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Buchcover "Der Kaninchenstall" mit Foto einer bunten Hausfassade

Kiepenheuer&Witsch

Tess Gunty und ihr Debütroman „Der Kaninchenstall“

Die US-Amerikanerin Tess Gunty bekam letztes Jahr für ihren Debütroman „The Rabbit Hutch“ gleich einen wichtigen nordamerikanischen Literaturpreis. Jetzt ist das Buch, das in einem heruntergekommenen Apartment-Komplex im Mittleren Westen der USA spielt, auf Deutsch erschienen. „Der Kaninchenstall“ ist eine schonungslose Bestandsaufnahme des zeitgenössischen Amerika.

Von Eva Umbauer

„Während Blandines Schritte im Treppenhaus des Kaninchenstalls verhallen, klappt Todd den Laptop auf. (...) Im Wohnzimmer herrscht ein schummriges Dämmerungsgrau, und Todd spürt, dass sich draußen ein Sturm zusammenzieht…“

Der Kaninchenstall ist in diesem Fall eine Wohnanlage, die einmal für recht gutes und leistbares Wohnen stand. La Lapiniere Affordable Housing Complex, so der klingende und französisch-inspirierte Name der Anlage. Dieser Kaninchenstall befindet sich an einem fiktiven Ort im US-Bundesstaat Indiana, im sogenannten Midwest der Vereinigten Staaten. Der Mittlere Westen ist eine Gegend deren Name im 19. Jahrhundert aus dem Bedürfnis heraus entstanden ist, sich von der US-Ostküste abzugrenzen, daher „Mittlerer Westen“, weil er ja nicht im Westen der USA liegt.

" I think of this as a novel about loneliness and community, entrapment and freedom."

US-Bundesstaaten wie Ohio, Michigan oder eben Indiana zählen zum Midwest. Früher boomte die Industrie dort, vor allem die Autoindustrie, aber das war einmal. Heute sind diese Gegenden, die die älteste und größte Industrieregion der USA waren, eher oder komplett heruntergekommen und werden oft als „Rust Belt“ bezeichnet - der „Rostgürtel“ der USA. Drogen, Medikamentenmissbrauch, der „White Trash“ - also die weiße Unterschicht -, der selbstverständlich Trump gewählt hat. Das und noch mehr wird über den „Rust Belt“ und seine Menschen gesagt, wie Autorin Tess Gunty in Interviews zu ihrem Roman erzählt.

Buchcover "Der Kaninchenstall" mit Foto einer bunten Hausfassade

Kiepenheuer&Witsch

„Der Kaninchenstall“ von Tess Gunty ist von Sophie Zeitz für den Verlag Kiepenheuer & Witsch in das Deutsche übersetzt worden. Die englischsprachige Originalausgabe heißt „The Rabbit Hutch“ und ist letztes Jahr erschienen. Die Zeichnungen im Buch kommen übrigens vom Bruder der Autorin, dem Indie-Folk-Musiker Nicholas Gunty.

Die Realität ist aber viel komplexer, und die Menschen dort viel diverser als meist angenommen. Tess Gunty mag die Menschen und den Ort, an dem diese in ihrem Buch leben. Alles in ihrem preisgekrönten Roman „Der Kaninchenstall“ ist inspiriert von ihrer Heimatstadt South Bend, Indiana, auch wenn Tess Gunty in New York studiert hat und heute in Los Angeles lebt.

„The rust belt is home to millions of people, and yet I think, it´s vastly underrepresented in the American imagination. And I wanted to make room for its beauty, its humor and its resilience alongside the economic pain in my novel. I think of this as a novel about loneliness and community, entrapment and freedom. And at its centre is the question, ’What do we owe each other? What do we owe our neighbors, ourselves, strangers, past and future generations, the non-human inhabitants of this planet?“

Da ist Tiffany, da sind Jack und Malik, oder Joan, die mit mehreren künstlichen Pflanzen im ersten Stock vom „Kaninchenstall“ lebt, und da ist Blandine Watkins, eine junge Frau, die gerade einmal 18 Jahre alt ist. Blandine ist die Hauptfigur in „Der Kaninchenstall“. Sie war ein Pflegekind, ging zur Highschool und wollte aufs College, aber dann war da die Affäre mit einem Lehrer und sie musste die Schule verlassen. Blandine ist wie besessen von Hildegard von Bingen, der deutschen Mystikerin aus dem Mittelalter, und hält die legendäre Klostervorsteherin, Dichterin, Komponistin, und überhaupt Universalgelehrte für eine Freundin. Blandine ist ein Freigeist und eine Rebellin.

„Malik ignorierte mich und sang die nächste Strophe. ‚You don´t have a phone, and I think that is so damn bold, and your hair is like a moonrise, yeah, and your hair is like white gold. Blandine, baby, Blondie, you´re a weirdo, yeah, it´s true, but my God, you smell like roses, and girl, there´s no one else like you.‘ Malik hörte auf zu klampfen und strahlte Todd an. ‚Das ist erst mal alles. Ich arbeite noch dran. Die Tonwechsel und so. Aber wie findest du es?‘ Irgendwie haute der Rhythmus nicht hin.“

Verdichtet, modern, smart

Wir spähen durch die Fenster vom Kaninchenstall, klopfen an die Türen in diesem Wohnkomplex und lauschen durch die dünnen Wände, was es alles so zu hören gibt. Manches ist verstörend, vieles ist skurril oder zumindest etwas exzentrisch. Manchmal sind die Dinge ein wenig wirr, nicht wirklich zusammenhängend, oder einfach nur, als ob schlichtweg zu viel und zu schnell passieren würde - an nur drei Tagen im Juli.

„Der Kaninchenstall“ ist ein dichter Roman, ein tragischer, aber auch ein witziger. Komödie und Tragödie gehören für Tess Gunty ja irgendwie immer zusammen. „Der Kaninchenstall“ ist ein modernes, smartes Buch, das Themen wie Leere anspricht, Einsamkeit und Gemeinschaft, Nachbarschaft, aber auch etwa die Unterhaltungsindustrie.

Wer US-Autorinnen wie Jennifer Egan oder Rachel Kushner mag, könnte auch Gefallen finden an „Der Kaninchenstall“ von Tess Gunty, die fünf Jahre lang an diesem eindrucksvollen Debütroman geschrieben hat und von dem sie sich wünscht, wenn wir ihn lesen „that you laugh and reflect, and that that you feel less alone.“

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