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Jonathan Wilson

Andrea Nakhla

song zum sonntag

Der Song zum Sonntag: Jonathan Wilson - „The Village Is Dead“

Und wenn nichts mehr geht, dann meckern wir eben: Jonathan Wilsons neuester Abgesang.

Von Lisa Schneider

Wie ist das mit der Zeit und den Orten, die man mag - dürfen, sollen, können die eh immer gleich bleiben? An dieser Stelle darf man über Kindheitsschauplätze oder das Lieblingsfestival von damals nachdenken, über Parks, die’s so nicht mehr gibt, über diese eine, gute Ecke der Stadt, die mal niemand kannte und die deshalb so wertvoll war. Veränderungen sind eh gut, und manchmal nicht, erzählt es denen, die aufwachen und neben sich auf einmal das fünfte Lokal mit Angebot Bowls, Brunch und Frischkäse-Eis vorfinden. Gentrifizierung is a thing.

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  • Auch die geschätzten Wissenschafts- und Popjournalist*innen Thomas Kramar und Heide Rampetzreiter machen sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song ihre Gedanken.

Jonathan Wilson ist weder in den 60ern noch in New York geboren, jetzt hat er ein Lied über genau diese Zeit und genau diesen Ort geschrieben, ein Lied über die Manhattan-nahe Gegend Greenwich Village. Im Titel steckt’s eh schon drin: Da ist etwas weg, das früher mal da und gut war, und natürlich geht’s um die Musik. Besagtes Viertel war vor mehr als einem halben Jahrhundert Teil einer kulturellen Gegenbewegung, eine kleine Oase zwischen den Superreichen und denen, die’s gern wären. „Used to see Moondog every Saturday / In Washington Square Park“ sing-lamentiert Jonathan Wilson, „And you could listen to earnest folk musicians play“. Das ist schon bissig, weil was ist Ernst und was ist Folkmusik, und was ist dann noch obendrauf beides gemeinsam?

Vielleicht eh das, was Jonathan Wilson aktuell und eh immer schon so macht, mit seinen eigenen Liedern mehr noch als auf seinen kreativen Super-Outputs gemeinsam mit guten Menschen wie Angel Olsen oder Father John Misty. Musikbett: reich. Angehaucht: psychedelisch. Intonation: immer zu diesem gewissen Grat gut traurig, dass es in den Spätsommer passt.

„There’s nothing doing anymore on Macdougal Street / Just shit tons of bros from the local university“. Da ist schon auch Selbstbeweihräucherung drin, weil was können Menschen dafür, die eben erst vor zwanzig Jahren zur Welt gekommen sind. Gar nichts, und sie wissen’s nicht besser: „They’re trying to make it sound like Stevie Ray / And then they set fire to Jimi Hendrix’s guitar“. Jonathan Wilson denkt über seine großen Helden nach und das ungute Gefühl, wenn Dinge einen seitlich rechts überholen. Er selbst bleibt lieber bei sich, deshalb klingt das alles immer nach großer Nostalgie, und die muss natürlich strahlewarm sein.

„And we can finally sing it all together: The Village is dead“ ist der letzte und noch so ein Satz, der seinem Zynismuskollegen Father John Misty gut gefallen müsste - auch er ist einer, der gern die Gesamtgesellschaft verflucht und sich ein bisschen weiter oben platziert als alle anderen. Dass sich das auf sogar noch irgendwie charmante Weise ausgeht, ist vor allem auch der Tatsache geschuldet, dass nicht sehr viele Menschen das hierzulande so sehr geliebte Sudern in ihre Lieder hineintun. Hierher passen Gedanken zur Frage, wie sehr man sich selbst für Glück und Erfolg entscheidet, wahrscheinlich erziehen sich die meisten Menschen selbst dazu, das Beste oder eben nicht das Beste aus ihrem Leben zu machen. Noch eine Frage: Hält man weniger von Menschen, denen man ihr Unglück anmerkt, weil man sich unwillkürlich fragt, ob sie es selbst zu verschulden haben?

Am 9. September erscheint das neue Album von Jonathan Wilson, es trägt den obskuren Titel „Eat The Worm“. Und keine Sorge, andere Lieder heißen da Titel etwa „Marzipan“, es ist noch nicht alles verloren an die jüngeren, zumindest aber muss man alles auch nicht so ernst nehmen. Kunst ist nicht, um zu begreifen, hat mal jemand gesagt, für diese Einschätzung ist „The Village Is Dead“ dann doch etwas zu dezidiert, ein bisschen was ist aber dran.

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