FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Die Seebühne beim Popfest von Weitem

Franz Reiterer

festivalradio

„Popfest, atmet mit mir!“

Sofie Royer, Wandl, Buntspecht und viele mehr: Das Popfest tastet sich an Tag drei vom Lo-Fi-Dream zur Tanz-Ekstase heran.

Von Melissa Erhardt

Wenn man es wirklich durchzieht, das Popfest, also in guter Festivalmanier wirklich jeden Tag am Start ist, dann spürt man am dritten Tag schon so ein leichtes Ziehen in den Knochen. Dann ist der Kopf schon ein bisschen müde und funktioniert nicht mehr ganz so schnell, wie man es vielleicht gerne hätte, und die Beine tragen einen auch nicht mehr so locker-flockig durch die Gegend wie sonst immer. Aber: „It’s okay to be tired“, sagt Dorian Concept, Co-Kurator vom Popfest bei der Eröffnung der Seebühne am Samstag, und vielleicht sollten wir das einfach mal so stehen lassen.

Es ist jedenfalls Tag drei, die Sonne scheint, die FM4 Ente ist ready und die österreichische Musikszene ist es erst recht.

Den Anfang an diesem dritten Tag am Popfest macht ein Gespenst. Also, ein tatsächliches Gespenst (es soll Francesca heißen) und Ein Gespenst, das Duo (bestehend aus Autor, Poetry Slammer und Musiker Elias Hirschl und Rapper und Produzenten Christoph Hütmannsberger), das nur bei den Smiths etwas fühlt, obwohl es ja weiß, dass Morrissey ein Arschloch ist. Klingelt’s?

Ein Gespenst, das sei eine Band, „die man auch lesen kann“, stellt Co-Kuratorin Anna Mabo die beiden auf der Seebühne vor und soll damit recht behalten. „Mach dich nicht damit verrückt / Es geht einen Schritt vor und zwei zurück / Und das Fließband läuft und du bleibst stehen / Die Erde muss sich weiterdrehen“, heißt es da etwa in „Ein deutsches Wort“. Das ist poetischer Post-Punk, das Chaos der Welt verpackt in ironischen Texten, vorgetragen in seiner most stripped-down Version, mit E-Gitarre und MacBook. Es ist relativ früh und die Crowd ist noch überschaubar, aber Hirschl und Hütmannsberger sind gut drauf und wir sind es auch.

Einen ganz anderen Vibe bringt Wandl, der nächste Act, auf die Seebühne: Vocals, die vor Behutsamkeit nur so vibrieren, ein verschlafener Lo-Fi-Sound, der in der Nachmittagssonne glänzt, dazu ein Windspiel, Rasseln und die ekstatische Performance einer absurd guten, frischen Band. Als „King of Popfest“ wird sich Wandl zu Beginn seines Sets eher scherzhaft betiteln, da steckt aber womöglich mehr Wahrheit darin, als ihm recht sein könnte. Man könnte jetzt Vergleiche anstellen à la „der österreichische James Blake“, man könnte seine Musik aber auch einfach für ihn sprechen lassen.

Es ist die erste Show, die der österreichische Musiker und Produzent seit drei Jahren in Wien spielt, die erste Liveshow mit Band überhaupt. Wer Wandl in den letzten Jahren verfolgt hat, weiß: Leichte Kost ist das nicht. Da wird viel verpackt, die drückende Schwermut nimmt großen Raum ein in seiner Musik, unerwünschte Gefühle werden nicht ausgespart, sondern angegangen.

Das schlägt sich ironischerweise mit dem generellen „Vibe“ der Musik, der inhärenten Softness, die Wandl auch am Samstag rüberbringt. Das ist Introspektion, die dann aber so smooth klingt, dass man sie fast wieder vergisst, die Schwere, die da irgendwo tief drinnen existiert. Vielleicht auch deshalb die meditativen Atemübungen zwischendurch, zum Rekalibrieren quasi. Und natürlich die umso klareren Worte, bevor er „Break Down (The Feeling)“ von seiner neuesten Platte „Body Memory“ anspielt. Es sei dieses Gefühl, „das schlummert, das in der Luft liegt, aber oft nicht ausgesprochen wird“, sagt er, bevor er ein kleines Plädoyer für mehr Psychotherapie hält und der Initiative „Change for the Youth“ ein fettes Shoutout gibt. Selfcare war nie besser.

„Wien, bitte feierts Sofie Royer, sie is eure neue Sissi, ihr checkts es nur net“, schreibt jemand auf Instagram über Sofie Royer, den nächsten Act des Abends, und das ist eine Watsche für Wien und ein großartiges Kompliment an Sofie Royer gleichzeitig.

