied bitte ganz laut und ganz falsch mitsingen“ und vor allem gute Vibes. Die, die sich inmitten des Wetters vor die FM4 Bühne gewagt hatten, hatten eine schöne Zeit beim Tanzen im Regen. Und dann war es auch schon vorbei und RAHEL verließ die Bühne mit den Worten „Ich bin großer Fan von allen Frauen, die heute hier spielen“.

MOLA kommen aus München, lieben aber Wien ganz arg sehr. Das haben an dem Tag alle Acts immer und immer wieder betont. Dem Gitarristen der Band hat die Stadt auch so gut gefallen, dass er direkt hergezogen ist. Frontfrau Isabella Streifeneder bedauert gleich zu Beginn, dass es nicht mehr so stark regnet, weil sie sich auf ein Setting wie bei Falco 1993 gefreut hätte. Einer der berühmtesten DiF-Auftritte, bei dem es mittendrin gewitterte. Die Musik und der Auftritt von MOLA haben sich gut mit dem Wetter und der Stimmung des immer größer werdenden Publikums ergänzt. Es gab „Lalala“-Gesang und Tanzen in den Pfützen. Sogar ein „Wiener Indie Moshpit“ wurde von Isabella Streifeneder instruiert.

Paula Hartmann in der ORF TvThek

Beim Umbau zwischen MOLA und Paula Hartmann gab es die ersten „187“-Schreichöre, die sich aber auf die Pause beschränkt haben. Als dann Paula Hartmann dran war, waren die Besucher*innen, auch die, die dezidiert nur wegen RAF Camora da waren, relativ geschlossen voll dabei. Die Berliner Schauspielerin und Musikerin startete ihr Set mit dem Intro von „Still Dre“ und einer Bühne mit rauchendem Schornstein Prop mitten drauf. Außerdem gab es das Versprechen, dass sie zu uns runterkommen würde, wenn es nochmal stark zu regnen beginnen sollte, damit „wir alle gleich viel leiden“. Als es dann tatsächlich stärker geregnet hat, ist Paula Hartmann direkt in die ersten Reihen rein.

Die gute Stimmung erlebte einen kleinen Dämpfer, als sich Paula Hartmann beim Keyboard Intro verspielt hat und sie die Enttäuschung darüber dann nicht mehr so recht loslassen wollte. Dem Publikum war es aber ziemlich egal. Hartmann meinte: „Ich hoffe, ihr verzeiht mir.“ Und es wurde ihr aufmunternd zugejubelt. Musikalisch wurde es härter und elektronischer. Auch thematisch, bei „Geruch von Koks“, ging es zum ersten, aber nicht letzten Mal an diesem Abend auf der Bühne um Kokain und bei „Kugeln im Lauf“ sollten alle ihre Mittelfinger in die Luft halten. Zum Schluss kündigte Paula Hartmann ihren Song „Drei Sekunden“, in dem es um die permanente Bedrohung geht, der Frauen und weiblich gelesene Personen ausgesetzt sind, mit den Worten „Fick dich, Till Lindemann“ an. Nach dem Song bedankte sich Hartmann bei „allen Opfern, die was gesagt haben“.

Bei GReeeN ging es dann fast ausschließlich ums Kiffen. Ein bisschen Gesellschaftskritik gab es auch, die hatte ebenfalls mit dem Umgang mit Marihuanakonsum zu tun. Der Mannheimer Rapper leitete das Publikum zu einem „Buuh“-Ruf gegen die Polizei an und kritisierte die polizeilichen Methoden der Leibesvisitation, wobei auch Körperöffnungen durchsucht werden. Insgesamt war GReeeN sehr auf eine positive Stimmung bedacht. Immer wieder wurde das Publikum als „meine Lieben“ oder „Glückskinder“ angesprochen. Auch er versicherte dem Publikum seine Liebe zur Stadt: „Wenn ich sag Schönes, sagt ihr Wien“. GReeeN hat um 2020 in Wien gewohnt und nutzte die Donauinsel als Zufluchtsort während der Lockdowns. Am Ende seines Auftritts hatte er ein vorher teils etwas unmotiviertes Publikum fast vollständig mit seiner unverbesserlichen guten Laune, Reggae, Dub Beats und Tonnen an Cannabis-Referenzen für sich gewonnen.

GReeeN in der ORF TvThek

Dann war es Zeit für den Headliner. Eine nicht unumstrittene Figur. RAF Camora ist ein Rapper, der auf eine für uns verständliche Weise, da auf Deutsch, immer wieder sexistische Textzeilen rappt. Mainstream Rap und bestimmte feministische Strömungen scheinen überhaupt seit jeher im Clinch zu sein.

Publikum vor der FM4 Bühne

Patrick Münnich

Wenn man den Ursprung von Rap und Hip Hop vor 50 Jahren in der Bronx in New York bedenkt, ist Rap eine afro-amerikanische Erfindung, die dazu dienen sollte, gesellschaftliche Missstände anzusprechen und den diskriminierten Menschen eine Möglichkeit des Widerstands und der Regeneration durch das Feiern zu ermöglichen. Hip Hop war von Anfang an intersektional und behandelte die Lebenssituation von Menschen, die aufgrund ihres sozio-ökonomischen Status innerhalb eines rassistischen Systems diskriminiert wurden und werden.

