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Helene (Mala Emde) mit Sohn Peter

Wild Bunch Germany | Lucky Bird Pictures | Ricardo vaz Palma

viennale

Weibliche Selbstermächtigung in „Die Mittagsfrau“

Der Roman „Die Mittagsfrau“ von Julia Franck war ein Bestseller. Er spielt während der historisch turbulenten Jahrzehnte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in einer deutsch-christlich-jüdischen Familie. Basierend auf diesem Roman hat Barbara Albert einen Film über Fremdbestimmung und Selbstermächtigung einer Frauenfigur gemacht.

Von Anna Katharina Laggner

Das Buch beginnt mit einem Prolog, der ein emotionaler Paukenschlag ist: Aus Sicht des siebenjährigen Peter wird erzählt, wie ihn seine Mutter verlässt. Die Identifikation der Leserin ist mit dem Kind. Dann erst beginnt der eigentliche Roman, er nimmt die Perspektive zweier Schwestern ein und erzählt uns Schritt für Schritt, wie es dazu kam, dass eine Mutter ihr Kind verlässt.

Für ihren Film hat Barbara Albert den Prolog gestrichen: „Ich hatte Angst davor, dass die Frau verraten wird.“ Ihr Film konzentriert sich voll auf eine dem Spielfilm eigene Identifikationsfigur. Indem die Wut, Verzweiflung und der Schmerz des Kindes weggelassen werden, vermeidet Albert eine moralische Bewertung dieser Hauptfigur.

Helene (Mala Emde) feiert Geburtstag

Wild Bunch Germany | Lucky Bird Pictures | Ricardo vaz Palma

Helene Würsich wächst mit einer Schwester und einer in ihrem Wahnsinn bedrohlichen Mutter während des Ersten Weltkriegs auf, der Vater fällt im Krieg, Helene und ihre Schwester kommen bei der Tante in Berlin unter.

Die Inszenierung dieser Roaring Twenties sind ein Highlight des Films, die Freiheit dieser Frauen, der Überschwang, die Lust am, aber auch der tiefe Fall in den Exzess. In einer Dachkammer, die allen Kriterien des freien Intellektuellenpaares entspricht (Bett, Bücher, finster), entspinnt sich eine wunderschöne Liebesgeschichte zwischen Helene (sie will Medizin studieren) und einem Literaturstudenten.

Eine Abtreibung und ein Schicksalsschlag später muss Helene einen Nazi heiraten, ihre Identität abgeben, ihren Namen ändern, Mutter werden.

Karl (Thomas Prenn) und Helene (Mala Emde) küssen sich

Wild Bunch Germany | Lucky Bird Pictures | Nick von Nostitz

Barbara Albert sagt, sie hatte Lust, mit Score zu arbeiten, und hat dafür den Komponisten Kyan Bayani engagiert. Bayani hat für „Die Mittagsfrau“ eine unaufdringlich präsente Filmmusik geschrieben, die ohne große manipulative Absichten dem Dekor des Films (hier findet auch großes Ausstattungskino statt) Tiefe verleiht.

Ein Interview mit der Regisseurin Barbara Albert ist im FM4 Interview Podcast zu hören.

Streckenweise, etwa beim wiederholten Hinweis auf das blinde Herz der Mutter, merkt man dem Film den literarischen Hintergrund stark an, in seinen Grundfragen aber ist er aus dem historischen Kontext heraus zeitlos: Da ist eine Frau mit Ambitionen und Leidenschaften, der aufgrund der politisch-gesellschaftlichen Bedingungen ihre Freiheit genommen wird, die nicht über ihren eigenen Körper, ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse entscheiden kann, weil sie schlicht und einfach da ist, wo sie ist.

Helene (Mala Emde) ist mit ihrem Sohn Peter (Finjen Kiefer) unterwegs

Wild Bunch Germany | Lucky Bird Pictures | Ricardo vaz Palma

Mit dieser Figur, die mit großer Zärtlichkeit von Mala Emde gespielt wird, gelingt tatsächlich so etwas wie Identifikation, ein Hineinfühlen in den Schmerz, die Verzweiflung und Ausweglosigkeit einer Mutter, die ihr Kind nicht lieben kann.

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