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Ein Frauengesicht am Cover zu "Dorothea".

Kremayr & Scheriau

„Dorothea - Queere Heldin unterm Hakenkreuz“

Zwei Frauen lieben einander: Wie die Schauspielerin Dorothea Neff und die Kostümbildnerin Lilli Wolff im Wien in der Nazizeit gemeinsam überlebten, erzählt der Autor und Journalist Jürgen Pettinger in „Dorothea“.

Von Maria Motter

Lilli Wolff hat in ihrem Leben in den USA Kostüme angefertigt, die heute nach der Met Gala klingen: „Zum Beispiel eine Akropolis plastisch auf einer Schleppe, um nur einen zu nennen“, liest man in Jürgen Pettingers neuem Buch „Dorothea - Queere Heldin unterm Hakenkreuz“. Doch das Buch beginnt in einer ganz anderen Zeit: Mitten im Nationalsozialismus.

Da hockt die Jüdin Lilli Wolff in einem Kamin in einer Wohnung in der Wiener Annagasse - gleich kommt Besuch - weil niemand wissen darf, dass sie auch da ist. Dass die Kostümbildnerin Lilli Wolff lebt. Bei ihrer Freundin, der Volkstheater-Schauspielerin Dorothea Neff, hält sie sich versteckt und das seit Monaten.

Es sollten Jahre werden, die Lilli Wolff sich vor dem Terror der Nazis verstecken müssen würde, weiß der Journalist und Autor Jürgen Pettinger. Sein neues Buch „Dorothea - queere Heldin unterm Hakenkreuz“ widmet sich der Liebe dieser beiden Frauen und ihrer Geschichte.

„Mir geht es darum, queere Geschichte auszugraben. Ich will, dass die Gesellschaft begreift, dass queere Menschen immer schon da waren, immer schon in der Mitte der Gesellschaft gestanden sind.“

Ein Frauengesicht am Cover zu "Dorothea".

Kremayr & Scheriau

„Dorothea - Queere Heldin unterm Hakenkreuz“ von Jürgen Pettinger ist 2023 bei Kremayr & Scheriau erschienen.

Und gleich eines der ersten Bilder in diesem Buch ist ungeheuerlich. Eine jüdische, lesbische Frau verharrt in einem Kamin, um ein bisschen etwas von einer Abendgesellschaft mitzubekommen. Um andere Stimmen und Gespräche zu hören. Und sie hat sich einen Polster in den Kamin mitgenommen, um im Notfall ihr Gesicht hineinzudrücken, um ja keinen Mucks zu machen, wenn sie vom Ruß husten müsste. Nationalsozialist:innen haben zu diesem Zeitpunkt jüdische Menschen und all jene, die sie als jüdisch betrachteten, in Lager abtransportiert. Die systematische Vernichtung jüdischen Lebens wird 1942 beschlossen, die Verfolgung jüdischen Lebens betrieben die Nazis seit dem Novemberpogrom 1938 immer brutaler.

Homosexualität war bereits vor dem Nationalsozialismus und zwar unter Kaiser Franz Joseph I. strafrechtlich verfolgt worden. Das Gesetz war geschlechtsneutral formuliert und traf damit schwule und lesbische Menschen. Jürgen Pettinger hat mit seinem sorgfältig recherchierten Roman „Franz - schwul unterm Hakenkreuz“ schon viel Aufklärungsarbeit geleistet. Auch für „Dorothea“ hat er Biografien recherchiert und die zu einem Roman ausgebaut, dessen Rahmenhandlung sich auf die Jahre 1941-1945 beschränkt. Es ist eigentlich ein Doppelporträt geworden, denn die Geschichte der einen Freundin lässt sich nicht ohne die der anderen erzählen.

Wie weit geht man für seine Liebsten?

Und dann kommen noch andere Frauen hinzu. Für Lilli Wolff zogen Kölner Freundinnen nach Wien, um ihr beizustehen. Die abgedruckten Schwarz-Weiß-Fotos im Buch stehen zwischen dem biografisch-fiktionalen Schreiben, man kann in die Gesichter dieser Frauen schauen, zwischen den Zeilen lesen. Bei aller sprachlichen Leichtigkeit Pettingers wirkt diese Geschichte lange nach. Wie weit ist man bereit, für die liebsten Menschen zu gehen? Diese Frage drängt sich beim Lesen von Jürgen Pettingers neuem Buch „Dorothea“ auf. Dorothea Neff hat ihr Leben für ihre Freundin riskiert.

Auffällig ist, dass die Zuneigung und die körperliche Beziehung der Frauen sehr dezent beschrieben ist. Ein Kuss einer Anderen wird erwidert, Lilli zieht aus dem gemeinsamen Schlafzimmer aus.

Heute wird die Schauspielerin Dorothea Neff als eine der „Gerechten unter den Völkern“ geführt. Es wird an sie als erinnert als eine derjenigen, die „in einer Welt totalen moralischen Zusammenbruchs (...) außergewöhnlichen Mut an den Tag legte, um menschliche Werte hochzuhalten“. Aber über ihre Beziehung zu Lilli Wolff ist weit weniger bekannt.

Sprachliche Leichtigkeit und das Überleben

Selbst für eine jüngere Leser:innenschaft, die sich noch nicht intensiv mit dem Terrorregime der Nazis auseinandergesetzt hat, ist der Roman verständlich geschrieben. Beim Lesen ist man mittendrinnen in diesem Wien, in dem die einen an Hitler glauben und die anderen bangen müssen, wem sie sich jemandem anvertrauen und wem sie ihre Ablehnung des Regimes zu erkennen geben können. Man bekommt genug mit von den Intrigen am Theater, wo Dorothea Wolff zur Arbeit ging, und in der schrecklichen Notsituation, einen Krankenhausaufenthalt für einen Menschen zu organisieren, der als „U-Boot“ eingesperrt ist.

Auf nur 190 Seiten gelingt Jürgen Pettinger sehr viel Vermittlungsarbeit. „Dorothea - Queere Heldin unterm Hakenkreuz“ ist ein Buch, das zu weiteren, eigenen Recherchen geradezu auffordert. Zum Beispiel nach Fotodokumenten zur Geschichte der Wiener Geschäftskultur.

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