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Euphorie und pochende Herzen

Bradley Cooper hat mit „Maestro“ nicht nur eine Liebesklärung an den Komponisten, Dirigenten und Musiker Leonard Bernstein gedreht. Er schafft es auch, dass man sich bis über beide Ohren in Bernstein verliebt, wenn man das nicht eh schon ist. Ein Meisterwerk, mit dem sich Cooper auch als grandioser Regisseur von Euphorie und Melancholie – und Liebe beweist.

Von Pia Reiser

Nur beim Dirigieren hat Leonard Bernstein nicht geraucht, ansonsten ist die Zigarette der ständige Begleiter des Dirigenten, Komponisten und Musikers. Ebenfalls immer dabei hat der ewige Feschak Charme und Schmäh, eine überschäumende, ansteckende Energie.

„If summer does not sing in you, then nothing sings in you, and if nothing sings in you, then you can’t make music.“ Diese Zeile aus einem Gedicht spricht Bernstein zu Beginn des Films und zitiert seine Frau, die Schauspielerin Felicia Montealegre.

Szenenbild aus Maestro

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Ich kannte dieses Gedicht nicht, aber die Idee, dass der Sommer in einem singt, ist nicht nur wunderschön, sie umschreibt vielleicht auch gut, was an Bernstein, abgesehen von seinen Werken, auch über 30 Jahre nach seinem Tod so fasziniert: der Eindruck von einem Mann, in dem der Sommer singt. Wer ihm begegnet, hängt an seinen Lippen und verliebt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in ihn. Bradley Cooper gelingt es in „Maestro“ mit Leichtigkeit die einnehmende Persönlichkeit Bernsteins zu inszenieren.

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In der heutigen Episode des FM4 Filmpodcast sprechen Christian Fuchs und Pia Reiser über Ridley Scotts „Napoleon“ und Bradley Coopers „Maestro“. Mitternachts auf FM4.

Es ist ein Anruf, der die Karriere von Bernstein beschleunigt und den Film - nach einer Szene, die einen schon älteren Bernstein am Klavier zeigt - in Gang setzt. Bernstein soll als Dirigent ohne Proben einspringen. Wie er diesen Anruf entgegennimmt, dann aufs Bett hüpft, dem dort noch schlafenden Mann auf den Hintern trommelt, um dann ins Orchester zu gehen, nein, zu tanzen, begleitet von der exzellenten Kamera von Matthew Libatique, zählt zu den schönsten Szenen eines an schönen Szenen nicht armen Films. Bernstein war immer schon verliebt in die Welt, jetzt hat ihn die Welt am Dirigentenpult gesehen und ist hin und weg.

Eine ebenfalls gegenseitiges Hin-und-weg-Sein erleuchtet den Raum, als Leonard Bernstein und Felicia Montealegre (Carey Mulligan) einander auf einer Party kennenlernen. Und es ist dieser Bernstein, der Ehemann, der Liebhaber, der Vater, der in „Maestro“ im Vordergrund steht. „West Side Story“, das vermutlich bekannteste Werk Bernsteins, wird in „Maestro“ nur zweimal erwähnt. Einmal ertönt ein Song aus dem Musical, aber nur im Hintergrund.

Szenenbild aus "Maestro"

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Viele essenzielle Bausteine von Bernsteins Karriere - wie z.B. die Young People’s Concerts - werden nur nebenbei in Dialogen erwähnt. Cooper, der das Drehbuch gemeinsam mit Josh Singer geschrieben hat, verzichtet auf das Abklappern von wichtigen Stationen, das Runterrattern von Jahreszahlen, Auszeichnungen, Proben und Aufnahmen. Statt der für Biopics üblichen Montage von Erfolgsmomenten, gibt uns Cooper lieber eine sechsminütige Szene, in der Bernstein eine Sinfonie von Gustav Mahler in der Ely Cathedral dirigiert. Das Prinzip pars pro toto hat schon lange kein Biopic mehr so gut verstanden und eingesetzt.

Auch schon lange hat man kein Biopic mehr gesehen, wo der Film seiner Hauptfigur so zugetan war. Das heißt nicht, dass „Maestro“ aus Bernstein einen Übermenschen oder einen strahlenden Helden macht, aber es ist definitiv eine Umarmung, keine Dekonstruktion. Im Zentrum des Films steht die Beziehung zwischen Montealegre und Bernstein, die Schauspielerin sagt zwar lächelnd „I know exactly who you are“, dennoch ist die Ehe mit dem bisexuellen Bernstein nicht so einfach wie zunächst angenommen, das offene Arrangement irgendwann doch auch schmerzhaft für sie.

Szenenbild aus "Maestro"

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Wo Cooper als Regisseur in „A Star is Born“ noch in Sachen over-the-top oder auch Sentimentalität über die Stränge geschlagen hat, beweist er sich hier als meisterlicher Arrangeur eines Melodrams, einer Liebe, die sich nicht nur via Monogamie definieren lassen will, an dem vermutlich auch Douglas Sirk eine Freude gehabt hätte.

Was „Maestro“ auch ganz nebenbei gelingt, ist zu zeigen, wie Bernstein in so vielen Genres zuhause war und nie in Kategorien wie E- und U-Kultur gedacht hat. Das Komponieren, Dirigieren und Musizieren wird hier nie zur Qual (eine Seltenheit in Biopics über Künstler), hier wird kein Klavierdeckel zugedonnert, kein Notenpapier zerknüllt, nicht für eine Sekunde lang bewegt sich „Maestro“ auf das Parkett des „gequälten Genies“, „schwierigen Künstlers“ oder singt die Ballade, dass ohne Leid keine große Kunst entstehen kann.

Szenenbild aus "Maestro"

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Die Begeisterungsfähigkeit, die Energie und Verve von Coopers Bernstein springen runter von der Leinwand und wenn der Abspann von „Maestro“ läuft, dann singt der Sommer in einem.

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