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Cover von "Fremdlinge"

Residenz Verlag

Buch

Wie man als Schwangere seine Freiheit verteidigen lernt

„Fremdlinge“ heißt der erste Roman von Anna Katharina Laggner, und es geht nicht etwa um Außerirdische, sondern um ihre Zwillinge - also eigentlich um ihre Schwangerschaft mit den Zwillingen. Es ist eine Art Tagebuch, sehr humorvoll und ehrlich und gleichzeitig auch ein bisschen eine Abrechnung mit allen guten Ratschlägen, mit denen man plötzlich überschüttet wird, wenn man schwanger ist.

Von Jenny Blochberger

Und wieder höre ich, schnappe den Satz auf, ja, sie hatte eine ganz schöne Geburt. Immer wieder habe ich das in den letzten Monaten gehört, eine ganz schöne Geburt. (...) Was hält die Frauen eigentlich davon ab, über die Geburt Klartext zu sprechen? Selbst die Hebammen sagen nichts. Es ist wie ein stiller Pakt unter allen Mitwisserinnen, dass sie Frauen, die ihr erstes Kind bekommen, nicht sagen, durch welche Hölle sie während einer Geburt gehen werden.

Protagonistin Anna - man muss sie sich als Alter Ego von Autorin Anna Katharina Laggner vorstellen - ist zum zweiten Mal schwanger, sie weiß also, wovon sie spricht. Dass die brutale Realität des Geburtsvorgangs gesellschaftlich unter den Teppich gekehrt oder sogar beschönigt wird, ist für sie eines der vielen Rätsel, mit denen sie als Schwangere konfrontiert wird.

Cover von "Fremdlinge"

Residenz Verlag

„Fremdlinge“ von Anna Katharina Laggner (208 S.) ist im Residenz Verlag erschienen.

Laggner hat einen lakonischen, aber deswegen nicht gefühlsbefreiten Blick auf alles, was mit Schwangerschaft und Mutterschaft zu tun hat. Wie eine Außerirdische bewegt sich Anna in Internet-Foren, in denen sich Schwangere austauschen, wundert sich über die seltsame Lingo und die Tatsache, dass alle Frauen ihre Individualität dieser einen Gemeinsamkeit ohne Widerstand unterordnen.

Dass Schwangerschaft mit SS abgekürzt wird, in allen Internet-Foren, und sich niemand daran stört! (...)
Da werden Bücher empfohlen, „ganz nett zum Lesen in der SS“, da ist jemand die ganze SS über sehr entspannt, es wird allerdings geraten, bei einer Zwillings-SS Experten aufzusuchen, denn „es gibt da einfach viel mehr zu beachten als bei einer Einlings-SS“, da haben Frauen auch mal Beschwerden oder gar Blutungen „in der SS." Nachsatz: Ist nervig, geht aber wieder weg."
So ist das mit der SS, ein vorübergehendes Unbill.

You are not alone - leider

Schwangerschaft bedeutet auch: alle Welt mischt sich in ihr Leben ein, weiß, was sie essen oder nicht trinken soll, wieviel Bewegung sie machen müsste und welche Art der Entbindung die beste ist. Anna kennt das, sie war ja schon mal schwanger; aber diesmal erwartet sie Zwillinge, und da kennt die Einmischung von außen kein Halten mehr. Auch die Sentimentalität, mit der Elternschaft und vor allem Mutterschaft betrachtet wird, ist ihr fremd. Sie sinniert darüber, warum die Eltern-Kind-Beziehung als lebenslange Verbindung ein derartiges Dogma ist; eigentlich müsste es doch reichen, das Kind liebevoll bis zu dem Punkt aufzuziehen, an dem es allein zurecht kommt, und sich dann zurückzuziehen, wie es ja auch Tier-Eltern machen. Solche Überlegungen sind in einer Gesellschaft, die Mutterschaft derart verklärt, geradezu Gotteslästerung. Auch nicht gern gesehen: schwangere Personen, die Alkohol trinken, Rad fahren oder sich ohne ärztliche Erlaubnis aus dem Klinikgelände entfernen. Mütter, die alleine aus dem Haus gehen, werden zwar nicht angefeindet, aber doch verlässlich gefragt, wo sie denn ihr Kind gelassen hätten.

Feministin sein ist nicht schwer

Eine Freundin nannte mich einmal "eine Ikone des Feminismus“, als sie mich allein am Gehsteig traf. Die Straße: schon immer ein Schlachtfeld. UInd ich: ein singuläres Ereignis, eine Ein-Frau-Revolution, die sich bei hellichtem Tage allein von der eigenen Wohnung wegbewegt.

