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Buchcover "Content" Elias Hirschl

Anzinger und Rasp, KI-generiert/Midjourney

Literatur

Elias Hirschl und sein neuer Roman „Content“

Zwischen Social-Media-Psychose und dystopischen Bergwerkstrümmern: Der neue Roman „Content“ von Elias Hirschl hüpft zwischen Surrealismus, „Is it Cake?“-Video, Clickbait und Weltende-Akzeptanz.

Von Alexandra Rodriguez-Breña

In einem ehemaligen Kohleabbaugebiet steht auf einer Bergwerksruine das Bürogebäude der Content-Farm Smile Smile Inc. Ein Bürogebäude, in dem die Mitarbeiter:innen Clickbait-Listen-Artikel, Kuchen-YouTube-Videos und Hydraulikpresse-Content generieren. Die Protagonistin schreibt für die Content-Farm sogenannte Listicles (Nummer 7 wird dich zum Weinen bringen!) und schlägt sich durch einen dystopischen Alltag zwischen Internet-Fabrik und einstürzenden Straßen. Das neue Buch „Content“ von Elias Hirschl entführt in eine apokalyptische Zukunftsdystopie:

Elias Hirschl Autorenfoto

Leonhard Hilzensauer/Zsolnay

Elias Hirschl, geb. 1994, ist Autor, Musiker und Slam Poet und schreibt für Theater und Radio (u.a. auch für FM4). 2020 erhielt er den Reinhard-Priessnitz-Preis. Bücher: „Meine Freunde haben Adolf Hitler getötet und alles, was sie mir mitgebracht haben, ist dieses lausige T-Shirt“ (2016), „Hundert schwarze Nähmaschinen“ (2017) und „Salonfähig“ (2021).

Man gewöhnt sich an den Lärm der Hydraulikpressen, während man die Top 11 der außergewöhnlichsten UFO-Sichtungen googelt, sagt Karin. Man gewöhnt sich an das Kreischen der Standmixer, während man die 23 stärksten Pokémon porträtiert. An die zischenden SodaStreams gewöhnt man sich und an die Entsafter, die jedes Mal qualvoll aufschreien, wenn Marta ihnen ein weiteres Nokia 3310 füttert. Karin winkt Marta. Marta winkt mit einer Hand voller Nokias zurück. Ich winke auch.

On a downward spiral

Der Arbeitsunfall einer Arbeitskollegin zieht die namenlose Protagonistin in eine Spirale von psychotischen Ereignissen. Zum Beispiel das wochenlang andauernde Interview mit einem Journalisten, der eine Enthüllungsstory über die Content Farm und den suspekten Mutterkonzern „Hoff“ zu schreiben versucht, oder Dates mit dem neoliberalen jungen Mann Jonas, der jede Woche ein neues Start Up mit einer überemotionalen Entstehungsgeschichte gründet und sich leidenschaftlich für die Privatisierung von öffentlichen Leistungen einsetzt. Auch andere politische Themen wie die prekären Arbeitsverhältnisse der Essenlieferant:innen spielen in dem Buch eine Rolle, sowie die zunehmende Obdachlosigkeit.

Immer wieder entwickeln sich Alltagssituationen, die man aus dem eigenen Leben kennt, in dadaistische und surrealistisch überhöhte, verwirrende Erzählstränge. Themen sind Internet-Phänomene, Trends und Challenges aus Social Media, wie zum Beispiel die „Is It Cake?“-Videos:

Zur Hochkonjunktur der Is-It-Cake-Ära sei es im Büro unerträglich gewesen, sagt Marta. Überall habe sie versehentlich in Kuchen gegriffen. Wenn sie sich morgens an ihren PC setzte und zur Maus griff: Kuchen. Ihre Tasse mit dem kalten Kaffee vom Vortag: Kuchen. Einmal sei sogar ihr ganzer Schreibtisch samt Computerbildschirm und Tastatur aus Kuchen gewesen, sagt Marta. Sie habe etliche Minuten gedacht, ihr Computer sei kaputt, bis sie feststellte, wie weich und köstlich er war. Einmal habe sie einen Kuchen gegessen, der sich beim ersten Biss als ein völlig anderer Kuchen entpuppte.

Buchcover "Content" Elias Hirschl

Anzinger und Rasp, KI-generiert/Midjourney

„Content“ von Elias Hirschl erscheint im Zsolnay Verlag.

