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Roisin Murphy beim Elevate 2024 auf der Bühne des Grazer Orpheums

Clara Wildberger / Elevate

Triumphaler Abschluss des Elevate Festivals mit Róisín Murphy

Dance like everyone is watching: Die irische Dance-Pop-Ikone Róisín Murphy spielte am Sonntagabend ein glamouröses Abschlusskonzert für die 20. Ausgabe des Elevate Festivals.

Von Katharina Seidler

Wenn jemand zuhause von diesem Wochenende erzählt, dann unterscheiden sich die Berichte vermutlich so sehr voneinander, dass es scheint, als hätten alle ein unterschiedliches Festival besucht. Tatsächlich vereint das Elevate seit zwanzig Jahren nicht zwei, sondern eigentlich drei Events in einem: Es ist eine Denkwerkstatt für konstruktive Zukunftsgestaltung, es ist ein Raum für experimentelle Klangkunst und filigrane Popmusik und außerdem ist es ein gigantischer Rave auf mehreren Floors.

Obwohl in Graz mit etwa Diagonale, Spring, Steirischem Herbst oder Lendwirbel kein Mangel an coolen Veranstaltungen herrscht, ist die starke Publikumsbeteiligung in allen drei Festivalbereichen einer der großen Pluspunkte des Elevate. Es geht nicht nur darum, dass beinahe alles bis auf den letzten Panelsitz und Dancefloor-Zentimeter ausverkauft ist, sondern es steckt im Diskutieren und Tanzen eine riesige Energie und Lust. Graz saugt das Programmangebot auf wie ein Schwamm und zeigt sich auch im 20. Jahr des Festivals hungrig und offen. Man kann Veranstaltern ein solches Publikum nur wünschen.

Roisin Murphy beim Elevate 2024 auf der Bühne des Grazer Orpheums

Clara Wildberger / Elevate

Zauberin, Harlekin, Schwarze Witwe, Königin

Roisin Murphy beim Elevate 2024 auf der Bühne des Grazer Orpheums

Clara Wildberger / Elevate

So ist es als Besucher:in auch normal, sich am ersten Märzwochenende des Jahres mehrere Persönlichkeitskleider anzuziehen. Kopf und Körper suchen nach einer Balance zwischen Aufmerksamsein und Sich Fallenlassen, Ausruhen und Mitmachen; dazu treffen an den fünf prallvollen Festivaltagen pausenlos Menschen unterschiedlicher Vertrautheitsgrade aufeinander. Zwischen alten Bekannten und Arbeitskolleg:innen, guten Friends und neu kennengelernten Artists, denen man in den Grazer Straßen und Lokalen ständig auch privat begegnet, wird man unweigerlich zum sozialen Shapeshifter. Wer bist du heute?

Am Abschlussabend laufen die Festivalfäden dann alle zusammen. Róisín Murphy ruft zum Hochamt, und darauf können sich Moloko-Fans der ersten Stunde ebenso einigen wie Leute, die sie erst durch ihre clublastigeren DJ-Koze-Kollaborationen der letzten Jahren kennengelernt haben und solche, denen aus ihrem Werk nur der eine, zeitlose „Sing it back“-Remix einfällt. Dass Róisín Murphy in dieser Welt noch kein Superstar von Björk-Dimensionen ist, kann man nur dem Zufall zuschreiben, denn sie hat Charisma und Attitüde, Power und Präsenz und die dazugehörigen Hits. She’s got it, wusste schon der verstorbene Musikphilosoph Mark Fisher, der bei diesem Festival auch rund um das Showcase des mit ihm stark verknüpften Labels Hyperdub als guter Geist präsent war. Aber andere Geschichte.

Roisin Murphy beim Elevate 2024 auf der Bühne des Grazer Orpheums

Clara Wildberger / Elevate

Gleich die erste Überraschung zündet zu Beginn des Abends, als die markante Bass-Hookline von „Pure Pleasure Seeker“ aus dem 3. Moloko Album erklingt. Die Wahl des Openers ist kaum anders als programmatisch zu deuten. „Das Orpheum scheint mir eine Rock’n’Roll-Venue zu sein,“ bemerkt die Künstlerin im Interview vor der Show, „das kommt mir gerade recht.“ Dezidiert verweigert sie sich im selben Gespräch jeglicher identitäts- oder soziopolitischer Vereinnahmung.

