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Cover von Tara Meisters Roman "Proben"

Residenz Verlag

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Von Freundinnen zu Eltern: Tara Meisters Romandebüt „Proben“

Beste Freundinnen sind für alles zu haben – Spaß haben, einander ergänzen, auf Urlaub fahren, zusammenziehen. Aber kann man auch gemeinsam mit der besten Freundin ein Kind großziehen? Das ist die Frage, die sich den beiden Protagonistinnen in Tara Meisters Debütroman „Proben“ stellt.

Von Jenny Blochberger

Caro ist Biochemikerin und Johanna Theaterregisseurin. Caro hängt sehr an Johanna, vielleicht zu sehr. Als Johanna eine Absage von einer Theaterschule in Berlin bekommt, ist Caro heimlich froh, dass ihre beste Freundin bei ihr in Wien bleibt. Die beiden jungen Frauen sind sehr unterschiedlich aufgewachsen – Johanna mit einer psychisch kranken Mutter, die sie oft allein gelassen hat, Caro in einer sehr traditionellen Kärntner Familie. Beide haben, wie man so sagt, Baggage – und das macht ihre Beziehung kompliziert.

Johanna starrte sie an und Caro verstand, was sie sah. Ein blondes Mädchen mit säuberlich beschrifteten Schulheften. Einen Impfpass. Drei warme Mahlzeiten, einen Vater, eine Mutter, einen österreichischen Nachnamen, zwei Brüder, zwei Großväter, zwei Großmütter, zwei Autos, einen Hund mit beschriftetem Halsband.

Von Freundschaft zu Elternschaft

Dann wird Johanna nach einem One-Night-Stand schwanger und beschließt, das Kind zu behalten. Und sie beschließen, dass Caro der zweite Elternteil werden soll. Diese Entscheidung sollte die beiden eigentlich noch näher zusammenbringen; aber genau ab da driften die Freundinnen immer weiter auseinander.

Johanna führt gerade Regie bei einem Theaterstück, in das sie ihre ganze Seele hineinverpackt, mit dem sie ihre Vergangenheit verarbeitet und ihre Narben offenlegt. Das ist es, was sie machen muss, und es widerstrebt ihr, dass ihre Schwangerschaft ihrem künstlerischen Ausdruck im Weg steht. Sie beharrt darauf, sie selbst zu bleiben, trotz Bauch und Baby – und sie hält es nicht aus, dass Caro sie bemuttert und damit offenbar ihre werdende Mutterschaft über ihre Individualität stellt.

Johanna folgte ihrem Blick.
„Hauptsache, du weißt es“, sagte sie dann und sah dabei Caros Spiegelung an.
„Was weiß ich?“, fragte Caro.
„Dass ich das Zeug dazu gehabt hätte. Dass ich nach Berlin hätte gehen können und irgendwann an großen Häusern arbeiten. Hauptsache, du vergisst es nicht und kannst mich später dann daran erinnern."
Caros Spiegelung nickte.
"Ich werde es nicht vergessen.“

Cover von "Proben" von Tara Meister

Residenz Verlag

„Proben“ von Tara C. Meister (256 Seiten) ist im Residenz Verlag erschienen.

Freiheit vs. Nestbautrieb

Caro wiederum versteht nicht, wie Johanna dermaßen rücksichtslos sein kann, sich nicht um sich selbst und den kleinen Dino, der da in ihr heranwächst, zu kümmern, sondern sich die Nächte um die Ohren schlägt, lauten Sex hat und tageweise einfach verschwindet, ohne Bescheid zu sagen, wo sie ist. Caro entwickelt einen Nestbautrieb, macht sich Sorgen und weiß nicht, wie sie ihrer konservativen Familie sagen soll, dass sie ein Kind bekommt - also eigentlich nicht sie, sondern ihre beste Freundin, dass sie aber die Co-Mutter wird. Diese Vorstellung scheint so überhaupt keinen Platz zu haben in ihrer von starren Normen geprägten Familie, dass Caro lieber darüber schweigt als zu versuchen, die richtigen Worte dafür zu finden. Und ihre eigene Karriere gibt’s ja auch noch, auch wenn die Arbeit im Labor keine wirkliche Entwicklung verspricht…

