Snippetcore: Warum werden Songs immer kürzer?
Eine Kolumne von Verena Bogner
1:50 Minuten: So lang ist “Barbie World”, der neue Banger von Nicki Minaj und Ice Spice, den sie zum Soundtrack für den “Barbie”-Film von Greta Gerwig beigesteuert haben. Ein ziemlich kurzes Vergnügen – aber bei weitem nicht der einzige Song, der stellvertretend für die Entwicklung der letzten Jahre steht, dass Songs tendenziell immer kürzer werden.
(Ja, Ausnahmen wie Taylor Swifts zehnminütige Version von “All Too Well” - übrigens der längste Song, der jemals die Billboard Hot 100 angeführt hat - bestätigen natürlich die Regel.) Aber weiter im Text: Wie so oft dürfen wir TikTok für den Vormarsch von Snippetcore verantwortlich machen, wie “Rolling Stone” die neue Art tauft, Musik zu konsumieren. Dass man nicht mal einen ganzen Song braucht, um auf TikTok viral zu gehen, bewies erst vor wenigen Monaten SZA mit ihrem Snippet “Big Boys”, das sie eigentlich nur für ein “Saturday Night Live”-Video eingesungen hatte, von dem aber immer noch viele denken, dass es sich dabei um einen tatsächlichen Song handle.
Auf TikTok hat niemand Zeit für die klassischen Dreiminüter – und so trenden hier vor allem kurze Ausschnitte aus Songs, die 20 bis 30 Sekunden lang sind. Aus diesem Grund passen sich schließlich viele Artists, die vor allem eine jüngere Zielgruppe ansprechen wollen, an die neue Aufmerksamkeitslogik der Short-Form-Videos an und füttern so den Algorithmus. Ist eigentlich nur logisch, denn jede*r von uns, der gern durch TikTok scrollt, weiß, dass wir innerhalb von wenigen Sekunden entscheiden, ob wir einen Song fühlen – oder eben nicht.
Die unangefochtene Snippet-Meisterin ist derzeit wohl Ice Spice, die das Internet schon vor “Barbie World” mit kleinen Häppchen versorgte, die ihren Hype snackable machen. In einem Interview erzählte sie, dass sie im Schaffensprozess um ihren Hit “Munch” einfach nur schnell einen Song machen wollte. Noch mehr: So schnell wie möglich. Und offenbar lautet die Devise in weiterer Konsequenz auch: So kurz wie möglich.
Der Professor Pascal Wallisch arbeitet am NYU Center for Data Science und beschäftigt sich in seiner Forschung unter anderem mit dem Vormarsch von Song-Snippets und damit einhergehend immer kürzer werdenden Songs: “Die Frage ist, warum Songs so lang sind, wenn sie es nicht sein müssen. Die TikTok-Generation schlägt aus dieser Frage Kapital. Meine Einschätzung ist, dass Songs kürzer werden, man braucht für TikTok 30 Sekunden oder weniger. Bei Musik geht es nicht um die Noten. Es geht um die Vibes.”
Die Social-Media-Liebe zu Snippets kann Artists aber auch zum Verhängnis werden: Sängerin Kim Petras kündigte vor dem Sommer immer wieder hartnäckig ihre Nicki-Minaj-Kollabo “Alone” mit einem Snippet an, in dem ein bekanntes Eurodance-Sample aus dem Song “Better Off Alone” zu hören war und das ihre Fans glauben ließ, dass sie hier mit Sicherheit der Hit des Sommers 2023 erwarte.
@kimpetras “Alone” feat. @nickiminaj ♬ Kim Petras x Nicki Minaj _ Alone - kim petras
Als “Alone” schließlich in voller Länge zu hören war, waren die Fans enttäuscht: Der Eurodance-Vibe war nur im Chorus zu finden, ansonsten war der Song geprägt von einem eher langsamen Trap-Beat.
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Die teils wütenden Fans fühlten sich von dem Snippet verarscht – und forderten Gerechtigkeit. Und die sollten sie auch bekommen: Prompt wurde mit “Alone - 2.0” eine Version veröffentlicht, die ihren Ansprüchen (und dem Snippet) gerecht wurde. Und das ist das Gefährliche am Snippetcore: Irgendwann müssen Artists die Vibes, die sie in ihren Snippets versprechen, auch einlösen.
Publiziert am 11.07.2023