Der Roman ist in Form von Tagebuchaufzeichnungen geschrieben, die humorvoll und lakonisch die Schwangerschaft begleiten. Es ist erfrischend, dass Anna die Schwangerschaft nicht ihre Persönlichkeit einschränken lässt; sie tut weiterhin, was sie eben tun möchte und auch vor der Schwangerschaft getan hat, und es ist schon vielsagend, dass man das überhaupt als erfrischend wahrnimmt und nicht als Selbstverständlichkeit.

„Fremdlinge“ geht unsentimental und mit quasi journalistischer Neugier an das Thema Schwangerschaft heran. Und mit einem gewissen nachdenklichen Humor, der dem Buch eine einzigartige Stimme verleiht.

Portraitfoto Anna Katharina Laggner

Aleksandra Pawloff

Anna Katharina Laggner, geboren 1977 in Graz, studierte Internationale Wirtschaftsbeziehungen und lebt als Autorin, Radiomacherin und Künstlerin in Wien und Oberösterreich. Sie ist Sendungsgestalterin und Moderatorin für Ö1 und schreibt für FM4 über Film und Literatur. Als Tonkünstlerin hat sie Hörstücke und Installationen u. a. für den Steirischen Herbst, das Festival der Regionen oder die NGBK Berlin realisiert. Veröffentlichungen in Anthologien. „Fremdlinge“ ist ihr erster Roman.

Jenny Blochberger/FM4: In deinem Buch „Fremdlinge“ geht es um deine Schwangerschaft mit deinen Zwillingen. Du hast es in Form von Tagebuchaufzeichnungen geschrieben. Inwieweit ist diese Anna eine andere Figur als du, die du diese Aufzeichnungen geschrieben hast?

Anna Katharina Laggner: Ich glaube, der entscheidende Unterschied ist, dass ich unfertig bin, dass es nicht so ganz klar ist, wer ich bin. Und ich musste für das Buch aber sehr genau wissen, wer diese Anna, diese Figur im Buch ist. Die hat einen Anfang und ein Ende, die muss stimmig sein, da muss was überspringen. Das sind einfach andere Anforderungen, die eine literarische Figur hat, als ich, die ich hier stehe. Ich bin keine literarische Figur.

Du schreibst sehr viel darüber, wie wie stark die Umgebung plötzlich eingreift ins eigene Leben, sobald man schwanger ist. Schwangerschaft ist ja so ein Punkt, an dem sich die Fremdbestimmung über Frauenkörper und der Druck zur Selbstoptimierung die Hand geben. Man muss immer die beste Version seiner selbst sein. Und du, bzw. deine Figur, hat trotz dieses Drucks von zwei Seiten eine extrem starke Persönlichkeit und extrem starken Freiheitsdrang.

Ja, ganz genau, ich habe diesen starken Freiheitsdrang. Die Erfahrung zwischen keine Kinder haben und Mutter werden ist wie Tag und Nacht. Plötzlich interessieren sich alle für dich. Vorher war ich allen auf wunderbare Art und Weise egal - und das war sehr angenehm. Ich konnte tun und lassen, was ich wollte. Und plötzlich wird dir gesagt, was du tun sollst. Das heißt, ich war ganz schwer damit beschäftigt, meine Freiheit zu verteidigen, zu verteidigen, dass ich zwar eine schwangere Frau bin und demnächst dreifache Mutter, dass ich aber weiterhin frei bleiben möchte in meinen Entscheidungen, in meinen Bedürfnissen, in meinen Wünschen. Ich wollte kein Objekt werden, das Leben in sich trägt. Und in diesem Spannungsverhältnis bewegt sich der Text. Für mich sind keine Schwangerschaftsratgeber geschrieben. Ich kann damit überhaupt nichts anfangen. Ich war fasziniert von dem Körper, wie der wächst. Ich bin wahnsinnig zufrieden mit dem Körper, habe aber auch gemerkt: Hey, jetzt in der Schwangerschaft bin ich zufrieden mit meinem Körper und sonst nicht? Was ist da eigentlich falsch? Was stimmt da nicht?

Bei diesen Schwangerschaftsratgebern geht es ja auch darum, dass alles über einen Kamm geschert wird. Vorher darfst du anders sein und plötzlich ist alles normiert.

Genau. Auch dann weiterhin als Mutter, also wie du als Mutter zu sein hast. Ich habe mich mit diesem Mutterbild eigentlich nie sehr viel beschäftigt. Ich habe mich nicht viel mit Schwangerschaft beschäftigt. Für mich war immer klar: Ich will Kinder. Ich habe das nicht hinterfragt, ich habe angenommen, das ist Teil meines Lebens und alles andere schaffe ich auch noch. Das beweist sich natürlich dann später, dass man nicht alles, was man will, auch noch schafft, wenn man drei Kinder hat. Aber dass man trotzdem ein Individuum mit eigenen Wünschen bleibt. Und darum geht es dann auch: nämlich dass diese Zuschreibungen von außen, wie man zu sein hat, dass das mich auch erst wirklich zu einer Feministin gemacht hat. Also ich würde von mir nicht sagen, ich bin überzeugte Feministin, sondern ich bin sehr überzeugt von Gerechtigkeit und von Gleichbehandlung. Und wenn man dann erfährt, wie du eben als Schwangere, als Mutter, als Frau nicht gleich behandelt wirst, dann gab es für mich überhaupt nie eine andere Antwort, als eben Feministin zu sein.

