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Der Flipper "Fish Tales", nachgebaut von Zen Studios in "Pinball FX3".

Zen Studios

Zweiter Frühling für Flipper

Alte Flipperautomaten sind schwer zu finden. Deshalb sind sie als Simulationen seit Jahren beliebt. Nun sind jene der Marke Williams besonders liebevoll digital revitalisiert worden.

Von Robert Glashüttner

Windows 95!“, antwortet Kollege Claus Diwisch in der letzten FM4-Redaktionssitzung auf die Frage, was denn gegenwärtig der größte gemeinsame Nenner vom Flippern sei. Ich bin etwas erstaunt, war ich doch davon ausgegangen, dass einem Flipper sowohl in freier Wildbahn als auch als Computerspiel immer wieder unterkommen würde - auch, wenn man nicht aktiv nach ihnen sucht. Doch wenn man selbst zu sehr in einem Thema drinnensteckt, ist die Wahrnehmung ja oft verzerrt. Man setzt mitunter Wissen voraus, wo sich bei anderen Menschen schnell die sprichwörtlichen Fragezeichen über den Köpfen formen.

Gut, Windows 95 also. Damals, Mitte der 90er Jahre war mit dem (un)beliebten Betriebssystem ein heute legendäres Flipper-Computerspiel mit dabei: „Space Cadet“. So, wie auch „Solitaire“ und „Minesweeper“ ihren Siegeszug als Windows-Beilagen angetreten haben, ist durch „Space Cadet“ Flippern wieder stärker in die öffentliche Wahrnehmung gerückt. Damals gab es zwar auch bei den physischen Flipperautomaten noch ein letztes, großes Aufbäumen vor dem großen Abschwung, doch „Space Cadet“ hat vieles von jener modernen Pinball-Kultur vorweggenommen, die wir heute haben: Alte Flipper werden minutiös und aufwendig als Simulationen nachgebaut, neue Tische werden bereits als Computerspiele designt.

Spiel und Simulation, was bisher geschah

Was also kam nach „Space Cadet“? Ziemlich viel, sowohl im Bereich der Computerspiele als auch der Simulationen:

  • HobbyistInnen revitalisieren Flippertische am Computer schon seit knapp 20 Jahren mit Hilfe der Open-Source-Engine „Visual Pinball“.
  • Seit 2012 gibt es Simulationen „echter“ Flipper auch als kommerzielle Produkte in Form der „Pinball Arcade“.
  • Bei den neu designten Games-Flippern gilt die Serie „Pro Pinball“ immer noch als technische Meisterleistung, obwohl die Tische bereits zwischen 1996 und 2000 erschienen sind.
  • Seit dem Frühjahr 2007 mischt die ungarische Spielefirma Zen Studios mit ihren eigenen Kreationen mit. Und sie ist es, die in den letzten zehn Jahren zur großen Referenz in Sachen Computerspielflipper geworden ist.
Der Flipper "Fish Tales", nachgebaut von Zen Studios in "Pinball FX3".

Zen Studios

Marvel und Star Wars als Zugpferde

An die 100 Tische haben die virtuellen Flipperbauer aus Budapest nun schon für diverse System über verschiedene Game-Engines hinweg veröffentlicht. Beginnend mit der Xbox 360 und der PS3 sind bis heute so gut wie alle Konsolen, Smartphones und Computer mit Zen-Tischen ausgestattet. Neben einigen eigenen Themen und Figuren haben sich die Ungarn vor allem hochattraktive Lizenzen sichern können, allen voran Marvel und Star Wars. Unglaubliche 18 verschiedene Star-Wars-Flipper gibt es derzeit von Zen und nochmal so viele für diverse Marvel-Charaktere wie Thor, Venom, Deadpool, Captain America, und so weiter.

Du stehst lieber auf neue Flipperkästen anstatt auf Software? Da haben wir auch was für dich.

