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Neues Album von Tom Odell "Black Friday"

Rory Lengdon-Down

Tom Odell und sein neues Album „Black Friday“

Mit „Another Love“ hat Tom Odell einen Milliardenhit geschrieben. Auf seinem neuen Album „Black Friday“ geht es der sympathische Brite gewohnt melancholisch, aber auch bewusst schlampig an. Im April live in Österreich.

Von Christian Lehner

So läuft das also in einem Aufnahmestudio. „A sharp, C sharp, E sharp!“, gibt die Stimme dem Orchester Anweisungen über die Akkordfolge. Im Hintergrund fiedeln sich die Geigen warm. Der Albumtrack, auf dem diese Kakophonie zu hören ist, trägt den Titel „The Orchestra Tunes Up“. Er dauert knappe 50 Sekunden. Die Stimme gehört Tom Odell. In der Popsprache nennt man diese kurzen Aufnahmen „Interludes“. Sie sollen Leben in die Albumbude bringen.

„Ich wollte damit die Atmosphäre auflockern“, erklärt Tom Odell im FM4 Interview. „Es ist eine dunkle Spannung, die das Album zusammenhält. Die Streicher waren ein spontaner Einfall. Für mich sind sie wie ein lebender, atmender Organismus, der durch das Album schleicht und verschiedene dramaturgische Aufgaben erfüllt.“

Ein höflicher Star

Tom Odell ist etwas spät dran. Am Tag davor hat er ein kurzes Konzert für Radioeins im Bikini-Berlin gespielt. Das liegt ebenso am berühmt-berüchtigten Bahnhof Zoo wie das Luxushotel, in dem wir uns befinden. Tom Odell wirkt übermüdet und leicht neben der Spur. Er ist aber auf eine sehr britische Art zuvorkommend und höflich. „Guten Tag“, sagt er auf Deutsch und bietet mir während des Gesprächs an, das Aufnahmegerät zu halten, weil ich ja irgendwann einen Krampf bekommen könnte.

„Ich habe mich gestern schrecklich gefühlt“, gesteht Tom Odell. „Das tue ich ohnehin andauernd. Sobald ich aber an den Tasten sitze – egal, ob billiges Keyboard oder Flügel – geht es mir gut.“

Neues Album von Tom Odell "Black Friday"

Virgin Music

„Black Friday“ ist auf Virgin Music erschienen. Hier geht es zum FM4 Interview Podcast mit Tom Odell. Am 3. April gastiert Tom Odell im Rahmen eines FM4-Indiekiste-Konzerts in Wien. Leider ist die Show bereits ausverkauft.

Das mit dem Sich-nicht-wohl-Fühlen hat Tom Odell musikalisch verinnerlicht. Daraus ist eine ansehnliche Musikkarriere geworden. Der aus einer Mittelstandsfamilie in Sussex stammende, gelernte Pianist ist ein Meister der melancholischen Ballade. Der 2012 veröffentlichte Song „Another Love“ schreibt Tag für Tag eine der größten Erfolgsgeschichten des Gegenwartspop fort. „Another Love“ hat Milliarden von Streams generiert, ist zur Friedenshymne für die Ukraine und die Frauen im Iran geworden, hat länger in den deutschen Single-Charts ausgeharrt als jeder andere Song und war im vergangenen Jahr in Österreich der kommerziell vierterfolgreichste Hit überhaupt. Und das ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem Register der Rekorde.

Odell hat sich daran gewöhnt, dass er ständig auf „Another Love“ angesprochen wird. Er wirkt glaubwürdig, wenn er erzählt, dass der Erfolg seinen Lifestyle kaum verändert hat. „Natürlich kann ich mir jetzt mehr Dinge leisten, aber ich stehe nicht auf ein Leben als isolierter Popstar. Zuhause in London nehme ich den Bus und bewege mich ganz normal durch die Stadt. Als Songwriter ist mir wichtig, Teil vom großen Ganzen zu sein.“

So ist Tom Odell der möglicherweise unbekannteste Streaming-Star einer Generation, die es gewohnt ist, sich über Social Media in die Auslage zu stellen. Ihrem Maestro liegt solcherart fern. Dass er aus dem Meer der Singer-Songwriter-Trauerweiden weit über die Baumgrenze hinaus gewachsen ist, ist für den heute 33-Jährigen noch immer schwer zu fassen.

Es ist das Unangenehme, das dich davor bewahrt, verrückt zu werden.

