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Sofia Cheliak

Radio FM4 / Zita Bereuter

Sofia Cheliak über ihren Alltag im Krieg in der Ukraine

Sofia Cheliak ist eine junge, erfolgreiche Ukrainerin. Bei der Frankfurter Buchmesse ist sie Kuratorin für den Stand der Ukraine. Wie sich ihr Alltag im letzten Jahr geändert hat, was der mit dem Barbiefilm gemein hat und wie es ist, wenn man ein Grab am Friedhof für die beste Freundin aussuchen muss, erzählt sie im Interview.

Von Zita Bereuter

Bereits vor einem Jahr hat Sofia Cheliak den Stand der Ukraine auf der Frankfurter Buchmesse kuratiert. Damals war sie noch voller Optimismus. „We can be Heroes“, meinte sie im Interview 2022.

Der Optimismus vom Vorjahr hat Dellen bekommen. Das Schlimmste am Krieg seien die Verluste von Menschen, erzählt Sofia. Am 27. Juni sei ihre beste Freundin Opfer eines Anschlags geworden und am 1. Juli ihren schweren Verletzungen erlegen. „I experienced really big emptiness.“ Der Tod sei immer hart. Vor allem, wenn jemand ganz jung aus dem Leben gerissen werde, mit dem man erst vor kurzem noch gesprochen habe. Und wenn man dann die Beerdigung organisieren und das Grab auf dem Friedhof aussuchen müsse. „It’s quite tough“, meint sie knapp.

Mittlerweile hätten über 75 Prozent der Bevölkerung Menschen aus der Familie oder dem Freundeskreis verloren. „Wir alle gehen durch Tode und Verluste. Und wir verstehen, dass wir die nächsten sein können.“

And you understand, that you can be the next.

Nach einer kurzen Pause schaut sie aber schon wieder in die Zukunft. Sie würden sich gegenseitig unterstützen und voneinander lernen, wie man nicht aufgibt. „Die wollen uns physisch umbringen, aber sie wollen auch unsere Stimmung umbringen, und es ist wichtig, dass man nicht aufgibt und weitermacht“, sagt sie.

We can be Heroes - ein Interview mit Sophie Cheliak im November 2022

Our life has ceased to be normal - Fragmente aus ihrem Leben in der Ukraine.

Die 26-Jährige organisiert das Bookforum Festival, die größte Buchmesse Osteuropas, und auch den Auftritt der Ukraine auf der Buchmesse in Frankfurt. Am Vorabend sei sie kurz nach Mitternacht in Frankfurt ins Hotel. Auf der Straße hätten einige Betrunkene gepöbelt. „I havn’t seen this in the Ukraine for a long time.“ Dort muss man um Mitternacht daheim sein. Ab 21 Uhr wird in ihrer Stadt kein Alkohol mehr verkauft. Sofia lebt nach wie vor in Lwiw, früher auch bekannt als Lemberg, im Westen der Ukraine. Dort sei sie gern. Die eigene Wohnung als sicherer und perfekter Ort. Deswegen werde die extrem sauber geputzt. Manche würden neue Möbel kaufen oder die Wände anders anstreichen.

We are starting to make even the most basic things most comfortable.

Im Alltag sei sie geduldiger geworden. Glück finde sie in kleinen Dingen, wie einem guten Kaffee oder einem Muffin. Die Bars und Cafés haben noch geöffnet. „Wir treffen uns immer noch mit Freunden, trinken Wein und reden über Literatur oder hauptsächlich über Politik. Aber wir versuchen, ein normales Leben zu haben.“

Also gehen sie aus. Reisen sie im Land herum. Sehen andere Regionen. Merkwürdig sei die Kleidung, grinst Sofia. Zu Kriegsbeginn hätten die Fashionexperts gemeint, dass bald alle im Military Style herumlaufen würden. Aber das ist nicht so - die Leute tragen extrem bunte Kleidung. „We are trying to look good and to wear something good. Not because of someone. Just because of ourselves to be sure that the day will be a good day. Just like in the Barbie movie: ‚Today was a good day.‘ Or: ‚Today was not a good day but tomorrow will be better.‘“

Just like in the Barbie movie: ‚Today was a good day.‘

Anfangs hätten sie Angst vor den wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklungen gehabt. „War is a really, really expensive thing. Millions of dollars are paid every day to continue the war.“ Sie seien allen sehr dankbar, die ihnen finanziell mit Krediten helfen. Und auch wenn das Leben in der Ukraine teurer geworden sei, bekomme man derzeit fast alles. H&M und Ikea gebe es nicht mehr, aber andere Unternehmen seien da und man könne alles bestellen. Derzeit gebe es selbst Benzin.

For me it was really clear that I am staying in the Ukraine.

Die Ukraine zu verlassen, komme für sie nicht in Frage. Sie hat keine kleinen Kinder und auch keine pflegebedürftigen Eltern. Außerdem würde sie verrückt werden, wenn sie das Land verlassen müsste. „Because I am so far away and I am not with my people.“ Sie verstehe alle, die aus der Ukraine flüchten. Die kämen dann zurück und würden die Ukraine wieder aufbauen, ist sie zuversichtlich.

Was ihr jetzt schon auffalle, ist die enorme Empathie und Hilfsbereitschaft. Auch sie habe schon auf der Straße geweint, weil es ihr nicht gut gegangen sei. „And a lot of people where coming to me, asking how do I feel. Can they help me. Do I need someone helping me to go home.“ Derartige Erfahrungen haben wohl alle in der Ukraine gemacht. „And we understand how to talk with other people. And we understand what is right to do that moment to cheer the person up. That’s why being in the Ukraine for me is easier than being abroad.“

But the most important thing for us is to reach justice after the war.

Neben ihrer Arbeit möchte Sofia einem Projekt beitreten, das Kriegsverbrechen ermittelt und aufarbeitet für ein zukünftiges Gericht. Denn die Ukraine werde gewinnen, meint sie in ihrem alten Optimismus. „But the most important thing for us is to reach justice after the war. To understand it won’t happen again. At least not during the next 50 years. So for me it’s quite important to work in the future and to make everything I can to live happily ever after.“

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