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leftovers

Anna Francesca

Leftovers sind „müde“ und das ist auch gut so

Nach der Wut kommt die Erschöpfung. Die Leere wird zum Schauplatz, wo Neues entsteht. Warum „müde“ zu sein nicht gleich Trägheit bedeutet und die Leftovers für immer eine Schulband bleiben.

Von Alica Ouschan

„Wart nur ab, bis das zweite Album kommt, das wird noch viel ärger“, haben die Leftovers vor einem Jahr versprochen, als sie gerade ihr Debut „Krach“ frisch in die Welt entlassen haben. Jetzt ist es da, das zweite Album, und ganz so viel ärger ist es dann doch nicht geworden. „Müde“ rankt sich ganzheitlich um den Albumtitel, der rohe Grunge ist an vielen Stellen dem Shoegaze gewichen. Das Innere wird nicht mehr ungefiltert rausgeschrien, man hat sich den Kopf darüber zerbrochen, was genau man eigentlich aussagen will. Die jugendliche Wut und Energie wurde transformiert, in etwas weniger Impulsives.

Albumcover

Phat Penguin

Müde erscheint bei Phat Penguin am 3. November.

Leere schafft Platz für Neues

„Wenn man so wütend ist und schon so viel geheult hat, dass man keine Emotionen mehr hat, man liegt nur noch da, und alles fühlt sich nach Nichts an“, versucht Anna das Gefühl von „müde“ im Leftovers Dictionary zu definieren. Nach der Wut kommt die Leere – und auch wenn sich das vielleicht im ersten Moment wie Trägheit anfühlt, schafft sie doch Platz für Neues.

„Beim ersten Album haben wir eigentlich nur alle Songs, die wir hatten, zusammengeworfen, das war ein ziemliches Durcheinander, es gab kein Konzept“, sagt Leon. „’Müde’ ist da schon viel durchdachter“, und zwar in gleich mehrerlei Hinsicht.

Leonid, Anna, Alex und Leon haben schon immer gemeinsam an ihren Songs gearbeitet, bei diesem Album ist im Vergleich zu ihren Anfängen als Band aber wirklich die Handschrift jeder einzelnen Person klar ersichtlich. Sie alle haben Texte geschrieben, wer etwas zu sagen hatte, bekam Platz, das zu tun, Songs waren erst dann fertig, wenn alle damit zufrieden waren: „Es ist alles kanalisierter“, sagt Anna. „Wir haben uns ganz genau überlegt, was wir wollen, und haben auch vieles verändert oder ganz verworfen.“

Shoegaziger, müder, verkopfter klingt das Ganze. Leftovers nähren sich der Neuen Neuen Deutschen Welle an, klingen mehr nach Post-Punk, liebäugeln mit Synths. Wo vorher Sound einfach da war, machen sie sich jetzt Gedanken, wie er klingen soll. Es wird nicht mehr einfach nur Krach gemacht - kann es denn wirklich wahr sein, ist das jetzt Musik?

Der Anspruch an sich selbst hat sich zumindest sehr verfeinert. Sprachkunst-Studierende werden bei den verbalen Verrenkungen, die vollbracht werden, um die Gefühle einer Angststörung auszudrücken, blass vor Neid: „Dein Blut tropft in das Wasser, roter Nebel in Keramik. Ich tauche ein und habe Panik.“

Gleichzeitig wird der lyrische Tiefsinn im schlichten Ausdruck gefunden: „Wir sind rebellisch und frei und eins plus eins macht zwei.“ Wer hier „müde“ sein mit Trägheit verwechselt, liegt daneben. Die emotionale Leere nach einem Wutausbruch verbindet sich hier mit der Suche nach dem Ursprung („Ich kann mich nicht mehr sehen. Ich find mich nicht. Brich mich.“) und dem Zulassen („Die Welt ist krank. Wir sind das Gift. Und du bist krank, doch du spürst nichts“) von Gefühlen.