Elias Hirschl live:

  • 06.02.2024 Stifterhaus, Linz
  • 08.02.2024 Literaturhaus, Salzburg

Mehr Infos und Termine unter eliashirschl.com

Über das Schreiben mit KI

„Content“ von Elias Hirschl ist eine Romansatire, die so lange lustig ist, bis einem das Lachen im Hals stecken bleibt. Es ist eine Erzählung von und für die Generation KI: Das Bild am Buchcover wurde mittels dem KI-Kunst-Tool Midjourney generiert, und im Interview erzählt Hirschl, dass auch der Roman teilweise mit KI geschrieben wurde: „Das sind dann allerdings ganz andere Textstellen, als man glauben würde.“ ChatGPT hat es am Beginn der Entstehung von Content noch gar nicht gegeben, durch einen befreundeten Autor hat Hirschl allerdings andere KI-Tools zum Schreiben kennengelernt: „Ich hatte zwar vor, mehr mit der KI zu schreiben, aber es ist im Buch gar nicht so viel drin. Nur in zwei Kapiteln findet sich ein bisschen was und selbst das ist sehr wenig. Auch wenn man Inhalte automatisch generiert, muss man sehr viel nochmal drüber lektorieren und so viel umschreiben, damit es überhaupt Sinn macht.“

Referenzen, Pop Culture und IKM-Schreiber:innen

Die Inhalte der Erzählung erinnern laufend an Internet-Popkultur. Schon im Roman „Salonfähig“ hat Hirschl bewiesen, dass er das Referenzieren von popkulturellen Begriffen perfektioniert hat, und so ist es auch im Folgewerk „Content“. Hirschl schafft es, pointierte Referenzen, relatable content, Humor und das, was man früher mal Zeitgeist nannte, verschmelzen zu lassen. Ein Beispiel dafür stellt die Beschreibung einer romantischen, aber fiktiven Online-Beziehung einer IKM-Schreiberin, also einer Person, die im Auftrag eines Internet-Kontakt-Markts mit anderen User:innen (fake) Nachrichten austauscht, dar:

Ich markierte ihn unter Lustige Memes. Er markierte mich unter Lustige Memes. Er schickte mir eine selbstgemachte Spotify-Playlist mit den Greatest Hits der 2000er. Ich stellte ihm eine Netflix-Watchlist mit seinen Top 10 Lieblingsfilmen zusammen: Fight Club, Fight Club, Fight Club, Fight Club, Fight Club, Fight Club, Fight Club, Oldboy, Pulp Fiction und Fight Club.

Ein Blick hinter die Kulissen von Online Content

Im Interview erzählt Elias Hirschl, dass er durch seinen eigenen Medienkonsum während der Pandemie inspiriert wurde, einen Blick hinter die Kulissen von Online Content zu werfen: "Ich habe viel Doomscrolling betrieben und viele Nachrichten geschaut. Aber ich habe auch viele dumme YouTube-Videos geschaut und da habe ich so zwei, drei Firmen gesehen, die extrem viele Channels haben. Und diese Firmen haben auch die Channels mit den meisten Views und mit den abstrusesten Inhalten. Ich hab mich gefragt: Erstens, was sind das für Channels? Verfolgen die irgendwelche Zwecke, die ich nicht verstehe, oder ist es nur wegen Geld? Und zweitens, wie schaut die Lebensrealität von den Leuten aus, die dort arbeiten? Weil es muss ja auch super seltsam sein, wenn du Videos produzierst, die heißen wie „Die Vorteile davon, warum du dir mit Klebstoff die Zähne putzen solltest."“

Buch "Content" von Elias Hirschl

Zsolnay Verlag

Die Romansatire „Content“ von Elias Hirschl ist ein Buch zwischen Dada und Dystopie über die Zukunft einer „No Future Generation KI“. Das Lesen des Buches selbst fühlt sich an, als würde man durch eine Instagram For You Page scrollen: Surreal grotesk wirft einen der Erzählstrang laufend in andere Subgenres der Internetkultur, die laufend zitiert werden. Während des Lesens tun sich viele bekannte Content-Creations-Bilder der verschiedenen zeitgenössischen Internetkulturströmungen auf, die man schon sehr gut kennt. Und immer wieder kann man sich fragen: „Hat Elias Hirschl eigentlich den gleichen Social-Media-Algorithmus wie ich?“

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