Es knistert ein RomCom Vibe in der Luft

My Ugly Clementine haben gestern ihren Tourabschluss in der ausverkauften Arena in Wien gespielt, Zusatztermin folgt heute. Von Stagediving, mehrstimmigen Gesängen, RomComs, Feminismus und dem guten Leben.

Von Alexandra Rodriguez-Breña

Wer kann glauben, dass das erste Album „Vitamin C“ von My Ugly Clementine nun schon drei Jahre her ist? In diesen drei Jahren hat sich viel getan: Während das Debütalbum der Powergroup My Ugly Clementine inmitten einer Pandemie released wurde, tat das dem Erfolg der Band keinen Abbruch, im Gegenteil wohl eher. Ich kann nicht die Einzige sein, die mitten im Lockdown „Never be Yours“ während dem neuen Quarantäne-Hobby Backen mitgegrölt hat. Und mitgegrölt wurde dieser Song auch gestern Abend in der Arena.

Das gute Leben

My Ugly Clementine haben im August ihr zweites Album „The Good Life“ herausgebracht. Seit 2019, als sich die Band gegründet hat, hat sich einiges geändert, sowohl generell in der Welt als auch bei dieser Musikgruppe. Nach ein paar Änderungen in der Zusammensetzung haben sich schließlich Sophie Lindinger (Leyya), Mira Lu Kovacs (Schmied’s Puls, 5KHD) und Nastasja Ronck (Sharktank, Lucid Kid) und Drummer zusammengefunden und präsentieren sich nach ihrer The Good Life Tour 2023 mit bereits 12 gespielten Konzerten als Dreamteam - und auch der Tourabschluss in der Arena in Wien, Heimspiel sozusagen, zeigt, wie gut diese Band funktioniert. Gänsehaut von Bandkapperl am Kopf bis zur Doc Martens-Sohle.

Female is not a Genre

Female is not a Genre steht auf einer Equipment Box auf der Bühne und es zieht sich als passendes Motto durch den Abend. Endlich Abschied nehmen von Begriffen wie „Girlband“ oder „Powerfrau“, Begriffe die einfach hart nerven und sich nur auf das Äußerliche und diese Binarität beziehen, anstatt mal auf das zu achten, was da eigentlich so gemacht wird, welche Musik, welche Mood, so wie es bei Bubenbands der Fall ist (ich plädiere an dieser Stelle Musikgruppen, die nur Männer beinhalten, von nun an Bubenband zu nennen). My Ugly Clementine schaffen es sowohl mit musikalischen Können als auch mit ihrer unglaublich sympathischen Art, die Menge zu motivieren. Eine Konzertbesucherin sagt nach dem Gig:

„Es hat nicht versucht irgendwas zu sein, sondern es war einfach.“

Es war einfach und es war schön.

Power Indie Pop Serviervorschlag

Schon bei der Vorband Crush beginnt, was später in Ekstase endet: Fünf Leute stehen da auf der Bühne und liefern hell strahlenden Power Indie Pop, der mich manchmal sogar an meine Pop Punk Phase aus Teenie Jahren zurückerinnern lässt - und alles fühlt sich leicht an. Da hüpfen Menschen auf der Bühne, in die E-Gitarren wird geschrammt und die ganze Bühne strahlt. Und auf einmal beginnt ein Gefühl, das sich durch den ganzen Abend ziehen wird: Wholesome Glückseligkeit.

Ouvertüre mit Vibe Check

Die Arena platzt aus allen Nähten. Die Stimmung ist aufgekratzt, aber cozy, alle sind in rotes Scheinwerferlicht getaucht, süße Freund:innengruppen sind vorfreudig, der Vibecheck würde sagen: passt. Draußen braune Blätter am Boden, drinnen versammeln sich halb Wien und die Bundesländer zum Musik zelebrieren: „Voi, i bin extra aus Oberösterreich angereist!“ erzählt eine Konzertbesucherin ins gelbe FM4 Mikrofon.

Und dann beginnt es auch schon: My Ugly Clementine kommen auf die Bühne und sie leuchten: Ob es das Schwarzlicht und die Neon Farbe in ihren Gesichtern ist oder die Aufgeregtheit, wahrscheinlich beides. Eine sanfte Rückkopplung versetzt die große Halle in eine ganz eigene Atmosphäre, passend zum sphärischen Ton stimmen die drei Musikerinnen einen mehrstimmigen Gesang an und eröffnen mit dieser Ouvertüre ihr Fest. Mira Lu Kovacs gestikuliert und dirigiert mit, ihr weißes Kleid und die hellen Haare lassen sie leuchten wie eine Fee im Schwarzlicht.

