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Zeitverschwenden, aber wie?

Wie kann man am sinnvollsten Zeit verschwenden? Die Antwort auf diese Frage nicht zu finden, das beschreibt Ilona Hartmanns zweiten Roman „Klarkommen“.

Von Alica Ouschan

Sie will unbedingt ihre Jugend verschwenden, aber nicht so. Die namenlose Protagonistin in Ilona Hartmanns zweitem Roman ist nicht unbedingt unglücklich, aber eben auch nicht zufrieden. Sie gibt sich zwar zufrieden mit den Umständen und versucht, das Beste draus zu machen, verspürt aber gleichzeitig den Wunsch, mehr aus dem Leben rauszuholen als es von selbst preisgibt.

Buchcover "klarkommen"

Max Sand/park x Ullstein

„Klarkommen“ von Ilona Hartmann ist bei park x ullstein erschienen und hat 192 Seiten.

In kurzen und superkurzen Kapiteln, die wie random betitelte Tagebucheinträge ohne Datum wirken, beschreibt Ilona Hartmanns Ich-Erzählerin diese oft unbesprochene Phase, zwischen Adoleszenz und Erwachsen-Sein. Diese erscheint vor ihrem Eintreffen so unfassbar groß und bedeutend und wenn sie zurückliegt, könnte sie sich fast nicht egaler anfühlen. In dem Moment aber, wo sie das hier und jetzt ist, zieht sie gefühlt einfach so vorbei, obwohl man sie mit aller Kraft festzuhalten versucht.

Klingt im ersten Moment tiefenphilosophisch, Ilona Hartmann schafft es aber wieder einmal, die großen Sinnesfragen des Lebens durch trockene, beliebige Alltagssituationen, die wir alle kennen, erfahrbar zu machen.

Alle Landkinder, die es irgendwann aus der Provinz in die Großstadt gezogen hat kennen es: Es ist ein Neuanfang, die Möglichkeit sich neu zu erfinden, alles auf Null. Es werden mehr Pläne geschmiedet, als man je umsetzen könnte. Man versucht rauszufinden, wer man selbst ist, während die Vorstellungen davon, wer man sein sollte oder möchte einen noch verlorener dastehen lassen. Das echte Leben beginnt, es sind die angeblich besten Jahre des Lebens. Und darauf muss man erstmal klarkommen.

Von der Provinz in die Großstadt

Die Erzählerin zieht gemeinsam mit ihren zwei besten Schulfreund:innen in eine baufällige Wohnung in der Stadt (vermutlich Berlin) wo sie alle studieren wollen. Aber nur eine der drei kriegt das so richtig auf die Reihe. Die Tage, Wochen und Monate ziehen vorbei und während die beste Freundin Mounia sich in die Verdammnis strebert, findet Leon durch seinen Barkeeper-Job in der Eckkneipe superschnell viele neue Freund:innen.

Dazwischen: die Protagonistin, verloren und unwissend darüber was sie eigentlich will. Zwischen Panikattacken, Zukunftsangst und Selbstzweifel - immer darauf bedacht, sich selbst in Situationen zu manövrieren, in denen man die Schuld dafür wem anders zuschieben kann. Sie macht so viel und doch fühlt es sich an wie nichts, verliert sich in den Vorstellungen davon wie das Leben sein müsste, oder was man zu diesem Zeitpunkt nicht eigentlich alles schon gern gemacht hätte. Stichwort: die 30 Dinge Liste: „Klingt alles irgendwie voll anstrengend“, so hat sie sich das Erwachsenwerden nicht vorgestellt.

„klarkommen spinnt ein dichtes netz aus ereignissen, die irgendwie geiler hätten laufen können“, bringt es Ilona Hartmann in einem ihrer Tweets besser auf den Punkt, als es irgendwer sonst könnte. Obwohl es so unaufregend ist, saugt einen „Klarkommen“ vom ersten Kapitel an in sich rein. Es glänzt durch seine Einfachheit, oder anders gesagt: Es werden fast ausschließlich simple Worte und beliebige Beispiele angeführt, um einen komplexen Sachverhalt, eine Gefühlslage, eine ganze Lebensphase zu erklären. Und selbst da, wo das meiste irgendwo zwischen den Zeilen steht, fühlt man sich beim Lesen gesehen. Es braucht nicht immer das große Drama, den Schicksalsschlag, den ersten großen Herzschmerz. Manchmal ist das Leben ohne all das schon überfordernd genug - und wenn nicht dann machen es die eigenen Gedanken eben überfordernd.