Im Kontext des Deutschrap und vor allem des Mainstream-Deutschrap wurde Hip Hop aus den USA übernommen, aber oft von seiner afro-amerikanischen Geschichte getrennt. Die Komponente der Gesellschaftskritik und einen Impuls, gesellschaftlich schlechter gestellten Menschen und ausgegrenzten Kindern von Migrant*innen als Inspiration und Ermunterung zu dienen, hat der Deutschrap im Mainstream aber behalten.

RAF Camoras eigener Background ist zwar nicht wie der vieler seiner Fans. Er ist als Kind einer französischen Mutter und eines österreichischen Vaters zuerst in der Schweiz und dann in Wien aufgewachsen. Aber viele sehen ihn als Identifikationsfigur. Mit 120.000 Besucher*innen wurde gerechnet und während des Auftritts wurde von Donauinselfestseite auf Social Media dazu aufgerufen, nicht mehr zum Festival zu kommen, da schon viele Besucher*innen vor Ort waren.

RAF Camora in der ORF TvThek

Als RAF Camora die FM4 Bühne betritt, werden im Publikum zum Beispiel die Flaggen Bosniens und Ägyptens hochgehalten. Es steht insgesamt ein Publikum vor der Bühne, das bisher kaum von FM4 (und vielen anderen Medien) abgeholt wurde. Ein Publikum, das es wie andere auch verdient, die Aufmerksamkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu bekommen und dass bei Großveranstaltungen der Stadt ihre Acts ebenfalls einen Platz auf der Bühne haben.

Kritik an RAF Camora und an manchen seiner Texte ist dennoch berechtigt, wobei seine Texte auch recht durchmischt sind. Ja, es geht um „Bitches“, die klar gemacht werden, aber mit beispielsweise „Andere Liga“ oder „Adriana“ gibt es auch einen etwas positiveren Umgang mit Frauen.

Wo er in unentschuldbares Territorium gerät, ist bei seinem engen Kontakt zur 187 Straßenbande. Während des Auftritts kommt Bonez MC für einige Lieder auf die Bühne und leitet das Publikum zu einem „Free Gzuz“-Chor an. Rapper Gzuz ist - wie Bonez MC - Teil der 187 Straßenbande und darf Deutschland aktuell nicht verlassen, weil er sich wegen Körperverletzung und Verstößen gegen das Sprengstoff- und Waffengesetz im offenen Vollzug befindet. Einen Fan hat er ins Gesicht geschlagen, als sie ihn um ein Selfie bat. Ihm wurde schon mehrfach Gewalt gegen Frauen vorgeworfen.

Dieser Gzuz wurde dann beim Track „Mörder“ auf den großen Screens gezeigt, wie er u.a. die Zeilen „Wichs ihr in die Fresse und frag sie, wie’s schmeckt“ rappt. Ein Moment, wo die vielen Ebenen, die von solchen Hip-Hop-Kunstfiguren, die Aspekte unserer Gesellschaft abbilden und hervorheben, nicht mehr nur als Diskurs-Momente gesehen werden können, sondern Teil des Problems werden.

Es ist eine Gratwanderung zwischen der gewohnten Misogynie und Gewaltverherrlichung, die über alle Musikgenres hinweg historisch verankert ist, und dem unangenehmen Gefühl, hier Grenzen zu überschreiten, die eine reine Auseinandersetzung mit dem Schaffen nicht mehr möglich machen. Auch Yung Hurn, um den immer wieder unterschiedliche Vorwürfe kreisen, wurde beim neuen Track „Wien“ auf die Bühne geholt, um seinen Part zu singen.

Als Mainstream-Deutschrap-Fan gehört ein differenzierter Konsum dieser Kunst für viele zur Tagesordnung. Auch jungen Menschen, die solchen Hip Hop hören, sollte die Möglichkeit eines reflektierten Umgangs mit den Texten und den Personas der Rapstars zugetraut werden.

Beim Auftritt von RAF Camora gab es sehr viel auf der Bühne. Eine mitreißende Show, sein neues Album „XV“, Motorroller, Typen in Dinokostümen, viel Pyrotechnik, die Gloriette vom Schlosspark Schönbrunn mit „XV“-Emblem am Screen, die Stufen des Albumcovers zu „Palmen aus Plastik“, Coupé Decalé Beats aus Frankreich mit Wurzeln in der Elfenbeinküste, afro-karibische Dancehall Beats, jede Menge (und ausschließlich) Männer, die auf der Bühne getanzt haben, und eben auch diesen Zwiespalt zwischen der Identifikationsmöglichkeit für viele, die sonst kaum diese Form der Repräsentation auf den großen Bühnen Österreichs geboten bekommen, und dem Feiern von Inhalten und Künstlern, die Misogynie hochhalten und zelebrieren. Was übrig bleibt, ist ein Diskurs, der weiter geführt werden muss, solange ein Patriarchat besteht. Innerhalb und außerhalb des Hip Hop und auch innerhalb und außerhalb des Musikjournalismus und der Musikrezeption.

Publikum vor der FM4 Bühne macht V (wie Vienna) mit den Händen

Patrick Münnich

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