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Auf den Spuren der legendären Mitternachtsfilme

Der Betreiber eines New Yorker Kinos hat Anfang der Siebziger Jahre den Grundstein für das Phänomen der „Midnight Movies“ gelegt. Ein paar dieser bis heute kultisch verehrten Mitternachtsfilme stellen wir euch hier vor.

Von Julian Stockinger, Christian Fuchs und Jan Hestmann

Es war im Dezember 1970, in einer kalten Winternacht, als der New Yorker Kinobetreiber Ben Barenholtz einen Zettel an die Einganstür seines Kinos Elgin klebte. Darauf zu lesen: „El Topo um Mitternacht“. Es war der Beginn einer Erfolgsgeschichte und die Geburt des sogenannten Mitternachtskinos. Bereits bei der dritten Vorstellung von „El Topo“, ein durch und durch ungewöhnlicher Western des chilenischen Filmemachers Alejandro Jodorowsky, standen die Leute Schlange. Alle wollten diesen seltsamen Film sehen. Über Monate war der Saal bis auf den letzten Platz gefüllt.

Barenholtz, vom Erfolg beflügelt, überlegte sich weitere Midnight Movies für sein Programm. Ungewöhnliche Filme sollten es sein, die aufwühlen und Tabus brechen. Es folgten nicht weniger erfolgreiche Aufführungen von David Lynchs „Eraserhead“, Jim Sharmans „The Rocky Horror Picture Show“ oder George A. Romeros „Night of the Living Dead“, der als erster moderner Zombiefilm begriffen wird. Bis heute werden unter dem Label Midnight Movie unheimliche Filme zur Geisterstunde gespielt. Wir wollen euch hier aber ein paar der ursprünglichen Midnight Movies vorstellen, die diesen Begriff begründet haben.

Blutige Sinnsuche im Wilden Westen: „El Topo“ von Alejandro Jodorowsky

Ein knochenharter Western mit Bezügen zum Christentum, zum Zen-Buddhismus und zur schwarzen Magie. Ein Grundkurs in Philosopie in Cowboyhüten. Ein Gewaltspektakel für die friedensbewegte Hippieära. Eine absurde Freakshow voller schwer behinderter Revolverhelden und sexuell besessener Ganoven. Kein Wunder, dass viele Besucher völlig fassungslos waren, als „El Topo“ anno 1970 in einem New Yorker Programmkino anlief. Gleichzeitig entstand schnell ein Kult rund um das bizarre Werk des mexikanischen Regisseurs, Autors und Hauptdarstellers Alejandro Jodorowsky. Eine eingefleischte Fanschar, zu der auch John Lennon und Dennis Hopper gehörten, versuchte den Film zu entschlüsseln.

Dabei lässt sich „El Topo“ auch viele Jahrzehnte später nicht einfach erklären oder einordnen. Inspiriert von blutigen Italowestern schuf Alejandro Jodorowsky ein wahnwitziges surreales Kompendium. Die Geschichte eines Desperados im schwarzen Ledergewand wird schnell zu einer religiösen Allegorie und einer mystischen Erlöserfantasie. Wer „El Topo“ kritisch mit heutigen Augen sieht, wird eventuell über die unfreiwillige Komik schmunzeln und den esoterischen Hippiekitsch belächeln. Die Tabubrüche des Films schockieren aber vielleicht mehr denn je. Und die durchgeknallte Vision von Jodorowsky wirkt in biederen Kinozeiten wie ein Aufruf zur Rebellion. (Christian Fuchs)

In Heaven Everything Is Fine: „Eraserhead“ von David Lynch

Das flackernde Licht im Treppenhaus. Die langen dunklen Gänge. Das Brummen auf der Tonspur. Viele typische Elemente von Meisterregisseur David Lynch sind in „Eraserhead“ bereits vorhanden. Auch der bizarre Humor des Regisseurs und die morbiden Dialoge findet man schon in seinem Debütspielfilm. Aber der schwarzweiße „Eraserhead“ ist radikaler und surrealer als das poppig angehauchte spätere Schaffen von Lynch.

Gedreht um ganz wenig Geld, über einen Zeitraum von vielen Jahren, ist „Eraserhead“ ein Meisterwerk, dass die Zuseher 1976 verstört. Da taumelt ein einsamer Antiheld namens Henry in einer undefinierbaren Industrielandschaft herum, er füttert ein Baby, das wie ein kranker Delphin aussieht und lauscht Konzerten, die eine winzige, vernarbte Frau in seinem Heizkörper gibt. „In Heaven Everything Is Fine“ singt die kleine gespenstische Dame.

Lynch-Fans wissen, was andere ahnen: Es hat keinen Sinn, nach dem Sinn in den Werken des David Lynch zu suchen. Es bringt nichts, diese Filme auf gewöhnliche Weise zu entschlüsseln. Sonst beißt man sich an „Eraserhead“ die Zähne aus. Statt um Logik oder konventionelle Spannung geht es um Bilder und Töne, um sinnliche Erfahrungen statt Sinnsuche. Und trotzdem verbirgt sich eine simple Geschichte hinter den abgründigen Szenen. Henry hat unglaubliche Ängste, vor der Umwelt, seinen Schwiegereltern, aber vor allem vor der Vaterschaft. David Lynch projiziert damals seine eigene Paranoia in die Figur. Dabei gelingt ihm ein Film, der Industrialbands, düstere Künstler und andere Regisseure beeinflusste. Ein Meilenstein der Verstörung, bis heute. (Christian Fuchs)

The Filthiest Movie Ever: „Pink Flamingos“ von John Waters

Vom sinnsuchenden Psychomagier in „El Topo“ über das Alien-Baby und seinen heillos überforderten Vater in „Eraserhead“ zu einem Trans-Frankenstein in der „Rocky Horror Picture Show“: Die Midnight Movies zelebrierten das Anders- und Fremdsein und sie feierten Verhaltensauffälligkeiten, wie wenig andere Filme zuvor. In John Waters legendärem Underground-Streifen „Pink Flamingos“ wurde die Affinität zur Otherness auf die Spitze getrieben.