Mit Wanda auf Tour

Leftovers sind eine Band, die man erst dann richtig kennt, wenn man sie zumindest einmal live erlebt hat: „Es wird uns öfter gesagt, dass wir live auch einfach besser sind“, sagt Alex, und Leon ergänzt: „Es ist nochmal wilder und energetischer, manche Songs funktionieren live einfach besser.“

Leftovers haben zwischen den Releases ihrer beiden Alben Gigs in Österreich und Deutschland gespielt, auf dem letzten Nova Rock dem Headliner Bilderbuch reihenweise die Fans abgeluchst und konnten sich zuletzt als Support für Wanda einem Publikum außerhalb ihrer gewohnten Crowd präsentieren. Während die Fans bei den Leftovers-Shows teilweise so jung sind, dass ihre Eltern als Begleitpersonen mitkommen, sieht man auf Wanda-Konzerten eher Millennials, die ihre Kindern auf den Schultern mit zum Konzert nehmen.

Leftovers

Anna Francesca

„Nach den Wanda-Shows sind die Leute zu uns gekommen und haben gesagt: ‚Meine Kinder fänden euch sicher voll cool’“, sagt Alex. „Die haben dann T-Shirts und Platten für ihre Kinder gekauft, die gar nicht dabei, sondern zuhause waren.“ Nicht alle Wanda-Fans konnten dem rotzig frechen Gehabe der Leftovers etwas abgewinnen: „In Würzburg war unser erster großer Gig“, sagt Leon.

„Wir dachten, wir zeigen denen jetzt mal, wie frech wir sind – unser Tontechniker hat uns im Nachhinein erzählt, dass Leute hinter ihm ‚Aufhören!‘ geschrien haben.“ Betitelt wurde das Ganze in der lokalen Presse als „Mischung zwischen Tokio Hotel, Nirvana und Schulband“. Wer die Leftovers kennt, weiß, dass man ihnen eigentlich kein größeres Kompliment machen könnte. Wieder ein Ziel erreicht, nächstes Ziel: ein eigener Nightliner, damit man nicht selber Autofahren muss.

Leftovers live:

  • 24.11. Graz, PPC
  • 25.11. Steyr, Röda
  • 30.11. Wien, Arena
  • 10.12. München, Milla

Schulband made by Tokio Hotel meets Nirvana

Kann man zu alt sein, um Leftovers zu verstehen? „Nein“, sagt die Band, die wahrhaftig mit Tokio Hotel aufgewachsen ist. „Klar hilft es, dass wir Anfang 20 sind und sich deshalb Anfang 20-Jährige eher mit uns identifizieren können. Aber grundsätzlich geht es bei uns um Themen, die alle Menschen verstehen können oder zumindest mal verstanden haben.“ Wenn man musikalische Vorbilder hat, die vielleicht schon gestorben sind, bevor man selbst begonnen hat zu leben, ist für Leftovers aber umso schöner, „wenn zu uns Menschen kommen, die sagen, dass das, was wir machen, sie an ihre Jugend erinnert; wir können ja nicht wissen, wie es damals war, wir können nur die Musik von damals hören“.

Inspiration schön und gut, aber eigenes Ding machen immer noch besser, darüber sind sich die „Wiener Schule“-Begründer*innen heute noch sicherer als damals. „Ich scheiß ma nix“, heißt es in einem der Songs. Hier wird Beton - wie sich’s g’hört - auch noch österreichisch ausgesprochen. Am Beton, am Boden bleiben, auch wichtig, wie die Leftovers im letzten Jahr gemerkt haben.

Raus aus dem Kinderzimmer

Egal, wie wütend man ist, manche Dinge kann man eben nicht ändern und wenn man laut rumschreit, muss man sich die Energie besser einteilen, damit sie einem nicht ausgeht: „Mit dem Album haben wir verstanden, wie die Musikindustrie funktioniert“, resümiert Leon.

Wutausbrüche, Verzweiflung und Emotionalität sind zwar noch genauso da wie auf dem ersten Album, die jugendliche Naivität konnte dem stetigen Lernprozess des letzten Jahres aber nicht standhalten. Die wahre Kunst ist hier vielleicht auch nicht, die blinde Wut zu channeln, sondern einen Umgang damit zu finden, dass die Scheißwelt trotz Geschrei und Krach scheiße bleibt.

Da stehen sie jetzt also, die Leftovers, einst geplagt von jugendlicher Naivität, Verzweiflung und blinder Wut, nicht mehr in, sondern vor ihrem Kinderzimmer. Weil sie ihm entwachsen sind. Ganz erwachsen sind sie zwar noch lange nicht, Coming-of-Age-Alben werden aber sowieso nie alt, weil sie in jedem Lebensabschnitt bittersüß schmecken. Wahrscheinlich ist „Müde“ genau deshalb auch so gut.

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