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Machtmissbrauch und Struktur

„Vertrauensübung“ ist der Titel eines neuen Romans aus den USA, der sich beim Lesen als Stunt erweist. Jetzt ist das Buch von Susan Choi auf Deutsch erschienen. Es geht um Macht und Missbrauch, Grenzüberschreitungen an einer Highschool und die Frage, wer die Deutungshoheit über eine Geschichte hat.

Von Maria Motter

Mr. Kingsley erklärt Teenagern, das Ego müsse erst auseinandergenommen und dann rekonstruiert werden, und sie krabbeln am Boden und suchen den Schauspiellehrer bald einzeln in seinem Büro auf. „Vertrauensübung“ von Susan Choi spielt zu Beginn an einer Highschool für Kunst in den 1980er Jahren irgendwo in den USA. Die Geschichte erzählt von Macht und Missbrauch, Grenzüberschreitungen und Konkurrenz, allem voran von der Offenheit, Lust und Verwundbarkeit junger Leute.

Teenager in der Schauspielklasse bekommen von einem charismatischen und manipulativen Mr. Kingsley eigenartige Übungen. Sie müssen einander im Dunkeln ertasten oder eine Aussage bis zur Erschöpfung wiederholen. Da sind Sarah mit ihren bestickten Jeans und Morrissey-Fanshirts und einer immerzu arbeitenden Mutter und David aus privilegiertem Haus. Sie sind 15 und werden ein Paar, das ist für alle augenscheinlich.

Die US-amerikanische Autorin Susan Choi trägt Bob und lächelt.

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„Wie schon so oft waren sie sich alle unangenehm ihres Unterleibs bewusst, als sie sich im Schneidersitz niederließen und ihnen vom Kontakt mit dem eiskalten Linoleum der Hintern taub wurde“, schreibt Susan Choi und der ganze erste Teil von „Vertrauensübung“ erinnert an Sally Rooneys Bestseller „Normale Menschen“. Teenagersex und Kränkungen, manipulatives Verhalten und schließlich eine Vergewaltigung bestimmen im ersten Teil den Teenageralltag.

„Eins muss ich doch noch einmal klarstellen: ‚Zu viel‘ Ego gibt es nicht – solange wir Kontrolle darüber haben."
Kontrolle über das eigene Ich: Sie fürchteten alle, die nicht zu haben.

Das Gemälde "Ground Boots" von Mark Tennant am Cover von Susan Chois Roman "Vertrauensübung": Eine junge Frau in Stiefeln sitzt lässig auf einem Boden im Flur.

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"Vertrauensübung“ von Susan Choi ist 2023 in der deutschsprachigen Übersetzung von Tanja Handels und Katharina Martl im Verlag Kjona erschienen. Am Cover ist eines der Gemälde von Mark Tennant: „Ground Boots“.

Dann folgen der zweite und dritte Teil. Der Roman dreht völlig ab und macht gewaltige Sprünge. Auch, weil die Autorin Susan Choi das Buch mitten in der #MeToo-Bewegung fertiggestellt hat. Im zweiten Teil meldet sich die Erzählstimme einer ehemaligen Schülerin der Highschool, der erste Teil erweist sich als Roman, und das ist der geringste Spoiler zu dem Buch. Choi wirft mit „Vertrauensübung“ die Frage auf, wer eigentlich die Hoheit über eine Geschichte hat und wer sie haben sollte.

Spoiler-Alarm

Der Titel ist Programm. Der Roman liest sich nicht leicht, doch wer Sally Rooneys eigenwillig unbeteiligten Erzählstil mochte, wird damit etwas anfangen können. „Vertrauensübung“ ist ein teils arg selbstverliebtes Spiel mit Fiktion, das man bereits aus unterhaltsamen Krimis kennt. Die erzählte Geschichte in einem Roman wird im Roman angeprangert. Das nennt manch ein Kritiker „meisterhaft verwoben“ - es ist das Matrioschka-Prinzip: In der Fiktion steckt noch eine Fiktion, und was ist jetzt bitteschön wahr, und wer erzählt eigentlich, und gibt es Übereinstimmungen zwischen all diesen fiktiven Figuren. Über das Ende von Susan Chois fünftem Roman wird im Netz seit dem Erscheinen diskutiert und gerätselt.

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