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Necati Öziri / Claassen

Necati Öziris Debütroman „Vatermal“

Mit seinem Debütroman „Vatermal“ steht Necati Öziri heuer auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. Im Buch liefert er präzise Momentaufnahmen einer deutsch-türkischen Familiengeschichte – und setzt dabei den Fokus auf den Sohn, der mit der Abwesenheit des eigenen Vaters strugglet.

Von Melissa Erhardt

Buchcover

Claassen Verlag

Necati Öziris „Vatermal“ ist am 27. Juli im Claassen-Verlag erschienen.

Arda hat es endlich geschafft: Er ist nach Berlin gezogen, studiert Deutsche Literatur, so wie er es immer vorhatte, und versucht zumindest, ein ganz normales Studentenleben zu führen. Bei einem Theaterbesuch wird ihm plötzlich schwindlig, er muss ins Krankenhaus und bekommt dort eine fatale Diagnose: Organversagen. Oder: Autoimmunhepatitis: „Meine Leber hat beschlossen, nicht mehr mitzumachen“. Er beginnt, einen Brief an seinen Vater zu schreiben:

„Wenn du das hier liest Papa – und hier stock ich schon. Soll ich dich wirklich so nennen? (…) Ich hab’s oft ausprobiert: Papa? Vater? Baba? Das Wort auszusprechen, ist gar nicht so schwer, nur danach geht es nicht weiter. Merkwürdiger noch, als „Papa“ zu sagen, ist, es mich sagen zu hören. Es klingt wie ein Fremdwort, das ich irgendwo aufgeschnappt oder nachgelesen habe. Wenn ich es benutze, wirkt es gespielt. Wie sagt man „Papa“, ohne dass ein Fragezeichen zu hören ist? Bis ich eine Antwort habe, bleibe ich bei Metin. Also: Wenn du das hier liest, Metin, werde ich wahrscheinlich tot sein“.

Welche Lücke hinterlässt die Abwesenheit des eigenen Vaters? Das ist die Ausgangsfrage, der Necati Öziri in seinem Debütroman „Vaterland“ nachgeht. Der Stoff ist nicht neu, und auch Öziri beschäftigt sich nicht zum ersten Mal damit. Aufgewachsen mit seiner alleinerziehenden Mutter in „einer der vielen grauen Ecken“ des Ruhrgebiets, lebt Öziri heute in Berlin, wo er als Theaterautor im Dunstkreis von Max Czollek & Co. für das Maxim-Gorki-Theater schreibt. Im Gorki ist „Vaterland“ quasi schon 2017 aufgeführt worden – damals als Stück unter dem Titel „Get Deutsch or Die Tryin“.

Und auch den Text im Buch-Trailer, das erste Kapitel, gibt es bereits länger, als den Roman selbst: 2021 hat ihn Öziri am Ingeborg-Bachmann-Preis in Klagenfurt vorgelesen, damals unter dem Titel „Morgen wache ich auf und dann beginnt das Leben“.

Im Roman hat Öziri den ursprünglichen Fokus der Story erweitert. Aus unterschiedlichen Erzählperspektiven und Zeiten spricht mal Ardas Mutter Ümran über ihr Aufwachsen in einem kleinen türkischen Dorf, über ihre erste große Liebe Çetin und ihren gemeinsamen Traum eines zufriedenen Lebens in Istanbul. Ein Traum, der von einem Erdbeben von einer Minute auf die andere erbarmungslos begraben wird. Dann ist da wieder der junge Arda, der mit seinen Jungs am Bahnhofsplatz hängt und Kool Savas nachrappt, dann wieder seine Schwester Aylin, die auf Kiffer-Parties die ihr übergestülpte Erwachsenenrolle auszugleichen versucht.

Das ist nicht verkopft, nicht unnötig verschnörkelt, das ist einfach straight heraus gesagt. Viel mehr als eine durchgehende Erzählung ist „Vatermal“ aber eine Sammlung einzelner Fragmente, Momente, die Arda, Aylin, Ümran & Co. auf die eine oder andere Weise geprägt haben. Ein bisschen so, als würde man ein Familienalbum durchblättern: Manche Seiten überblättert man schweigend, bei manchen Fotos genügt ein Wort, aber bei ein paar wenigen, da holt man richtig aus und erzählt stundenlang. Das lässt viel Spielraum offen, manchmal vielleicht etwas zu viel: Gerade weil es Öziri schafft, so lebendige Figuren zu kreieren, will man zwischen den Seiten lesen. Trotzdem: Große Empfehlung, denn die Wut und die Sehnsucht, die da aus dem Buch herausstrahlt, die geht ganz nah.

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