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Cover der LP Aretha

Arista Records

ROBERT ROTIFER

Forever and Ever - Ein kleines Gebet für Aretha

Aretha Franklin hat ihren Kampf gegen Krebs verloren und ist im Alter von 76 Jahren gestorben. Eine Würdigung der großen Sängerin und feministischen Pionierin des Soul und Pop.

Von Robert Rotifer

Aretha Franklin ist am Donnerstag einem jahrelangen Krebsleiden erlegen. Robert Rotifer hat hier an dieser Stelle schon vor einigen Tagen eine Würdigung auf die Pionierin des Soul und Pop verfasst.

Es heißt, Hal David habe den Text des Sechzigerjahre-Songs „I Say a Little Prayer“ aus der Perspektive einer Frau geschrieben, deren Mann in Vietnam im Krieg ist. Von dem Moment an, da sie morgens aufwacht, betet sie für ihn. Wenn sie sich ihr Haar kämmt und überlegt, welches Kleid sie anzieht, wenn sie in den Bus steigt, wenn sie Kaffeepause macht.

Gestern musste ich wieder an dieses Lied denken, weil jemand ihm mit einem Posting unter einem Bericht über die schwere Erkrankung Aretha Franklins eine ganz neue Konnotation verliehen hatte. Und zwar als kleines Gebet für eine sterbenskranke große Sängerin.
I say a little prayer. Für Aretha.

„Hey, show a little respect“, kommentierte dazu ein anderer, der das offenbar zu flapsig fand. Auch das ließ sich wiederum als Zitat verstehen. Aber darauf komme ich noch zurück.

Single-Cover I Say A Little Prayer

Atlantic Records

Nachrufe kommen in ihrer Würdigung eines Lebenswerks bekanntlich immer kläglich zu spät. Das ist auch bei Aretha Franklin, 76, nicht anders. In den vergangenen Jahren war nämlich naturgemäß viel von den diversen 50-jährigen Jubiläen großer Momente des Pop in Form von Singles, Albums oder Festivals die Rede gewesen. Aber Features über die zwischen 1967 und ’68 vonstatten gegangene, große Transformation der Gospel- und Edel-Schlager-Sängerin Aretha Franklin zur – bringen wir das Klischee hinter uns – „Queen of Soul“, vor allem aber zum ersten erkennbar feministischen Popstar des Universums, sind mir darunter bisher noch keine aufgefallen.

Die Dekonstruktion des Burt B.

Wollen wir das hier einmal beschämt nachholen. Warum nicht gleich anhand des erwähnten Songs? Franklins Interpretation von „I Say a Little Prayer“ erschien 1968 als B-Seite ihrer Single „The House That Jack Built“ bzw. auf ihrem Album „Aretha Now“ und unterschied sich in ihrem zurückgenommenen Tempo und fragmentierten Arrangement wesentlich von Dionne Warwicks ein halbes Jahr zuvor veröffentlichtem Original.

Insbesondere, weil Aretha darin radikalerweise kein einziges Mal die Refrainzeilen zu Ende sang, sondern immer bloß: „I say a little...“
„...prayer for you“ setzten die Backing-Vokalistinnen The Sweet Inspirations (unter ihnen übrigens Dionne Warwicks Mutter Lee sowie Cissy Houston, die Mutter der damals fünfjährigen Whitney) fort.
Aretha (leicht verzögert): „Forever! Ever!“
The Sweet Inspirations: „...you’ll stay in my heart and I will love you“
Aretha: „Forever! Ever!“
The Sweet Inspirations: „...with every part of how I love you“
Aretha: „Together! Together!“
The Sweet Inspirations: „...that’s how it must be, to live without you would only be heartbreak for me“
Aretha: „Mmmmhhhmm.“
Und die Pausen sagten so viel mehr, als wenn sie ihren ganzen Part gesungen hätte.

