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Edna Million

Franz Reiterer

festivalradio

Ich hab’ gedacht, dass heute Sonntag ist

Einmal im Jahr in die Kirche gehen, es ist der Popfest-Sonntag. Wochenendabschlussgedanken.

Von Lisa Schneider

Eigentlich sollte Der Nino aus Wien auf jedem Popfest spielen, das geht raus an die, die auf Wunschzettel notieren. Sehr gut, dass er heuer wieder mit dabei ist, am Abschlusstag des 14. Popfests, nämlich als so ein Mensch, der wie niemand anderer Wort- und Satzformen findet, die Lächerlich- und Großartigkeiten im Leben zu beschreiben. An diesem Wochenende der österreichischen Popkultur ging es um wenig anderes: große Worte, große Musik und die trivialste Kunstform halt, das Leben selbst.

„Alles, was ich dir sagen will, fällt schwer, weil ich’s nicht wagen will“ passt also als Zeile fast immer, auch wenn wir sie gestern im Karlsgarten nicht hören, wo sich Nino gemeinsam mit Natalie Ofenböck zur erneuten Präsentation ihres Musikprojekts Krixi, Kraxi und die Kroxn eingefunden hat. Das ist Sonntagsprogramm zur tatsächlich wieder herausgeschlüpften Sonne, die Wiese ist noch nass und die Gesichter sanft amüsiert. Es geht um dicke, arme, süße und traurige Käfer auf der Bühne, um Weltuntergang und die Alte Donau, es ist ein herzlich gemeintes gegenseitiges Vorlesen und abwechselndes Geschichtenerzählen. Bis zwei Minuten vor dem Auftritt haben wir nicht gewusst, ob das jetzt ein Konzert oder eine Lesung wird, seit dem Moment des Dann-tatsächlich-Konzerts steht fest, wir hätten ein bissi lieber die Lesung gehabt. Nino, wenn du das liest: Bitte bring’ bald das Buch raus, um das sich jetzt schon Gerüchte ranken, wir freuen uns sehr.

Dann läuten die Kirchenglocken, gefühlt eh immer, während laufender Sets auf der Seebühne an den vergangenen Tagen, an immer unpassender und deshalb ja auch immer guter Stelle. Edna Million spielt das Eröffnungskonzert, es ist, wie eh schon prognostiziert, ein kleiner Wahnsinn.

Es hat schöne Tradition, dass man am letzten, am Kirchentag, dann noch so einen sehr, sehr neuen Musikmenschen und seine Lieder genau da kennenlernt, im seltsamen state of mind des Zu-wenig-geschlafen-und-trotzdem-noch-weiterhören-Wollen. Manche Menschen kommen mit guten Dingen zur Welt, wie etwa einer Stimme, die es so noch nicht gibt. Edna Million rettet aktuell das, was im Popgeschehen hierzulande, aber auch überhaupt an den Rand gerückt ist, im Mittelalter hätten wir das „Singer-Songwriter-Folk“ genannt.

Edna Million ist 21 Jahre alt, lebt und studiert aktuell in Berlin und hat vor noch nicht so langer Zeit auf der Hochzeit ihrer Eltern herausgefunden, dass das ganz gut geht mit ihr und der Musik. Seither, sagt sie, würde sie wenig Sachen lieber machen, als für immer für die Menschen zu singen, das sagt sie auch gestern Abend, als es nahe hingeht zum Ende ihres Auftritts. In diesem Satz liegt eine wunderbare Grundvoraussetzung und ein Angebot, das ist ruhiges, klares, natürlich am Ende Entertainment, das ist Pop.

Edna Million durchschaut Strukturen und umgeht sie deshalb, wenn Musik mäandern darf, dann so, die Kirche ist ein dankbarer Ort, wenn’s darum geht, Worte in einen Raum zu werfen und sie genauso elegant wieder zurückzufangen. Das sind Lieder über Männer, die sich in U-Bahnstationen rasieren oder Lieder über Desert Hotels, das sind Lieder, die sich sogar über Rilke drübertrauen. Großes Talent ist auch dann, wenn man andernorts Kitschiges in etwas verwandelt, das strahlt.

