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ME/CFS: die unbekannte Krankheit

Schmerzen, Konzentrationsstörungen, der Körper macht nicht, was man will, auch die kleinste Tätigkeit führt zur Überanstrengung bis zum völligen Zusammenbruch. Viele können das Haus oder sogar das Bett nicht mehr verlassen: Das ist ME/CFS, und davon sind zehntausende Menschen in Österreich betroffen.

Von Jenny Blochberger

Licht tut Mila weh. Auch Berührungen hält sie kaum aus. Selbst wenn jemand im gleichen Raum mit ihr ist, strengt sie das extrem an. Wenn sie etwas trinken will oder die Haare im Gesicht stören, deutet sie das mit den Fingern an, und ihre Mutter, die die sachten Bewegungen zu lesen gelernt hat, bringt ihr ein Glas Wasser oder streicht ihr die Haare zurück.

Mila ist Anfang 20 und hat seit einigen Jahren ME/CFS. Sie kann aufgrund ihrer Krankheit nur im Bett liegen, alle Reize müssen auf ein Minimum beschränkt sein. Ihre Eltern haben eine zweite Wohnung angemietet, wo sie und Milas Zwillingsschwester duschen und Gespräche führen können, ohne dass die Geräusche Mila Schmerzen bereiten.

„Klar, sie bekommt zu essen und wird gepflegt, aber so, wie die Mila jetzt existiert, ist das ein Leben unterhalb des Existenzminimums.“ Sabine Hermisson, Milas Mutter

Im Rahmen von Licht ins Dunkel befassen wir uns heuer mit dem noch zu wenig bekannten Thema ME/CFS, um Betroffene zu unterstützen und auf die Krankheit aufmerksam zu machen.

Wodurch entsteht ME/CFS?

In den meisten Fällen wird ME/CFS durch einen (bakteriellen oder viralen) Infekt ausgelöst. Daneben sind aber auch andere Auslöser wie Schädel-Hirn-Traumata, Operationen oder allergische Reaktionen dokumentiert. Nach den genauen Ursachen wird noch geforscht.

Wie zeigt sich ME/CFS?

ME/CFS ist eine Multisystemerkrankung, zeigt sich also auf verschiedenen Ebenen. Betroffene Menschen können oft stunden- oder tagelang nur liegen. Jegliche Anstrengung und jeglicher Reiz, sogar Musik, Berührungen oder kurze Gespräche, sind zu viel für sie. Das vorherrschende Symptom ist die sogenannte Post Exertional Malaise (PEM). Das ist eine deutliche und im schlimmsten Fall sogar bleibende Zustandsverschlechterung nach bereits geringer Belastung. Das bezeichnen die Betroffenen als „Crash“.

Weitere mögliche Symptome sind Glieder- oder Muskelschmerzen, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, „Brainfog“ u.a. Die Erkrankung geht bis zur Arbeitsunfähigkeit oder so weit, dass Betroffene auf Pflege angewiesen sind.

„Diese Erschöpfung, wenn man mal eine anstrengende Woche hatte oder Sport gemacht hat und sich nachher ausrastet und dann geht’s wieder, das ist komplett was anderes als das, was Leute mit ME/CFS erleben.“ Dr. Michael Stingl, Neurologe & ME/CFS-Spezialist

Wie wird ME/CFS behandelt?

ME/CFS kann nach derzeitigem Stand nicht „geheilt“ werden, es können nur die Symptome gelindert werden. Aber selbst Ärzt:innen wissen oft viel zu wenig über die Krankheit und diagnostizieren sie mitunter falsch. Viele Therapien, die auf körperliche Aktivierung setzen, helfen hier nicht nur nicht, sondern können sogar schädlich sein, da jegliche Anstrengung zum Zusammenbruch führen kann. Sogenannte „Off-Label“-Therapien können helfen, werden aber oft nicht von der Krankenkasse bezahlt, da sie (noch) nicht anerkannt sind.

ME/CFS = Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue Syndrom

  • Myalgie bedeutet Muskelschmerz
  • Enzephalomyelitis ist eine Entzündung des Hirns und Rückenmarks mit Muskelbeteiligung
  • CFS = Chronisches Fatigue Syndrom

Long Covid / Post Covid = Symptome, die nach einer akuten COVID-19-Erkrankung auftreten und auch 12 Wochen nach Erkrankungsbeginn anhalten. Long Covid kann viele verschiedene Formen haben. Die schwerste Form ist ME/CFS.

Fehler beim Umgang mit ME/CFS

„Sich einfach ein bisschen bemühen“ ist bei ME/CFS kontraproduktiv und kann zu einem sogenannten „Crash“ führen, einer Verschlechterung des Zustands. „Sich einfach ein bisschen ausruhen“ hilft meist nicht, da es sich eben nicht um Erschöpfung, wie sie gesunde Menschen kennen, handelt. Schlafen führt bei Erkrankten nicht zu einer Erholung wie bei gesunden Menschen. Auch nur leichte körperliche oder kognitive Anstrengung, die bei anderen Erkrankungen empfohlen wird, kann zu einer PEM führen, also einer Verschlechterung.