„Niemand fickt, alle haben Angst vor Drogen und cool sind immer nur die anderen“

Ilona Hartmann thematisiert damit indirekt eigentlich all das, was sie auf Twitter und Instagram beobachtet und kommentiert. Das Zeitgeschehen und seinen Einfluss auf bestimmte Generationen und Lebensphasen. Sie ist selbsternannter Teil der „First Generation Mental Health“ (ob unironisch oder nicht ganz ernstgemeint bleibt offen) und stellt mit ihrem Buch jenen etwas entgegen, die ständig davon reden, dass die Jugend heutzutage nicht mehr belastbar und zu schnell überfordert sei - und bestätigt sie im gleichen Atemzug genau darin.

Das Leben ist für junge Menschen wie die Protagonistin heutzutage auf der einen Seite viel zu vorhersehbar und auf der anderen Seite nicht planbar genug. Wer sich an dieser Stelle fragt, wie eine solch langweilige Person so anstrengend sein kann, tut das zurecht. Ihre Überforderung mit sich selbst bringt die Erzählerin nach nur wenigen Monaten dazu, in ihre heimatliche Provinz zurückzukehren.

„Es war genauso langweilig wie immer, sofort ergriff mich die Provinzbeklemmung. Ich sehnte mich nach der großen Stadt, die wieder genauso verheißungsvoll aus der Ferne glänzte wie früher. Bei meinen Spaziergängen entlang der unveränderten Straßenzüge und Ladenpassagen musste ich mir eingestehen, dass auch ich selbst nicht die fundamentale Transformation durchlebt hatte, die überhaupt erst der Grund für meinen Weggang gewesen war.“

Wenn man im Hinterkopf behält, das die Protagonistin etwa neunzehn, maximal zwanzig Jahre alt ist, scheinen ihre Ängste und Probleme vielleicht klein und unbedeutend - im Moment des Erlebens sind sie aber das was den meisten Platz einnimmt. Ilona Hartmann will jungen Menschen mitgeben, dass das Leben nicht mit dreißig plötzlich vorbei ist - die besten Jahre des Lebens sind vermutlich nicht die, von denen du gedacht hast, dass sie es sein werden.

Wohin mit all der verschwendbaren Zeit?

Live in the moment, don’t plan, have fun etc. all die Kalendersprüche, die wir uns gerne zu Herzen nehmen würden widersprechen nun mal oft der Lebensrealität: Wir legen den Fokus auf Unwichtiges und (noch schlimmer) auf die Dinge die nicht klappen, so dass oft keine Zeit dazu da ist, die wirklich guten Dinge zu sehen und zu genießen. Bei unserer Protagonistin ist das zum Beispiel eine enge neue Freundinnenschaft, die nur am Rande erwähnt wird. Eine andere, die nur als Mittel zum Zweck der Befriedigung des eigenen Mitteilungsbedürfnisses eingeordnet wird. Stattdessen hat sie eine seltsame, unromantische Situationship, bei der sie selbst nicht ganz genau weiß warum, aber auch nicht loslassen kann.

Das erste Jahr in der großen Stadt war achtlos an uns vorbeigelatscht wie eine Passantin, während wir in der Spiegelung eines Ladenfensters überprüfen, ob wir gut aussahen (nein).

Das Ende ist genauso ernüchternd und undramatisch wie jede andere Zeile im Buch. Soll aber nicht heißen, Ilona Hartmanns Roman sei langweilig, ganz im Gegenteil, dafür regt einen die Untätigkeit der Figuren und ihr Versinken im Sumpf des Selbstmitleids viel zu sehr auf. Wie soll man auch seine Zeit verschwenden, wenn man erstmal drauf klarkommen muss, dass man Zeit zum Verschwenden hat?

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