Dass das Glück für Tom Odell aber ein schwarzes Vogerl ist, kann man den Textzeilen seiner Songs entnehmen. Obwohl Odell erst im November geheiratet hat, wiegt die Last der Welt so schwer wie in fast allen Liedern seit seinem Debütalbum mit dem heiteren Titel „Long Way Down“ (2013). Im Titelsong des neuen Albums „Black Friday“ heißt es etwa: „It’s all in my head, it’s all in my mind / I see the darkness where you see the light.“

Neues Album von Tom Odell "Black Friday"

Christian Lehner

Tom Odell beim FM4 Interview in Berlin

Tom Odell lächelt, als er die Hintergründe erklärt: „Ich bin an einem ‚Black Friday‘ geboren und mein Geburtstag fällt immer wieder auf diesen sonderbaren Tag. Der Song handelt von vielen Dingen. Ich weiß noch, wie ich mich fühlte, als ich ihn geschrieben habe: I felt fucking depressed!“

„Unfertiges“ Album

Neu ist der prominente Einsatz der Akustikgitarre, die Tom Odell manchmal etwas schlampig anschlägt. Neu auch der improvisatorische Charakter des Albums. Die Gesangsspuren hat Tom Odell sitzend auf einer Couch eingesungen. Viele Songs beginnen mit Studioatmo. Der Album-Closer „The End“ verwandelt sich im langen Outro in ein anderes Wesen. Der Pausenfüller „Getaway (voice note)“ bricht abrupt ab. Durch all diese Volten wirkt das Album unfertig, als hätte man die Produktion kurz vor dem Schlusssprint abgebrochen. Völlig klar, dass das kein Zufall war.

Ich kann das nur, weil ich jedes Wort glaube, das ich singe.

„Das zentrale Thema des Albums ist das Unvollkommene“, sagt James Odell. „Eigentlich bin ich ein Perfektionist, der alles immer wieder überarbeiten muss. Das steht mir oft im Weg. Es war mir also wichtig, einmal loszulassen. Viele der Songs hören sich an wie Momentaufnahmen. Aber das war der Plan.“

Haben die lottrigen Umstände auch bessere Musik hervorgebracht? Sich für ein Album verwegen in improvisatorische Posen zu werfen, ist ein breit ausgetretener Fluchtweg im Singer-Songwriter-Gewerbe. Auch wenn man auf „Black Friday“ häufig das Gefühl hat, bei einer Bandprobe zu sein, hat die Musik des Singer-Songwriter-Stars nichts von ihrer emotionalen Wucht verloren.

Das The-Beatles-anverwandte „Answer Phone“ und das sinfonische „Black Friday“ sind echte Tearjerkers. Beschwingt und doch zittrig hingegen Songs wie „Spinning“ oder „Somebody Else“, die Tom Odell äußerst sparsam mit Gitarre und Klavierbegleitung aufbaut, ehe er letzteren Song mittels Schlagzeugbeat und Rumpelbass auslaufen lässt.

Tiefe Einblicke

Tom Odell taucht auf diesem Album tief in sein Seelenleben ein und fördert dunkle Gedanken zutage. In „Answer Phone“ werden wir Zeugen eines chronischen, vermutlich durch eine Depression angeschobenen Durchhängers: „Here I go again / Wasting all my days away / It’s a funny thing how some things never seem to change“.

„Black Friday“ stellt sich wie ein Zwischenspiel dar. Tom Odell, dem vor allem die britische Musikpresse vorwirft, Gefühle nur an der Oberfläche zu streifen, dürfte es ein Anliegen gewesen sein, sein Innerstes nach außen zu kehren und mit der bewusst nachlässigen Produktion etwas Staub aufzuwirbeln.

In nicht wenigen Momenten wähnt man sich auf einem Indie-Folk-Album und sieht die Schatten so großer Tragöden wie Nick Drake, Elliot Smith und Bon Iver auf- und abtauchen. Man darf gespannt sein, ob das Streamingpublikum Tom Odell in den dunklen Keller seiner Gedanken folgt.

Zum Schluss noch ein paar Tipps für den Nachwuchs: „Schreibe nur Songs, die dir wirklich etwas bedeuten“, sagt Tom Odell. „Falls jemals eine Karriere daraus werden sollte, musst du diese Songs über Jahre vor Publikum performen. Ich kann das nur, weil ich jedes Wort glaube, das ich singe.“ Und weiter: „In dem Moment, in dem man den Trubel als selbstverständlich und angenehm empfindet, sollte man aufhören. Es ist das latent Unangenehme, das dich davor bewahrt, verrückt zu werden.“

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