Eines hat Zen Studios aber bisher noch nicht gemacht: Physische Flipper als Computersimulationen nachgebaut. Dies war bisher die Hauptdomäne der US-amerikanischen Games-Entwicklerfirma FarSight Studios und ihrer (bereits oben erwähnten) „Pinball Arcade“. In der „Pinball Arcade“ konnte man bis zuletzt dutzende Flipperkästen unterschiedlicher Hersteller am Computer spielen, doch leider waren diese Simulationen technisch bis zuletzt mehr oder weniger durchwachsen. Lange Zeit gab es viele Software-Bugs in der „Pinball Arcade“, die Ballphysik fühlte sich nicht richtig an und die gesamte Handhabung des Programms war umständlich und darüber hinaus auch nicht besonders schön anzusehen. Dennoch blieb es lange Jahre bei der Aufteilung, dass sich FarSight um Flippersimulationen kümmert und Zen eigene, neue Pinball-Tische designt.

Die Williams-Lizenz wandert

Obwohl die „Pinball Arcade“ treue Fans hat, dürften die technischen Troubles ihre Spuren hinterlassen haben: Im Mai dieses Jahres ist bekannt geworden, dass FarSight Studios die Rechte der Flippermarke Williams (und dazugehörig auch Bally) verliert.

Wenige Monate später, Anfang September, gab es dann die große Ankündigung aus Budapest: Zen Studios hält ab sofort die Rechte für Williams- und Bally-Flipper. Nun ist das erste Williams-Paket von Zen mit vier Klassikern erschienen: „Fish Tales“, „Junk Yard“, „The Getaway“ und - mein persönlicher Favorit - „Medieval Madness“.

Weil Zen nun zum ersten Mal nicht virtuelle Flipper selbst baut, sondern physisch existierene Automaten simuliert, gibt es Features, die es bei den anderen Tischen der Ungarn nicht gibt: Man kann auf Knopfdruck die Tische von einem „realen“ Modus in einen fantastischen Modus schalten. In der Praxis heißt das: Dort, wo sonst ein Plastikdrache ist, fliegt in der anderen Variante der Drache übers Spielfeld und speit Feuer. Oder die Figur eines Fischers erwacht zum Leben und fischt, während wir flippern.

„Williams Pinball“ ist für PS4, Xbox One, Switch, Windows und Mac im Rahmen von „Pinball FX3“ erschienen. Der Tisch „Fish Tales“ ist frei spielbar.

Darüber hinaus können wir auch erstmals zwischen der hauseigenen Zen-Ballphysik und der für die Williams-Simulationen neu entwickelten, noch authentischeren Ballphysik wechseln. Das Simulieren von physikalisch korrekter Ballbewegung ist essentiell beim Flippern und markiert üblicherweise die Trennlinie zwischen Spiel und Simulation. Im Fall von Zen Studios sind die virtuellen Flipper nun sowohl das Eine als auch das Andere.

Man kann damit rechnen, dass Zen nun Schritt für Schritt die alten Bally- und Williams-Flipper wiederbelebt. Das ist einerseits erfreulich, weil die ungarischen Entwickler mit „Pinball FX3“ die weitaus umfangreichere Games-Plattform mit jeder Menge Features, Achievements, Turnieren, Ligen, etc. vorweisen können. Andererseits ist es natürlich für all jene ärgerlich, die lieber bei der „Pinball Arcade“ geblieben wären. Immerhin sind die Tische dort weiterhin spielbar - kaufen kann man sie aber naturgemäß nicht mehr.

Obwohl das Angebot an virtuellen Flipper-Games und -Nachbauten mittlerweile sehr unübersichtlich geworden ist, ist es erfreulich, dass Computerspiel und Simulation nun mehr und mehr zusammenwachsen. Wer hätte gedacht, dass ein kleines Flipper-Game, versteckt in einem Windows 95-Unterordner, so viel Einfluss haben könnte.

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