Ihr Set am Popfest eröffnet die Musikerin österreichisch-iranischer Herkunft mit dem erst drei Wochen alten, noch unveröffentlichten „Paris is Burning“: Sie in einem hellblau schimmernden Abendkleid, ihre Bandmitglieder in weißen Hemden und schwarzen Hosen. So, wie sie da auf der Bühne stehen, direkt vor der Karlskirche, wirken die vier wie hergebeamt aus einer anderen Zeit, aus einer Parallelwelt, vielleicht aus dem Frankreich der 60er Jahre, vielleicht aus Sofies Traumwelt, in der alles möglich ist. Mühelos und als wären die Instrumente eh alle dieselben, wechselt sie im Drei-Minuten-Takt zwischen Violine und Piano, bekommt rote Rosen auf die Bühne geworfen, die Karlskirche malerisch hinter ihr.

Es ist eigentlich gar nicht zu glauben, dass es das Wiener Livedebüt Royers ist, ihr drittes Konzert in Österreich überhaupt. Dabei hat sie in Paris eben erst als Support für Lana del Rey gespielt (mit, man munkelt, genau eineinhalb Tagen Vorbereitungszeit). Vielleicht hat Sofie Royers Gespür, gute Popsongs zu schreiben, genau damit zu tun, mit ihrem dynamischen Lebensentwurf irgendwo zwischen diesen ganzen Städten rund um den Globus: der warme Retro-Sound ihres Geburtsortes Kalifornien, die wienerische Wurschtigkeit, die sich zwischen die Zeilen quetscht und dort ausharrt („Jeder sieht zu und keiner macht’s / Ich bin auch nur einer von ihnen / Ich geh nach Haus und existiere / Im Innenhof spielt’s Ganz Wien / Das Schicksal lautet Mayerling / Jeden Tag auf dem Balkon / Was ändern würd’ man ja nie tun“). Alles hat Platz hier, bei unsrer neuen Sissi.

Das Popfest am Samstag bietet, wir sehen es schon, eine Reihe Wien-Premieren, die es abzuchecken gilt. Und noch so eine großartige Wien-Premiere ist der Auftritt von Nenda und Gilewicz. Fast drei Jahre ist es her, da ist Nenda mit „Mixed Feelings“ wie aus dem Nichts aufgetaucht und hat uns alle umgehauen. Ihr Ansatz, so etwas höchst Komplexes und ewig Anstrengendes wie die eigene Identität in einem Popsong aufzubrechen, und das auf sowohl kluge als auch herrlich zynische Art, das war so erfrischend und angenehm und neu, dass wir alle mehr wollten.

Das „Mehr“ ist jetzt hier, die in London lebende Rapperin spielt endlich live – und zwar in gemeinsamer Sache mit der Innsbrucker Indie-Band Gilewicz. Sehr gute Freunde, die zusammen Musik machen: Das ist doch eigentlich sowieso die beste Idee. Das merken wir spätestens, wenn die beiden auf der Bühne stehen und wir einfach spüren, dass sie sich pudelwohl fühlen. Der laid-back Gitarrenpop der Innsbrucker Band verschmilzt da mit dem raffinierten Rap Nendas, sie greift zwischendurch im selbst gehäkelten, schwarz-weiß-karierten Pulli zur Gitarre und macht die Backing Vocals für ihre Friends, dann bekommt sie wiederum von den Boys Unterstützung für ihre Songs (und ja, das heißt, es gibt neue Nenda-Songs, auf die wir uns sehr freuen können). Die Stimmen harmonieren, der Vibe auch, die Mama bekommt einen Gruß - das passt!

Dann sind wir auch schon wieder beim Grande Finale auf der Seebühne. Die Crowd hat sich mittlerweile vervielfacht, Menschen strömen von allen Richtungen zur lila beleuchteten Karlskirche, um zumindest noch ein letztes Stück von diesem Samstagabend abzubekommen, der sich langsam dem Ende zuneigt.

Die Seebühne beim Popfest von Weitem

Franz Reiterer

Dass dieser letzte Slot auf der Seebühne Buntspecht gebührt, ist eine sehr kluge Entscheidung, denn die fahren – wie hätte man es sich anders denken können – alle Geschütze auf, inklusive neuem, noch nicht veröffentlichtem Song von einem neuen, gerade aufgenommenen Album. Über 200 Konzerte hat diese Truppe in sechs Jahren gespielt, viele Songs haben mittlerweile eine Art Legendenstatus erreicht. „In einer Welt / ohne Wie und Wann / tanze ich so lang / bis ich Musik berühren kann“, singen sie in „Abrakadabra“ und fassen damit eh schon alles zusammen, was wir wissen müssen.

Der Schalter ist umgelegt, und gewissermaßen ist das auch das Credo für den restlichen Abend. Drinnen im Prechtlsaal, zum Beispiel, wo Kimyan Law zum organischen Drum’n’Bass ansetzt und Seba Kayan ihren Oriental Techno auflegt. Die Nacht ist eben jung, und muss voll und ganz ausgekostet werden.

mehr Popfest 2023:

Aktuell: