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Screenshot aus "The Messenger"

Sabotage Studio / Devolver Digital

Pixel und Philosophie

Alte Tugenden treffen auf liebevolle Details: Das auf retro getrimmte Jump’n’Run „The Messenger“ ist viel besser als es auf den ersten Blick wirkt.

Von Robert Glashüttner

Retro-Look und Vintage-Ästhetik sind allgegenwärtig: Egal, ob es ein Paar Schuhe aus den 70ern, ein alter Fotoapparat von Oma oder der ach-so-analoge Klang von Vinyl ist, unsere Gesellschaft ist vernarrt in Vergangenes. Diese Nostalgie ist aber nicht nur oberflächlicher Lifestyle, sondern stillt in einer immer komplexer werdenden Welt auch die Sehnsucht nach (vermeintlich) simpleren Zeiten. Bei Videospielen ist das natürlich genauso: Früher gab es Steuerkreuz und zwei Knöpfe, heute hat ein handelsübliches Gamepad gut ein Dutzend verschiedene Eingabemöglichkeiten.

Also drehen wir mal wieder die Uhr zurück und lassen uns gehen: in einem Actiongame, das so aussieht, als wäre es vor 30 Jahren entwickelt worden.

Anfängliche Skepsis

Einen leichten Start hatten „The Messenger“ und ich allerdings nicht. Als ich die ersten Screenshots und den Trailer sah, war es keine Liebe auf den ersten Blick: Obwohl ich Retrospiele mag, sah mir das Game zu konventionell aus. Ein Ninja kämpft und springt in einer 8-Bit-Welt von links nach rechts, trifft kleine und große Endgegner und sammelt das eine oder andere Upgrade. Die Grafik ist nett, aber nicht besonders, die Story klingt langweilig: Ein junger Kämpfer muss eine Schriftrolle überbringen, um sein Volk zu retten. Aber, was soll’s: Anspielen kann ich „The Messenger“ ja mal ...

Sprachtalent

„The Messenger“, entwickelt von Sabotage Studio, ist im Vertrieb von Devolver Digital für Windows und Switch erschienen.

Schon bei den Einstellungen sticht mir etwas ins Auge, das es bei anderen Spielen dieser Art nicht gibt: eine Sprachoption für Quebecer Französisch. Kann ein Gag sein, immerhin stammen die Spieleentwickler aus dem kanadischen Quebec. Doch dann sehe ich die Intro-Sequenz und spiele die ersten paar Levels. Mein Eindruck bestätigt sind: Die Sprache und die Dialoge, die sich hier entspinnen, sind alle wirklich gut geschrieben, amüsant, tiefgängig und selbstironisch. Auch die deutsche Übersetzung ist hervorragend. „Hier müsste doch jetzt gleich der Endgegner kommen“, sagt meine Figur etwa zum mysteriösen Ladenbesitzer. „Wieso glaubst du?“, antwortet er, „Die Indizien, die du aus anderen Spielen kennst, müssen hier doch nicht gelten.“

Screenshot aus "The Messenger"

Sabotage Studio / Devolver Digital

Ich schnetzle und springe durch weitere Levels, die noch nicht allzu schwer sind. Irgendwann falle ich dann doch mal in einen Abgrund. Doch ich sterbe nicht. Stattdessen teleportiert mich ein kleiner fliegender Imp in eine Höhle und erklärt mir, dass er mich ab sofort kurz vor dem Ableben immer retten würde. Aber das kostet natürlich was. Und so gehen nach jedem Bildschirmtod einige der sogenannten Zeitscherben, die Währung in „The Messenger“, an unseren kapitalistisch denkenden, dämonischen Lebensretter über.

Spielerische Entfaltung

Jetzt könnte man einwenden, dass „The Messenger“ trotz der witzigen Dialoge vielleicht spielerisch eher Mittelmaß ist. Doch auch das stimmt nicht. Das Leveldesign ist zwar anfangs eher minimalistisch, wird aber zunehmend komplexer. Das liegt auch neuen Fähigkeiten, die mein Ninja lernt: schweben etwa, oder mit einem Enterhaken über Abgründe schwingen.

Der hervorragende Chiptunes-Soundtrack von „The Messenger“ stammt vom 8-Bit-Metal-Experten Rainbowdragoneyes.

Am Ende jedes Levels wartet immer ein Endboss. Die Bosse sind natürlich herausfordernd, aber selten wirklich frustrierend. Ein bisschen Geduld und Spucke, und nach ein paar Versuchen bin ich meistens siegreich. Steht dann der glorreiche Held einem Häufchen Elend gegenüber? Von wegen. Überheblichkeit, Hass oder Rache finden sich in der Story von „The Messenger“ kaum. Nachdem ich etwa ein Energiewesen besiegt habe, das davor einen imposanten Steingolem gelenkt hat, gibt es zwischen uns eine Aussprache. Wir erkennen ein kommunikatives Missverständnis, meine Figur entschuldigt sich, die Energiekugel sagt „Ist schon okay“, und wir gehen wieder getrennte Wege. Diese moralischen Schattierungen erinneren frappant an „Undertale“ – keine schlechte Assoziation für ein vermeintliches 08/15-Game und möglicherweise ein Vorbild für die Spieleentwickler.

Screenshot aus "The Messenger"

Sabotage Studio / Devolver Digital

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Ich bin nun eingespielt und tauche tiefer in die unkonventionelle Schriftrollen-Saga ein. Behutsam entfalten sich spielerische Details, ich treffe immer mächtigere Gegner, manövriere mich durch immer verwinkeltere Levels und höre immer philosophischere Geschichten von meinem Freund, dem Ladenbesitzer. Später gibt es auch noch Zeitsprünge, und die 8-Bit-Grafik wechselt dann sogar in eine 16-Bit-Grafik.

Ihr merkt schon: Das hier ist Liebe auf den zweiten und dritten Blick. „The Messenger“ stellt Konventionen auf den Kopf: Normalerweise sind wir es gewohnt, dass Games vorab viel versprechen und uns mit audiovisuellem Bombast überhäufen. Oft wird beides später schlecht oder gar nicht eingelöst. Dieses Retrogame hingegen zeigt seine Besonderheiten erst dann, wenn wir darin eintauchen.

Screenshot aus "The Messenger"

Sabotage Studio / Devolver Digital

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