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Herabsetzung der Strafmündigkeit: Diskussion hat „populistischen Charakter“

Aktuelle Fälle sorgen in Österreich für Diskussionen darüber, ob das Jugendstrafrecht verschärft werden soll. Debattiert wird vor allem die Herabsetzung der Strafmündigkeit auf 12 Jahre. Expert:innen warnen davor - und vermuten politische Motive.

Von Livia Praun

Der Fall des Missbrauchs einer 12-jährigen aus Wien hat für Aufregung gesorgt. Bis zu 17 Burschen sollen das Mädchen über Monate hinweg sexuell missbraucht und erpresst haben. Die Beschuldigten sind zwischen 13 und 18 Jahre alt. Zwei der mutmaßlich Beteiligten sind 13 und somit unmündig. Das heißt: Sie können nicht vor Gericht für ihre Taten verantwortlich gemacht werden.

Immer wieder sorgen Fälle, in denen Kinder anderen Kindern Gewalt antun, für Diskussionen. Bundeskanzler Nehammer hat sich dafür ausgesprochen, die aktuelle Altersgrenze der Strafmündigkeit zu evaluieren und trifft damit auf Zustimmung von Parteikolleg:innen sowie von Politiker:innen der FPÖ. 12-jährige vor Gericht stellen? Fachleute sprechen sich gegen den Vorstoß aus - so auch die Kriminalsoziologin Veronika Hofinger von der Universität Innsbruck und Thomas Marecek, der Sprecher des Bewährungshilfe-Vereins Neustart.

radio FM4: Immer wieder wird in letzter Zeit die Herabsetzung der Strafmündigkeit thematisiert. Möchten Sie kurz umreißen, wie es mit der Strafmündigkeit momentan in Österreich aussieht?

In mehr als der Hälfte der europäischen Länder gilt die Strafmündigkeit ab 14 Jahren oder älter. In Irland, Ungarn und den Niederlanden ist man mit 12 strafmündig.

Veronika Hofinger: Derzeit ist man erst ab 14 Jahren strafmündig. Das heißt, dass man davor nicht strafrechtlich belangt werden kann. Das ist in vielen europäischen Ländern so. Das Strafgesetz ist das schärfste Mittel, das wir haben. Es dient nicht dazu, Kinder und Jugendliche zu erziehen, sondern ist eigentlich für Erwachsene, die bewusst Regeln brechen, gedacht. Wenn man als Kind eine Straftat begeht, gibt es andere Reaktionsweisen, zum Beispiel kann die Kinder- und Jugendhilfe aktiv werden oder die Schulen können Maßnahmen treffen. Aber es gibt keine polizeiliche Verfolgung, die dann zu einer gerichtlichen Verhandlung führt.

Was passiert also konkret, wenn jemand unter 14 Jahren eine Straftat begeht?

Thomas Marecek: Im Regelfall wird die Kinder- und Jugendhilfe davon in Kenntnis gesetzt und diese entscheidet dann, welche Intervention in der jeweiligen Situation notwendig und angebracht ist. Da gibt es viele Möglichkeiten; die reichen von Unterstützungsmaßnahmen über Anti-Gewalt-Trainings bis hin zu einer Fremdunterbringung in einer sozialpädagogisch betreuten Wohneinrichtung, sollte das notwendig sein. Also da gibt es eine breite Palette.

„Es gibt viele Studien, die zeigen, dass die abschreckende Wirkung von Strafen geringer ist, als man meint.“

Was halten Sie von dem Vorstoß, das Alter herabzusetzen?

Veronika Hofinger: Ich kann verstehen, dass man sich für gewisse Jugendliche eine andere Handhabe wünscht und dass man sich denkt: Es kann doch nicht sein, dass jemand ständig Raubüberfälle oder andere Delikte begeht, und man reagiert darauf nicht. Aber ich würde diese Einzelfälle nicht verwenden, um insgesamt die Strafmündigkeitsgrenze zu senken. Die Wirkung von Strafen wird generell überschätzt. Es gibt viele Studien, die zeigen, dass die abschreckende Wirkung von Strafen viel geringer ist, als man meint. Gerade Haftstrafen haben sehr viele negative Begleiterscheinungen. Deswegen ist es so, dass Jugendliche, die in Haft waren, sehr hohe Rückfallraten haben. Also braucht es bei ihnen andere Maßnahmen.

Thomas Marecek: Ich halte das Herabsetzen der Strafmündigkeit für keine geeignete Reaktion. Das würde bedeuten, dass sich Kinder einem Strafverfahren stellen müssten. Viel wichtiger wäre es, dass es eine intensive Auseinandersetzung gibt mit den Hintergründen und mit der Lebenssituation dieses Kindes. Warum ist es so weit gekommen? Wie sieht die familiäre Situation aus? Wo braucht dieses Kind Unterstützung, dass es nicht straffällig wird und dass es keine kriminelle Karriere einschlägt? All das findet viel besser in einem anderen Rahmen statt als in einem Strafverfahren.

Der Vorschlag wird vor allem von der ÖVP und der FPÖ hervorgebracht. Was für eine Motivation könnte da dahinter stecken?

Veronika Hofinger: Es gibt derzeit Einzelfälle, die uns alle schockieren. Niemanden lässt es kalt, wenn er hört, dass eine 12-jährige missbraucht worden ist. Und da waren aber die Täter - bis auf zwei - alle über 14 Jahre alt. Also das hat mit dem Strafmündigkeitsalter überhaupt nichts zu tun - auch die 14-jährigen haben mitgemacht, obwohl sie strafmündig sind. Es ist ein bisschen populistisch, wenn man Einzelfälle verwendet, um eine allgemeine Diskussion zu starten und zu sagen: Wir lassen uns nichts gefallen, wir gehen hart gegen Verbrechen vor. Das ist in Wahlkampfzeiten ein beliebtes Thema, und ich fürchte, wir sind schon in Wahlkampfzeiten. Es wäre gut, die Diskussion zu versachlichen.

Es wäre wichtiger, in die Prävention zu investieren, und nicht die Ressourcen in förmliche Strafverfahren zu stecken.

Was bräuchte es, um zu verhindern, dass Kinder und Jugendliche straffällig werden?

Veronika Hofinger: Für Jugendliche unter 14 Jahren, die Regeln brechen, gibt es ja auch schon Möglichkeiten, etwa im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe, sie aufzusuchen, mit den Eltern Gespräche zu führen, sie auch zu gewissen Dingen zu verpflichten. Und es braucht ein Konzept, wie man auf bestimmte Einzelfälle reagieren will. Es kann sein, dass es da eine Nachjustierung braucht. Dass man da vielleicht ‚Case Manager‘ implementieren muss. Also Zuständige, die die Jugendlichen begleiten und die auch gewisse Zwangsmaßnahmen verhängen dürfen. Das kann sinnvoll sein, um diese ganz schwierigen Einzelfälle zu bearbeiten. Aber eine allgemeine Herabsetzung des Strafmündigkeitsalter halte ich nicht für sinnvoll.

Thomas Marecek: Es gibt viele Vorschläge, wie man die Prävention ausbauen könnte: Von einer Intensivierung der Schul-Sozialarbeit über Konfliktlösungstrainings genau für diese Altersgruppe, verstärktes Streetwork oder auch flächendeckende kassenfinanzierte Angebote der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Es wäre viel wichtiger, in die Prävention zu investieren, und nicht die Ressourcen in sehr förmliche Strafverfahren zu stecken.

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