Es heißt ja immer, Franklin habe sich in ihrer früheren Karriere 1961 bis ’66 bei Columbia Records nie wohlgefühlt, weil sie da fast nur Schlagerschlonz singen durfte. Aber auch zu jener Zeit hatte sie schon Bacharach/David-Material interpretiert. Ihre Version von „Walk On By“, ebenfalls auf Dionne Warwicks Spuren, war beispielsweise fantastisch gut gewesen, doch der Sprung bis zu ihrem dekonstruierten Take von „I Say a Little Prayer“ auf „Aretha Now“ war dennoch ein gewaltiger.

Das heißt, eigentlich waren es zwei Sprünge, und zwar vor jenem großen Satz nach vorn in Richtung Zukunft des Soul noch einer zurück (gewissermaßen zum Anrangnehmen) in ihre Vergangenheit in der Kirche. Dort hatte jenes „Vamping“, mittels dessen sie nun Burt Bacharachs präzise ausgeklügelte Melodie in alle ihre Einzelteile zerlegte und nicht mehr zusammensetzte, seinen spirituell-ekstatischen Ursprung.

Cover der LP Aretha Now

Atlantic Records

„Aretha Now“ erschien im Juni 1968 - also bloß zwei Monate, nachdem sie beim Begräbnis des ermordeten afroamerikanischen Bürgerrechtlers Martin Luther King Jr., einem alten Freund ihres Vaters und ersten Managers, des für seine Stimmgewalt berühmten Priesters C.L. Franklin, gesungen hatte. Es war ihr bereits zweites Album des Jahres nach dem im Februar veröffentlichten „Lady Soul“.

Respect & Freedom!

Im Jahr davor waren gleich vier Aretha-Franklin-Alben erschienen, zwei davon ein letztes Absahnen des Columbia-Labels („Take It Like You Give It“ und „Take A Look“) und zwei als Beginn ihres großen Befreiungsschlags auf ihrem neuen Label: Ahmet Ertegün und Jerry Wexlers Atlantic Records, damals bereits verkoppelt mit der Memphis-Soul-Schmiede Stax.

„I Never Loved A Man The Way I Love You“ eröffnete 1967 das Feuerwerk ihrer künstlerischen, politischen und persönlichen Emanzipation mit einer ihrer allerwichtigsten Aufnahmen, dem Cover eines bis dahin eher weniger bekannten Otis-Redding-Songs, geschrieben aus der Sicht eines Mannes, der am Abend nach getaner Arbeit heimkommt. Er sagt, es sei ihm egal, ob seine Frau ihn betrügt, während er weg ist: „All I’m asking is give me a little respect when I come home.“

Aretha Franklin setzte sich in den Fame Studios von Muscle Shoals ans Klavier, nahm sich die Nummer vor und verwandelte sie in eine Hymne der Frauenbefreiung, wie die Popwelt sie noch nie gehört hatte.

„R.E.S.P.E.C.T. - find out what it means to me!“ forderte sie unmissverständlich von ihrem Mann (wie zwölf Jahre später im Revival-Film „Blues Brothers“ filmisch umgesetzt). Ihre Schwestern Erma und Carolyn sowie Cissy Houston sangen dazu perkussiv im Chor: „Sock it to me, sock it to me, sock it to me, sock it to me.“ Natürlich sei das nicht sexuell zu verstehen gewesen, erklärte Aretha später, sondern einfach nur spielerisch. Und tatsächlich heißt es wohl (auch) „Gib’s mir“ im Sinne von „Sag es geradeaus!“