Und dann ist Alleskönnerzeit. Lukas Koenig tritt gemeinsam mit dem britischen Musiker Kit Downes auf, der bedient erstmals in der Popfestgeschichte die große Pfeifenorgel, da ist die Marimba, und da ist alles, was dieses alte, knarzende, wunderbare Kirchenschiff inklusive Hochaltar hergibt. Manche Menschen schreiben Lieder, andere suchen die Lieder und die Geräusche in der Welt, die sie umgibt, Lukas Koenig macht beides. Er ist eh Drummer, aber er ist vor allem Denker, einer, der sich den Kopf zerbricht über genau die kleinen Schnittstellen zwischen Pop und Avantgarde, zwischen Noise und Note. Das klingt alles sehr hochtrabend arg, ist es eh auch, ein bisschen Geduld, und ein bisschen genaues Hinhören.

Einmal noch große Stimme am Popfest 2023: Das offiziell letzte Konzert in der Karlskirche spielt Rosa Anschütz, das Alleskönner:innenwort von oben können wir da gleich nochmal hierbehalten, noch so ein Mensch, der gar nicht weiß, wohin mit diesen ganzen Ideen. Der Vergleich bietet sich wegen Auftrittsortteilung an, wo also Edna Million sanftschroff die Töne in die Lieder singt, zaubert Rosa Anschütz mit ihrer Stimme alles nach außen. Das ist nach allem, was da heute davor passiert ist, fast schon Disko.

Am Popfest geht’s um Liebe, hat mal jemand gesagt, also im Sinne vom Zusammenkommen von Menschen, die sich mögen. Hier gibt es im Gegensatz zu groß angelegten Campingfestivals nicht die gezielte, sondern die sanfte Eskalation, und einige beste Momente sehen so aus: Mit Dorian Concept spätnachts über Weihnachtslieder sprechen und sich ausmachen, dass man sich am nächsten Tag Links zukommen lässt, was natürlich und wunderbarerweise nie passiert. Mit Oskar Haag darüber sprechen, dass er „eh bald!“ wieder hier auftreten wird und wenn, dann vielleicht schon mit Band. Mit Yasmo und Christoph Hütmannsberger von Ein Gespenst darüber reden, wie super ihre fast schon Sandkastenfreundschaft ist, die irgendwann mal bei Poetry-Slams begonnen und auch arge Ausflüge auf deutschen Autobahnen inklusive Schneetreiben und Scheibenwischerbruch überstanden hat. Hier erzählen dir Menschen, wie ihr Restsommer aussieht, einer will „Thunder“ am FM4 Frequency hören und wird extra deshalb nach St. Pölten reisen, ein anderer denkt schon drüber nach, wie viele Paar Socken er zum Fuzzstock Festival im tiefsten, schönsten Kärnten einpacken soll. Beides ist super.

Und dann geht es noch um die Überraschung. Anna Mabo und Dorian Concept, die das 14. Popfest heuer kuratiert haben, ergänzen sich mittlerweile so, dass kein Blatt dazwischen geht, und treten mit einer liebevollen Überzeugung auf, die ihresgleichen sucht. „Es gibt nichts Schöneres, als extrem hohe Erwartungen zu haben, und die dann übertroffen zu wissen“, so Anna im FM4 Interview, darauf dann Dorian Concept mit einigen besten Sätzen des Wochenendes: „Man muss nicht immer bedienen, man kann dem Publikum mehr zutrauen, als man denkt. Ich finde, das Publikum für blöd zu verkaufen, ist einer der größten Fehler, den man in der Kunst machen kann.“

Worteborgen beim Nino, wie sonst auch, wenn herzvoll: „Es geht immer ums Vollenden“, sagt er an anderer berühmter Stelle, und dann halt auch wieder nicht. Das Popfest ist etwas, das wächst, das mit und durch all die Musik- und Menschenbegegnungen jedes Mal ein bisschen größer wird. Und nächstes Jahr machen wir tatsächlich gemeinsam die eineinhalb Jahrzehnte voll.

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