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„United Queerdom“: Queer History von 1950 bis heute

Out, Proud and Loud: Kate Charlesworth hat eine bunte, sehr dichte Graphic Novel herbeigezaubert, die nicht nur wunderschön zum Ansehen ist, sondern auch auf packende Art und Weise queere Zeitgeschichte erzählt.

Von Livia Praun

Mittlerweile ist Kate Charlesworth 73. Die Illustratorin wurde 1950 geboren, kurz nach dem Ende des zweiten Weltkrieges. Ihre Eltern hatten ein kleines Geschäft, sie erlebt eine recht unaufgeregte, behütete Kindheit. Dann zieht sie für das Kunststudium nach Manchester und erkennt dort: Sie ist lesbisch.

Autorinbild

Kate Charlesworth

Kate Charlesworth wurde 1950 in Großbritannien geboren. Sie ist Illustratorin und Autorin mehrerer Comic-Bücher und Graphic Novels und hat schon für zahlreiche Publikationen wie etwa The Guardian gezeichnet.

Damals, im England der 1970er-Jahre, war der Paragraph, der Homosexualität strafbar machte, gerade erst aufgehoben worden. Die Akzeptanz von und Solidarität mit queeren Menschen in der Gesellschaft hält sich in Grenzen, die queere Community bleibt unter sich in sicheren Räumen. In diesem Kontext navigiert Kate Charlesworth ihr Leben als junge Erwachsene.

Kate Charlesworth bietet eine spannende Perspektive

In „United Queerdom“ erzählt sie nicht nur von ihrer persönlichen Lebensgeschichte, sondern auch von den gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen bezüglich der LGBTQI+-Community von 1950 bis heute. In der Graphic Novel treffen Cartoons, Zeichnungen und Collage aufeinander. Man sieht Szenen aus ihrem Leben, Bilder aus der damaligen Zeit, pro-LGBTQI+ Poster, Pamphlets wie auch Zeitungsartikel. Dadurch bekommt man ein ganzheitliches Bild davon, wie in Gesellschaft, Politik und Medien über Homosexualität und Co. diskutiert wurde.

Geschichten aus der Perspektive von Kate Charlesworth, einer lesbischen Frau geboren in den 1950ern, hört man nicht oft. Und genau deswegen ist „United Queerdom“ auch so wertvoll. Ihre Geschichte zeigt in erster Linie, dass es entgegen aller Widerstände auch schon vor fünfzig Jahren queere Communities gab, die sich vernetzt und organisiert haben. Und dass es Räume gab, in denen sie als lesbische Frau sicher war und lieben konnte, wen sie wollte.

Diese queeren Räume zu finden, war damals aber durchaus eine Challenge: Kate weiß als Studentin in den 1970ern einfach nicht, wo sie andere, lesbische Frauen treffen soll. Deshalb schreibt sie einen Brief an das lesbische Magazin Sappho, welches sie dann mit einer Frau aus der Nähe connected. Und diese Frau zeigt Kate dann die versteckte, lesbische Bar in der Stadt. Das Internet hat es mit Social Media, Tinder und Co. der queeren Community also um einiges leichter gemacht, sich zu vernetzen.

Queeres Leben im 20. Jahrhundert

Queere Popkultur gab es auch schon im 20. Jahrhundert, wenn auch subtiler und versteckter. Kate Charlesworth erzählt von den queeren Ikonen und Vorbildern ihrer Zeit: Künstler wie David Bowie und Freddie Mercury, aber auch von heutzutage eher unbekannten Persönlichkeiten wie die lesbischen Journalistinnen Jackie Forster (Chefredakteurin von Sappho) und Nancy Spain: „This would have been about 1956, when we got our first telly and I saw her (Anm.: Nancy Spain) and thought: Oh, she’s lovely! We needed role models. And she was one of the very, very few role models we had then“, berichtet Kate Charlesworth.

Alan Turing

Public Domain

Alan Turing

In „United Queerdom“ werden auch bedrückende Geschichten erzählt. Denn gegen Mitte und auch noch gegen Ende des 20. Jahrhunderts wurden homosexuelle Menschen sanktioniert - gesetzlich wie auch gesellschaftlich. Etwa die Tennis-Ikone Billie Jean King, die 1981 als lesbisch geoutet wurde und daraufhin alle ihre Sponsoren verloren hat. Oder auch der britische Mathematiker Alan Turing, der im zweiten Weltkrieg als Codeknacker maßgeblich zur Decodierung von geheimen Funksprüchen der Nazis beigetragen hat. Er wurde 1952 aufgrund seiner Homosexualität zur Kastration verurteilt - durch die Hormonbehandlung wurde er schwer depressiv, 1954 nahm er sich das Leben.

LGBTQI+-Rights: Fortschritte wie auch Rückschläge

In dem Buch kann man über die Jahre die Fortschritte der LGBTQI+-Community mitverfolgen – die Entkriminalisierung von Homosexualität, die ersten Filme mit queeren Protagonist:innen, die ersten Pride Parades. Ebenso sieht man aber auch Rückschläge - etwa in den 80ern, als die AIDS-Epidemie ausbricht und von Politik wie auch Medien offen Stimmung gegen Homosexuelle gemacht wird. Die britische Premierministerin Margaret Thatcher sagt etwa im Jahr 1987: „Children who need to be taught to respect traditional moral values are being taught that they have an inalienable right to be gay.“

Cover von United Queerdom

Carlsen Comics

Die Graphic-Novel-Memoir „United Queerdom“ von Kate Charlesworth hat 320 Seiten und ist am 26.9.2023 im Carlsen Verlag erschienen.

In den Aussagen von Politikern, Zeitungsartikeln und bestimmte Personen der Öffentlichkeit von damals erkennt man ähnliche Argumentationsmuster wieder. Es wurde davor gewarnt, die Gesellschaft würde „übertolerant“ und Kinder würden „verwirrt“ werden, als Homosexualität legalisiert wurde. Ähnliche Sprache wird heutzutage im Diskurs über Gender verwendet. Ebenso wurde schon in den 1970ern den schwulen und lesbischen Personen nahegelegt, dass sie „ruhig queer sein“ dürfen, aber halt nicht in der Öffentlichkeit. Ähnliche Töne werden heutzutage im Pride Month angeschlagen.

Kate Charlesworth beobachtet in der heutigen Zeit, nach Jahren voller Errungenschaften, eine Zunahme von queerfeindlicher Sprache und Narrative: „Now with the rise of the right - it’s awful.“ Deshalb: „We need to show up as a united front.“ Ihr Buch ist eine gute Erinnerung daran, dass die Fortschritte bezüglich der Rechte und Behandlung der LGBTQI-Community nicht einfach so passiert sind, sondern in den letzten Jahrzehnten hart erkämpft wurden. Und auch, dass kollektiv und stetig weitergekämpft werden muss, damit es auch so bleibt.

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