Später auf „Aretha Now“ sollte sie noch das themenverwandte „Think“ nachlegen, einen ebenso feministisch gepolten Song (wiewohl sich der „Freedom!“-Chor auch auf die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung anwenden ließ), geschrieben ausgerechnet mit ihrem ersten Mann Ted White, von dem sie sich wenig später unter anderem wegen dessen Neigung zu körperlicher Gewalt scheiden ließ. Franklins Beziehungen zu Männern waren übrigens bis zuletzt alles andere als glücklich. Ihre ersten zwei von vier Kindern bekam sie unglaublicherweise im Alter von zwölf bzw. 14 Jahren, ihre letzte Verlobung wiederum annullierte sie 2012 als 70-Jährige, und nichts davon hatte sie in ihrer Kunst je aufgehalten (mit 14 sang sie in der Kirche ihres Vaters ihr erstes Album „Songs of Faith“ ein, insgesamt sollte sie auf 42 Alben kommen).

Cover der LP Who's Zoomin' Who?

Arista Records

Jenseits aller geschlechtlich definierten Showbiz-Gesetze genoss sie ihre kommerziell – wenn schon nicht künstlerisch – einträglichste Phase jenseits der 40 mit kontemporär produzierten Pop-Songs wie „Who’s Zoomin’ Who?“ (auf ihrem gleichnamigen 33. Studioalbum), „Freeway of Love“, „I Knew You Were Waiting“ (mit George Michael) und natürlich „Sisters Are Doin’ It For Themselves“, jenem manifestartigen Duett mit Annie Lennox, das 1985 die Ermächtigungsbotschaft ihres Sixties-Werks für die nächste Welle des Feminismus aktualisierte.

Sister Annie & Auntie Ree

Dass Lennox und ihr damaliger Eurythmics-Kollege Dave Stewart den Song eigentlich für Tina Turner vorgesehen hatten, tut dabei nichts zur Sache. Und dass Arethas „Ehrennichte“ Whitney in denselben Achtzigerjahren die Vokal-Manierismen ihrer „Auntie Ree“ zu einem Hochleistungsgesang der permanenten Dauerübersteigerung aufblies, sollte man ihr (je nach Geschmack) auch nicht anlasten.

Aretha Franklins Laufbahn als sogenannte Soul-Königin ist jedenfalls ein leuchtendes Beispiel dafür, dass das, was eher sinnlos Black Music genannt wird, schon vor einem halben Jahrhundert seinen Platz im Zentrum des Pop beanspruchte. Sie sang Soul-Songs von weißen wie schwarzen Songwriter_innen, von Dan Penn und Chips Momans „Do Right Woman, Do Right Man“ über Sam Cookes „A Change is Gonna Come“, Don Covays „Chain of Fools“, Carole King und Gerry Goffins „(You Make Feel Like) A Natural Woman“ bis zu Nina Simones „Young, Gifted and Black“. Sie kollaborierte 1998 mit Lauryn Hill und sang 2006 bei Barack Obamas Inauguration. Ihr von ihrer fortschreitenden Krebserkrankung gezeichneter Auftritt letzten November bei einer Gala zum 25. Jubiläum von Elton Johns AIDS Foundation in New York scheint nun also ihr letzter gewesen zu sein. Zum Abschluss der Veranstaltung gab Aretha „I Say a Little Prayer“ und „Freeway of Love“.
Elton John nannte sie in seiner Ansage die „größte Sängerin aller Zeiten“, und wenn man sich das so durchdenkt, ist es nicht leicht, ihm darin zu widersprechen.

Aretha Franklin wurde am 25. März 1942 in Memphis, Tennessee, geboren. Zu Hause fühlte sie sich aber immer in der Motor City Detroit, wo sie aufgewachsen war (obwohl sie – vielleicht bezeichnend für ihre Sonderstellung – nie beim örtlichen Motown-Label unter Vertrag stand). Als ich das hier abspeichere, kämpft ihr Körper ebendort gegen einen zu frühen Tod. Ich bin nicht gläubig, aber ich schicke ihr hiermit ein kleines Gebet.

Update: Am Donnerstag, 16. August, hat Aretha Franklin ihren jahrelangen Kampf gegen den Krebs verloren und ist in Detroit gestorben.

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