Umstrittene Bezeichnung

ME/CFS hat die zusätzliche Problematik, dass der Name weder griffig ist noch das Krankheitsbild komplett korrekt beschreibt: „Fatigue“ wird oft als Erschöpfung übersetzt, was selbst mit der Erweiterung „extreme Erschöpfung“ den Zustand Betroffener nicht adäquat ausdrückt, der eben nichts mit dem gesunden Menschen bekannten Erschöpfungszustand zu tun hat und auch nicht durch Ruhe behoben werden kann. Durch die Assoziation mit Müdigkeit oder Erschöpfung wird diese schwere Krankheit oft nicht ernst genug genommen. Eine zutreffendere Bezeichnung wurde aber noch nicht gefunden, deswegen wird derzeit der Terminus ME/CFS beibehalten.

Was hilft Betroffenen?

Derzeit gibt es noch keine zugelassenen Medikamente oder Therapien. Es gibt aber Strategien, die Betroffenen helfen können, etwa das „Pacing“: Beim Pacing geht es um einen schonenden Umgang mit den eigenen Kräften. Dabei sollen Betroffene lernen, genau auf den eigenen Körper zu hören und ihre Kräfte richtig einzuteilen. Dazu gehört zum Beispiel, eigene Belastungsgrenzen zu erkennen und einzuhalten. Das Ziel von Pacing ist, dass sogenannte „Crashs“ verhindert werden oder weniger schwer verlaufen.

Für das Lindern der Symptome gibt es ein paar Strategien und Hilfsmittel. Das sind beispielsweise Off-Label-Medikamente oder Pulsuhren, die dabei helfen können, die eigenen Leistungsgrenzen besser wahrzunehmen.

Wie viele Menschen haben ME/CFS?

In Österreich gibt es keine Erhebungen dazu, wie viele Menschen von ME/CFS betroffen sind. Nach internationalen Schätzungen waren es bereits vor der Pandemie bis zu 80.000 Betroffene. Durch die Pandemie hat sich die Zahl der Betroffenen deutlich erhöht. Weltweit beträgt die Anzahl der an ME/CFS Erkrankten nach diesen Schätzungen mindestens 23 Millionen. Zwei Drittel der Erkrankten sind Frauen. ME/CFS bricht vor allem bei jungen Menschen zwischen 10 und 19 und zwischen 30 und 39 Jahren aus. Auch Kinder sind daher von ME/CFS betroffen.

Ist ME/CFS das Gleiche wie Long Covid?

Nicht ganz: ME/CFS kann aber eine Form von Long Covid sein. Long Covid umfasst Symptome, die nach einer COVID-19-Erkrankung auftreten und Wochen oder Monate lang anhalten. Long Covid ist dabei ein Überbegriff für verschiedene Folgeerkrankungen, zu denen unter anderen ME/CFS gehört. Studien deuten darauf hin, dass nach einem halben Jahr Erkrankungsdauer circa die Hälfte der Long-Covid-Betroffenen die Diagnosekriterien für ME/CFS erfüllt. (Quelle: Deutsche Gesellschaft für ME/CFS) ME/CFS ist die schwerste Form von Long Covid.

Eine gute niederschwellige Erklärung liefert dieser Comic: neurolett.at

Türe mit Schild

FM4/Clemens Fantur

Wie steht das Gesundheitssystem zu ME/CFS?

Selbst Ärzt:innen wissen oft noch nicht über ME/CFS Bescheid. Die Erkrankung wird oft nicht als solche wahrgenommen oder fälschlicherweise als Depression diagnostiziert. Das ist gefährlich, da mögliche Therapien für Depressionen bei ME/CFS sogar kontraproduktiv sein und die Erkrankung verschlimmern können. Es gibt keine öffentliche Anlaufstelle für Betroffene in Österreich; die wenigen – privat zu zahlenden - Expert:innen sind überlaufen, haben lange Wartelisten oder nehmen gar keine Patient:innen mehr.

Ohne (korrekte) Diagnose wird auch keine Pflegestufe vergeben und kein Pflegegeld ausbezahlt. Es gibt zwar Angebote wie Telemedizin oder Hausbesuche, diese Angebote kommen aber oft bei den Betroffenen nicht an, weil der:die Hausärzt:in darüber nicht Bescheid weiß, sie nicht gestattet oder weil Datenschutzgründe angeführt werden.

„Es gibt ein paar Ärzte, die ich an beiden Händen abzählen kann. Es ist weiterhin ein Fight, und es bewegt sich nichts freiwillig.“ Kevin Thonhofer, Obmann der Österreichischen Gesellschaft für ME/CFS

Was tut der Staat für Betroffene?