Gimme new kicks, I wanna go deeper
Never been too keen a timekeeper
Show me new tricks, you can get me on the beeper
I’m a pure new pleasure seeker

Roisin Murphy beim Elevate 2024 auf der Bühne des Grazer Orpheums

Clara Wildberger / Elevate

Es ist diese Störrigkeit, die ihr Werk bereits seit Anbeginn durchzieht. Durch sie schlugen Moloko bereits 1995 Haken von astreinen Popsongs zu über-weirden Interludes und Rhythmusstudien. Zweifellos spielt Róisín Murphy mit ihrer selbstbewussten Verweigerung jeglichen Aktivismus’ aber auch auf eine Kontroverse an, die sie selbst kurz vor dem Release ihren jüngsten Albums „Hit Parade“ im Sommer 2023 durch einen ungeschickten, transfeindlichen Kommentar in einem Facebook-Thread über den Einsatz von Pubertätsblockern bei Jugendlichen ausgelöst hat.

Nicht erst im Aftermath des über sie hereingebrochenen Hasses hat Murphy ihre Wertschätzung für die LGBTQI+ Community kundgetan; und sie hat sich auch ehrlich für ihren verrutschten Post entschuldigt, und dementsprechend war aufstehen, Zylinder richten, weitermachen ein logischer Schritt, der dem Grazer Orpheum an diesem Sonntagabend das triumphalste Konzert seit Langem beschert hat.

You knew exactly what motivates me
And I believe the record will show it
(„You knew“)

Roisin Murphy beim Elevate 2024 auf der Bühne des Grazer Orpheums

Clara Wildberger / Elevate

Róisín Murphy durchmisst die Bühne mit unnachahmlicher Grandezza. Ihre Gesten sind majestätisch-herrschaftlich ebenso wie kindlich-verspielt, dazu wechselt sie Kostüme und Hüte, Ketten und Schleier, Bodys, Rüschenumhänge und Handschuhe, beißt einem Strauß Rosen die Blüten ab, macht Liegestütze, wirft die Beine wie beim Can Can in die Luft und geht mit dem Publikum auf Tuchfühlung. Dance like everyone is watching: In ihrer Kunst geht es um freedom of expression genauso wie um freedom of imperfection. Dass ihre Setlist aus praktisch ausschließlich Hits, sowohl aus Moloko-Kalibern wie „The time is now“ als auch Solo-Schätzen wie „Dear Miami“ oder „Overpowered“ besteht, ist der Freakout-Stimmung im brennheißen Orpheumsaal natürlich zuträglich. Ramalama Bang Bang!

Roisin Murphy beim Elevate 2024 auf der Bühne des Grazer Orpheums

Clara Wildberger / Elevate

Wenn Murphy vor der Bühnenkamera - im Übrigen eine ausgezeichnete Idee, die gern Schule machen könnte - ihre Muskeln spielen lässt und das Publikum in schwarz-weiß direkt von der großen Leinwand anblickt, steht sie in einer künstlerischen Verwandtschaft zur herrischen Erhabenheit von etwa Grace Jones oder Sharon Stone. Sie hat in jedem Moment die Fäden in der Hand, es ist ihr eigenes Spiel. Gleichzeitig blitzt ihr immer der Schalk aus den Augen, wenn sie harlekinsmäßig Grimassen schneidet und sich im nächsten Moment wie ein Kreisel um die eigene Achse wirbelt. Nicht mitmachen ist keine Option: „Come on!“, wie Róisín Murphy es in ihren Songs und auch an diesem Abend oft und oft ins Mikrophon ruft, ist bei ihr immer Aufforderung und Herausforderung zugleich. Komm mit, wenn du dich traust, come to my sweet melody.

Roisin Murphy beim Elevate 2024 auf der Bühne des Grazer Orpheums

Clara Wildberger / Elevate

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