Caro ist hetero, aber sie steht nicht auf Männer, pflegte Johanna zu erklären. Mit einem Kollegen zu schlafen, fand Caro unvorstellbar. Am liebsten wäre ihr, man würde sie in der Arbeit gar nicht als Frau wahrnehmen, sondern als geschlechts- und körperloses Wesen, das zwischen den Maschinen herumlief und seinen Aufgaben nachging.
(…)
Nach fünf Jahren Stress, nach Studienabschluss in Mindestzeit und ausgezeichnetem Erfolg, hatte Caro einen der begehrten PhD-Plätze bekommen. Jetzt war sie hier und alles schien stillzustehen. Zwischen ihren Versuchsreihen, der Dokumentation und dem Vita-Weckerl vom Bäcker nebenan, zwischen den Laborbesprechungen, den Literaturrecherchen und dem gelegentlichen Tratsch mit ihrem Kollegen fühlte sich Caro um ein nicht eingelöstes Versprechen betrogen, das sie rückblickend nicht mehr richtig festmachen konnte.

Zwischen Nähe und Distanz

Es ist ein sehr spannendes Konzept, das Tara Meister da vorlegt: Wie funktioniert eine Co-Elternschaft zwischen zwei sich nahestehenden Menschen, die aber kein gesellschaftlich anerkanntes Band verbindet? Leider dreht sich die Erzählung aber sehr wenig um diese Frage, sondern kreist ständig um das Gefühlsleben der Protagonistinnen, die ihre inneren Tumulte sehr heftig auf die jeweils andere projizieren. Auch das könnte ja eine interessante Herangehensweise sein, wäre der Tonfall nur nicht so distanziert. Es ist, als würde die Analyse der Figuren ständig mitlaufen wie auf einem Ticker am unteren Bildrand. Zwischen Caro und Johanna gibt es wenige Momente der Nähe, dafür viel brodelnden Konflikt. Es stellt sich die Frage, was diese beiden dazu treibt, einen derart unlösbaren Bund fürs Leben einzugehen, wie ihn eine Elternschaft darstellt. Irgendwas hat die andere jeweils, was die eine nicht hat und braucht – aber ob das Liebe ist?

Johanna redete über sich, Caro und das Kind, als würde sie ein neues Stück entwerfen. Sie erzählte Caro Geschichten darüber, als könnten sie schon jetzt alles festlegen, und dazu ein Bühnenbild. Ein Tag am Meer, Möwen, die nach Eiswaffeln pickten, Wände anmalen und Türme bis zur Decke bauen, die dann zusammenfielen, aber niemand weinte.
Caro hörte heraus, dass es nicht das war, was sie selbst erlebt hatte.

Porträtfoto Tara Meister

Aleksandra Pawloff

Tara C. Meister wurde 1997 in Kärnten geboren. Medizinstudium in Wien, seit Herbst 2022 Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Meister schreibt Kurzprosa, Spoken Word und Dramatik. Ihre Texte wurden mehrfach ausgezeichnet und in diversen Anthologien und Literaturzeitschriften publiziert. 2022 stand sie auf der Shortlist für den Wortmeldungen Förderpreis und wurde mit dem Erostepost Literaturpreis sowie dem Förderpreis für Literatur des Landes Kärnten ausgezeichnet. „Proben“ ist ihr erster Roman.

Gegen Ende nimmt die Geschichte aber doch wieder ein bisschen Fahrt auf und lässt Dinge auch außerhalb des Spannungsfelds der beiden Protagonistinnen passieren. Da ist man dann doch fast enttäuscht, dass es man nicht erfährt, wie es ab da weitergeht. Vielleicht ist Meister ja irgendwann bereit für eine Fortsetzung, die Jahre später spielt – und vielleicht sind Caro und Johanna dann ja auch soweit gereift, dass man ihnen etwas lieber beim Leben, Lieben und Proben zusieht.

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