Seit 2023 werden die wenigen Long-Covid-Ambulanzen in Österreich schrittweise geschlossen. Damit wurde die Versorgungssituation weiter verschlechtert. Aber Gesundheitsminister Johannes Rauch hat kürzlich einen Nationalen Aktionsplan zu Long COVID und ME/CFS angekündigt. Es soll ein nationales Referenzzentrum für postvirale Syndrome geschaffen werden, das Forschung, Austausch und Wissensvermittlung dient.

FM4 berichtet und informiert über ME/CFS

FM4 unterstützt im Rahmen von Licht ins Dunkel heuer Menschen, die an ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue Syndrom) erkrankt sind. Seit Beginn der Covid-19-Pandemie hat sich die Zahl der Betroffenen stark erhöht. Auch Kinder und Jugendliche sind betroffen. Die FM4 Aktion informiert auf allen Kanälen - on air, online und via Social Media - über diese noch wenig bekannte Krankheit und sammelt für den Unterstützungsfonds der Österreichischen Gesellschaft für ME/CFS für Betroffene.

Dieser hilft finanziell bei nicht gedeckten Arztkosten oder Hilfsmitteln wie Rollstühlen, Pflegebetten oder Rollatoren sowie bei Rechts- und Sozialberatungskosten. Außerdem supportet FM4 mit Spenden dringend notwendige Awareness-Raising-Aktivitäten durch die Österreichische Gesellschaft für ME/CFS. Eine der größten Herausforderungen bei der Bekämpfung von ME/CFS ist die geringe Bekanntheit dieser Erkrankung sowie die Tatsache, dass auch die Forschung noch keine Antworten auf viele Fragen hat. Ein Grund dafür ist, dass bisher zu wenig Forschungsmittel zur Verfügung gestellt wurden.

Was wurde aus der FM4 Aktion 2022/23?

Letztes Jahr widmete sich die FM4 Aktion drei Tafeln in Salzburg, Wien und dem Burgenland, die Lebensmittel an Menschen ausgeben, die sie sich nicht oder schwer leisten können. Mit euren Spenden konnte die Tafel Österreich unter anderem eine neues E-Mobil zum Lebensmitteltransport finanzieren. Hier erfahrt ihr, wie das Geld eingesetzt wurde.

FM4 Aktion: Wir sammeln eure Spenden!

  • Do, 7.12. Der Charity Stream im FM4 Spielekammerl, 15-21 Uhr
    Wir werfen das Spielekammerl für einen speziellen FM4 Charity Stream an und haben jede Menge tolle Gäste eingeladen, um mit euch gemeinsam für den guten Zweck zu spielen und zu plaudern. Mit Acts der österreichischen Musik wie Fiio oder den Amadeus-Gewinnern Hearts Hearts und Streamer:innen wie 2DKiri. Wir haben den mit dem österreichischen Buchpreis ausgezeichneten Autor Arad Dabiri zu Gast und spielen das analoge Spiel „Taskmaster Boardgame“ mit dem Spieleverein Paradice. Es werden spannende Goodies aus der Gamingwelt versteigert und dazu tun wir im Stream alles dafür, euch zu unterhalten und gemeinsam für den guten Zweck zu sammeln. Seid dabei, schaut zu, chattet mit auf unserem Twitch-Kanal twitch.tv/radio_fm4.
  • Fr, 15.12. FM4 Wunschtag - Dein Track für den guten Zweck, 6-19 Uhr
    Ab 4. Dezember haben es die FM4 Hörer:innen wieder selbst in der Hand, das FM4 Musikprogramm zu gestalten und gleichzeitig zu helfen. Gegen eine Spende für Betroffene von ME/CFS spielen wir die gewünschten Songs am Freitag, dem 15. Dezember. Alle Wünsche und Spenden können ab 4. Dezember über unsere Wunschplattform deponiert werden.

  • FM4 beim Resselbande-Punschstand am Karlsplatz
    FM4 Redakteur:innen und DJs hosten drei Abende des Resselbande-Punschstandes am Karlsplatz.
    • Do, 30.11. mit Joyce Muniz
    • Mi, 6.12. mit Kristian Davidek und Alex Augustin
    • Mi, 13.12. FM4 Swound Sound mit Makossa und Sugar B
  • Der FM4 Stehkalender
    … ist nach einer Woche im FM4 Shop schon wieder ausverkauft, einzelne Exemplare gibt es noch bei unseren Vertriebspartner:innen. Auch hier gehen alle Einnahmen an Betroffene von ME/CFS.
  • Direkt spenden
    Per Onlinebanking auf das Licht-ins-Dunkel-Konto mit dem Vermerk „FM4“:
    BAWAK P.S.K.
    BIC: BAWAATWW
    IBAN: AT20 6000 0000 0237 6000
Astrid Hainzl im Freien im Rollstuhl sitzend

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Astrid Hainzl

„Für ME/CFS-Betroffene ist die Situation im österreichischen Gesundheits- und Sozialsystem eine Katastrophe. Wir fordern, dass die Situation sich massiv verbessert.“ - Astrid Hainzl, stellvertretende Obfrau der Österreichischen Gesellschaft für ME/CFS

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