In deinem Buch gibt es eine super Passage, wo du darüber sprichst, dass von einem als Mutter gefordert wird, dass man immer an der Seite seines Kindes zu sein hat und es sein Leben lang beschützen möchte. Und du hast einen Gegenentwurf: warum kann man das Kind nicht eine Zeit lang begleiten, bis es in der Lage ist, sich selbstständig zu versorgen und es dann ins Leben entlassen und das eigene Leben weiterleben? Was müsste sich für dich in der Gesellschaft ändern, damit man mehr in die Richtung kommt, Kinder zur Selbstständigkeit zu erziehen?

Was sich verändern müsste, das ist eine große Frage. Aber ich glaube, individuell ist es dann vielleicht gar nicht so schwierig. Ich denke mir ganz einfach, es reicht, wenn ich schaue, dass ich aus meinen Kindern friedliche Erdenbürger:innen mache. Und dann lasse ich sie in die Freiheit. Ich sehe nicht mehr Verantwortung. Ich kann natürlich schauen, was sind ihre Talente und sie darin unterstützen. Aber es braucht nicht viel mehr dazu, als mit ihnen Zeit zu haben und ihnen beizubringen: wie geht man gut miteinander um?

Das eine ist ja die individuelle Antwort, das andere ist die Frage, ob die Gesellschaft es einem leichter machen könnte, statt Druck in Richtung „perfekte Mutterschaft“ zu machen.

Ich glaube, es gibt verschiedene Dinge, die wesentlich sind. Das eine ist das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper der Frau. Und andererseits, dass in Österreich endlich einmal flächendeckend Kinderbetreuung ganztägig verfügbar ist. Dass dieser gesamte Bereich von Care Arbeit, aber genauso die pädagogische Arbeit, dass das aufgewertet ist. Also all diese grundsätzlich feministischen Forderungen: wenn die erfüllt werden, ich glaube, dann tun wir uns auch leichter in der Erziehung unserer Kinder.

Es ist ja auch so, dass die Gesellschaft so auf Wettbewerb ausgelegt ist. Du hast fast nicht die Möglichkeit, dass du deine Kinder nur zu friedfertigen Menschen erzieht, die voneinander und für die anderen nur das Beste wollen. Sondern da geht es immer auch um die Ellbogen.

Auf jeden Fall. Ich glaube, ich bin nicht wahnsinnig gut darin, meinen Kindern das mit den Ellbogen so beizubringen. Manchmal denk ich mir auch: ob das Kämpferinnen werden? Und wenn wir zurückkommen auf diese Frage von Schwangerschaft, dann ist es eben auch da so, dass es immer um diesen Vergleich geht. Zum Beispiel die Frage: Wird es eine natürliche Geburt? Gemeint ist immer eine vaginale Geburt, aber so wird es nicht ausgesprochen. Kaiserschnitt ist schlecht, natürliche Geburt ist gut! Wir sind auch in der Schwangerschaft schon immer in diesem Wettstreit.

Du sprichst auch das Schweigen rund um die Geburt an und dass man den Frauen, vor allem Erstgebärenden, nie sagt, was wirklich auf sie zukommt.

Ich würde nie sagen, dass ich eine schöne Geburt hatte - aber ein Ereignis. Ich habe dafür Worte, ich könnte das auch aufschreiben, alles, was da passiert ist. Aber es wäre dann eine andere Erzählung geworden. Ich finde es nach wie vor seltsam, warum nicht Klartext gesprochen wird über die Geburt. In meiner Umgebung waren es ja vor allem Schwangere, die davon nicht hören wollten. Und da habe ich mir gedacht, das finde ich schon komisch, ich möchte schon ein bisschen wissen, worauf ich mich einlasse. Mir kommt vor, dass rund um die Geburt so ein riesen Kosmos aufgebaut wird an Wertungen. Ich habe zwar auch viele Frauen kennengelernt, die aus berechtigten Gründen Angst haben vor der Geburt und dann nichts hören wollen. Davon aber vor allem auch ganz viele, die sagen, ich will halt auf keinen Fall, dass es ein Kaiserschnitt wird. Da merkt man dann, da gibt es einfach Wertungen, die mit der Art der Geburt zusammenhängen und wo es nicht darum geht, dass Geburt etwas sein soll, das für alle Beteiligten gut und gesund ausgeht.

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