Romantische Komödie

Es knistert ein RomCom Vibe in der Luft. Nach und nach fühlt es sich immer mehr an wie als würde man in seine alten Lieblingsfilme kurz eintauchen, ein cooles Indie Konzert, auf welches Harry und Sally möglicherweise in Chicago gehen, das Event zu welchem sich Tom Hanks und Meg Ryan via E-Mail verabreden. Oder: ein cooler Musikclub wo man Kat trifft wie sie von Heath Ledger erzählt und davon, wie sehr sie es hasst ihn zu lieben. Apropos Heath Ledger:

Oh I hate the way I don’t hate you
Not even close at all
Not even just a little bit
Not even at all

So what are you thinking?
You want to be friends
My darling, former lover:
This the end
Na Na Na

Ja, die Clementines haben einen Song im Programm, inspiriert von dem Film „10 Things I hate about you“. Sie spielen ihn auch in der Arena und das Herz öffnet sich, der Herzschmerz, den man mal gefühlt hat scheint auf einmal wieder in der Magengegend auf, allerdings zum Glück schon gut verdaut und er bringt nur die nostalgische Wärme, die die Ameisen bis in die Zehenspitzen wandern lässt.

Auch wenn die Crowd am Anfang noch etwas zurückhaltender ist, wächst das Gemeinschaftsgefühl mit jedem Lied ein bisschen mehr. Sophie Lindinger legt bei einer Zwischenansprache offen, wie arg sie es findet, dass so viele Menschen da sind: „Ich komme mir vor, als wären wir gerade Support für irgendeine große Band, die nach uns spielt, aber ihr seid für uns da!“ Die drei Musikerinnen schauen einander an und lächeln.

Geburtstagsfest und Stagediving

Diese Woche hatte Sophie Lindinger Geburtstag und was wäre eine bessere Geburtstagsfeier als zwei ausverkaufte Tourabschlusskonzerte in der Arena? Sie erzählt, dass sie noch nie gestagedived hat, dabei stehe es schon sehr lange auf ihrer Bucketlist. Sophie und Nastasja werfen sich in die Menge, es wird gefeiert und gedived, die Menge tobt und tanzt. Nach dem Stagediving möchte sich Sophie bedanken - „Ich entschuldige mich aber auch bei jedem dem ich vielleicht meinen Schuh ins Gesicht gedrückt hab!“ - und wird dann aber plötzlich von der Menge unterbrochen, denn diese stimmt gleich ein Happy Birthday für sie an. Rund 1000 Menschen singen ihr im Chor ihre Glückwünsche, Sophie ist sichtlich gerührt und sagt mit zittriger Stimme und Hand vor dem Gesicht Danke.

Hits Hits Hits

Die Setlist der Clementines ist gefühlt auf’s kleinste Detail genau kuratiert mit passenden Intermissions und lieben Zwischenansagen folgen aufeinander Songs von Album 1 und 2 und irgendwie fühlt man sich, als könnte man alle entspannt mitsingen. Doch gegen Ende der Setlist fällt langsam auf: Jetzt kommen die Hits. Egal ob die „Ayayaya“ mitsingende Menge bei „Feet Up“ oder das Aufbrechen in Uuu-uuuuhh-Uuu-uuuuh-Gesänge bei „Who“, eingängig und catchy können sie. Spätestens beim letzten Song „Playground“ steht niemand mehr still.

Zugabe mit Message

My Ugly Clementine sind eine starke Band, und sie sind eine feministische Band. Und das hört man auch in ihrer Zugabe: Als ersten Song der Zugabe spielen sie ein Cover von dem 90s Classic „What’s going on“ der Band 4 Non Blondes. Diesen Song widmen sie einer ganz bestimmten Band. Eine Konzertbesucherin erinnert sich an den Moment zurück: „Ich fand es sehr toll, wie sie auf Rammstein Bezug genommen haben und das nochmal angesprochen haben, dass sie eine neue Tour machen und es wieder Konzerte gibt. Und ich finde es einfach grenzwertig, dass man dieser Band nochmal eine Bühne gibt. Ich fand es super, dass My Ugly Clementine das zum Thema gemacht hat.“ Aber an diese Typen denkt an dem Abend sowieso niemand.