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In der Folge 191 des FM4 Film Podcast sprechen Christian Fuchs und Jan Hestmann über ein Phänomen am Rande des Arthouse-Kinos: Mitternachtsfilme. Zu Gast ist der Filmkurator Julian Stockinger, der eine dazugehörige Reihe erfolgreich im Wiener Gartenbaukino programmiert.

An der stachen sich aber nicht nur Bürgerliche rund um Waters Heimatstadt Baltimore. Der dritte Langfilm des „Pope of Trash“ betrifft alle, denn wenn Protagonistin Babs Johnson (gespielt von der zu früh verstorbenen Dragqueen Divine) ihren Status als „filthiest person alive“ verteidigen muss, nunja… dann wird’s wirklich filthy. Zumal die Konkurrenz nicht gerade saubere Sachen macht: Die Marbles (David Lochary und Mink Stole) sind bei Menschenrechtsverletzungen aller Art ganz vorne mit dabei und heiß auf Babs hart erarbeiteten Titel. Doch diese ist bereit dafür über Leichen zu gehen…

John Waters wurde im Kino sozialisiert und bald nahmen die abgerockten Grindhouse- und Drive-in-Spielstätten einen besonderen Platz in seinem Herzen ein. Und tatsächlich ist das Kino nach wie vor der Ort, an dem man seine Filme am besten sieht. Streifen, die es auf den Affekt, also auf die unmittelbare Gefühlsregung abgesehen haben, profitieren vom Publikum. Man lacht, gruselt und ekelt sich einfach besser zusammen als allein. Dass Waters u.a. von Exploitation-Größen wie Russ Meyer, Herschell Gordon Lewis & Co. lernte, ist seinem Werk anzusehen. Er gilt längst selbst als Ikone des anstößigen Low-Budget-Films und inspirierte eine Vielzahl an Regisseur:innen weltweit. Dass dieser 77-jährige Verfechter der Devianz nach 20-jähriger Pause bald wieder am Regiestuhl sitzen wird, lässt viele Herzen höherschlagen. Let’s get filthy again! (Julian Stockinger)

Der moderne Zombie ist geboren: „Night of the Living Dead“ von George A. Romero

Auf einem verlassenen Friedhof irgendwo in Pennsylvania besucht das Geschwisterpaar Barbra und Johnny das Grab ihres Vaters, als plötzlich ein unheimlicher, blasser Mann auf sie zu wankt. Der Fremde beginnt sie zu attackieren. Johnny überlebt diese Attacke nicht, Barbra kann in ein nahegelegenes Bauernhaus fliehen. Dort haben sich auch einige andere Flüchtlinge verschanzt, das Haus ist bald von einer Horde grimmiger Gestalten umringt.

Was wir hier sehen ist die Geburt des modernen Zombiefilms, wie wir ihn heute kennen. Auch wenn die Wesen in George A. Romeros Kult-Horrorfilm „Night of the Living Dead“ aus dem Jahr 1968 genau genommen noch gar nicht als Zombies benannt werden, gehen die hier aus ihren Gräbern steigenden, nach Menschenfleisch lüsternen Untoten in die Filmgeschichte ein - als Ursprung dieses Subgenres. Der Film zeigt eine sich pandemisch ausbreitende Zombie-Apokalypse. Dabei bleibt Regisseur Romero aber ganz nah bei seinen Protagonist:innen. Das Haus, in dem sie sich verschanzt haben, ist dabei der Hauptschauplatz des Films und wird kaum verlassen. Was außerhalb dieser Schicksalsgemeinde passiert, erfahren Barbra und die anderen ausschließlich durch das Verfolgen der Nachrichten in TV- und Radio.

Die Lage spitzt sich immer weiter zu und das Haus kann bald nicht mehr den nötigen Schutz gegen die hungrigen Untoten bieten. George A. Romeros erster Teil seiner „Dead“-Reihe, entstanden mit minimalem Budget, ist der einzige in Schwarz-Weiß gedrehte und aufgrund seiner räumlichen Reduktion besonders beklemmend. Heiß diskutiert war dabei das radikale Ende des Films, das hinterher politisch brisanter interpretiert wurde, als von Romero ursprünglich beabsichtigt. Der Film fördert auch eine später sich verändernde Rezeption des Zombiefilms hin zum sozialkritischem Kommentar. Zombies sind nicht mehr einfach nur Schauergestalten, sie können auch, wenn wie bei Romero eingesetzt, auch etwas über die Missstände in unserer Gesellschaft erzählen. Bis heute bleibt Romeros Kultfilm ein unter die Haut gehendes Kammerspiel, an dessen Intensität nicht viele Vertreter des Zombiegenres anschließen können. PS: Aufgrund eines Copyright-Irrtums ist „Night of the Living Dead“ in den USA gemeinfrei und daher in voller Länge frei verfügbar. (Jan Hestmann)

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