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Szenenbild aus "Thunder Road"

Viennale

Totentanz und Schnurrbart

12 Stunden im Bann der Viennale und der Empathiemaschine Kino. Von „Thunder Road“ über „In my Room“ zu „Suspiria“.

Von Pia Reiser

Der Tod muss ein Wiener sein, hat Georg Kreisler festgestellt und am 1. November zieht sich der Tod thematisch durch meinen Viennale-Tag, der mittags mit einem Interview mit „Styx“-Regisseur Wolfgang Fischer (dazu dann mehr, wenn der super Film am 23.11. in Österreich startet) beginnt und um Mitternacht mit dem blutigen Kordel- und Beuschel-Impulstanz namens „Suspiria“ endet. Von Styx, dem Fluss in der griechischen Mythologie, der die Lebenden von den Toten trennt, in den Keller einer Tanzschule, wo die Redewendungen „ruhig Blut“ und „nur nicht den Kopf verlieren“ quasi pantomimisch getanzt werden.

"Suspiria" Remake Filmstill

Alessio Bolzoni / Amazon Studios

„Suspiria“

Apropos Tanzen: Wenn man die drei Filme „Thunder Road“, „In my room“ und „Suspiria“ so knapp hintereinander sieht, wird man bei diesen noch so unterschiedlichen Filmen auf Gemeinsamkeiten stoßen, und zum Tod, auf den man sowohl in „Thunder Road“ als auch in „In my Room“ und „Suspiria“ trifft, gesellt sich auch das Tanzen. „Thunder Road“ ist jenes US-independent Kino, das schon mal stärker auf der Viennale vertreten war. Jim Cummings ist hier Drehbuchautor, Regisseur, Hauptdarsteller und spielt einen Polizisten, dessen Leben nach dem Tod seiner Mutter noch mehr aus den Fugen gerät, als es davor schon war. Duplass Brüder krakle ich in mein Notizheft im Saal des Stadtkinos und freu mich dann später, ein Zitat von Jim Cummings zu finden, dass er oft an eine Keynote Speech von Mark Duplass denken muss, in der er sich an junge Filmemacher wendet und sagt:

Make the movies you can make right now. The cavalry isn’t coming.

Gleicher Satz findet sich auch in dem hervorragenden Buch „Like Brothers“, das Mark und Jay Duplass über Karriere aber vor allem über ihre Beziehung als Brüder geschrieben haben.

Zu Beginn tanzt Cummings auf der Beerdigung seiner Mutter eine Choreografie zu „Thunder Road“ von Bruce Springsteen, bloß dass man den Song nicht hört, weil der CD-Player nicht funktioniert. DIY-Indiekino at its best. Außerdem: Hauptfigur mit Schnurrbart. Nochmal außerdem: Bruce Springsteen soll nach Sichtung des Films gesagt haben: “The kid’s on a roll.” Den Soundtrack hat Bon Iver beigesteuert, was zu erhöhtem Bartträgertum im Publikum sicherlich beigesteuert hat.

In Ulrich Köhlers „In my room“ lebt zwar die Mutter der Hauptfigur noch, dafür wird das Ableben der Großmutter von Armin (Hans Löw) so röchelnd realistisch dargestellt, dass man sich die Sterbeszenen aus Western zurückwünscht, wo man nach einem bedeutungsschweren Satz - Winnetou hört die Glocken läuten - den Kopf mit Schwung zur Seite wirft. Armin wacht am Tag nach dem Tod der Großmutter auf und stellt fest, dass alle Menschen verschwunden sind. Herrlich geisterhaft zeigt Köhler Autobahnen, auf denen Autos mit offenen Türen stehen, Dixie-Klos, die im Fluss vorüberschwimmen.

Hans Löw in "In my room"

Viennale

„In my room“

Armin trifft daraufhin eine Reihe von Entscheidungen, die alle genau das Gegenteil sind von dem, was ich in so einem Fall tun würde, was „In my room“ für mich interessant frustrierend macht, weil ich stellenweise gern die Leinwand anbrüllen möchte. Zwischen Frustration und Irritation dann auch die Fragen beim anschließenden „Q&A“. Die geisterhaften Bilder werden gestört von auffallend gestelztem Dialog, dennoch hallt der Film lange nach - und für alle, die sich kürzlich drüber beschwert haben, dass Filmfiguren nie aufs Klo gehen: Armin geht gleich dreimal in zwei Stunden, das wär im echten Leben schon nah dran an der Blasenentzündung. Zwischen dem Wasserlassen und der Neuerfindung als deutscher Robinson Crusoe ohne Volleyball tanzt Armin auch mal eine eindrucksvolle Choreografie auf einem Tankstellenparkplatz.

Hexen hexen und die RAF r-a-ft

Madame Blanc aus „Suspiria“ würde ihn für die Performance wahrscheinlich in den Horrorkeller des Tanzinstituts schicken, in dem Luca Guadagninos Neu-Imaginierung von Dario Argentos Film spielt. Horror zieht mich üblicherweise nie ins Kino, aber bei Tanzszenen, Tilda Swinton und Luca Guadagnino bin ich die erste, die Pi­rou­et­ten dreht.

"Suspiria" Remake Filmstill

Alessio Bolzoni / Amazon Studios

50 Shades of Heather Grey: Dakota Johnson in „Suspiria“

„Suspiria“ ist umwerfend und in den Bann ziehend, wenn es sich durch die Gänge dieses Tanz-Instituts windet, das von Frauen geführt wird, wenn Dakota Johnson sich zunächst als scheinbare Unschuld vom Lande auf den Holzdielen räkelt, staunend beäugt von Tilda Swinton und der schaustehlenden Angela Winkler.

Mit herrlich seltsamen Schnitten und Kamerabewegungen erzeugt der Film zunächst ein Unbehagen, das mit Dauerhinweisen auf die RAF und den Holocaust unterfüttert wird. Das große blutspritzende Darmschlingen-Finale allerdings wird für mich zum Schleudersitz aus dem Film. Einige lachen, am Ende ruft jemand Buh und als das hässliche amazon-Logo sich in Leinwandgröße am Ende des Films ausbreitet, ist das erneut eine Erinnerung daran, dass sich das Verhältnis zwischen Kino und den Streaming-Riesen gerade spannend entwickelt. „Suspiria“ und „Roma“ sind quasi die Arthaus-Blockbuster der diesjährigen Viennale und einer kommt aus dem Hause Netflix, der andere segelt unter Amazon-Flagge ein. Aber wann immer man in einer fast ausverkauften Vorstellung in dem wunderschönen Saal des Gartenbaukinos sitzt, verpufft die kleine Sorge um das Kino als Ort. Die Empathiemaschine Kino braucht den Saal, die Dunkelheit, die anderen Menschen, um auf Hochtouren zu laufen, so schnell wirft die nicht westerngleich den Kopf zur Seite, um zu verenden.

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