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Moshe Linke

Moshe Linke

Ist das schon Kunst - oder noch ein Spiel?

Der 20-jährige Hamburger Spielemacher Moshe Linke lässt uns durch monumentale, albtraumhafte virtuelle Architektur wandern.

Von Rainer Sigl

„Walking Simulator“ - diese Bezeichnung galt früher als abschätziger Spottname für ein Genre von Spielen, in denen eben nur spazierengegangen statt geschossen wurde. Inzwischen haben sich diese Spiele dank Erfolgen wie „Dear Esther“, „Gone Home“ oder „The Vanishing of Ethan Carter“ längst als eigene Nische etabliert.

Der erst 20 Jahre alte Hamburger Spielemacher Moshe Linke macht solche Walking Simulatoren. Sieben Spiele hat er bisher veröffentlicht, bis auf sein letztes alle kostenlos auf der alternativen Spieleplattform itch.io downloadbar. „Experimental art games“ nennt er sie, und tatsächlich: Mit gewöhnlichen Spielerlebnissen hat das meist wenig zu tun - umso mehr dafür mit einer Art virtueller Installationskunst.

Virtueller Brutalismus

In “Living with the Moonoliths” machen wir einen Mondspaziergang, in “Wonders Between Dunes” finden wir uns in einer mysteriösen Wüste wieder. Gegner, Rätsel oder eine aufwendige Story gibt es in diesen Spielen nicht. Dafür aber jede Menge Atmosphäre und Architektur. Genauer gesagt: brutalistische Architektur.

Die architektonische Strömung des Brutalismus, entstanden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, hat trotz des Namens und ihrer charakteristischen „rohen“ Ästhetik nichts mit Brutalität zu tun; der Name stammt vom französischen Wort für Rohbeton, „béton brut“. In Wien gilt etwa die Wotruba-Kirche am Lainzer Tiergarten als berühmtestes Beispiel dieser seit kurzem wieder populär werdenden Architektur.

In Moshe Linkes Spielen wandern wir durch gewaltige Hallen, blockige Räume und riesige Bauten, die oft an Maschinen erinnern. Seine erste Inspiration, Spiele zu machen, war das damals ästhetisch einzigartige First-Person-Spiel „NaissanceE“ - eine Ode an den Brutalismus, aber auch die experimentelle Musik der französischen Avantgarde.

45 Minuten Trip

Moshe Linkes neuestes Spiel, das zum ersten Mal etwas kostet, heißt „Fugue in Void“ und steht auch auf der größten Downloadplattform Steam zum Download bereit. Das Mainstreampublikum dort steht Experimenten wie diesem etwas reservierter gegenüber, doch Linke ist mit dem Feedback trotzdem zufrieden.

Auch „Fugue in Void“ ist ein Walking Simulator, allerdings noch abstrakter, geheimnisvoller und künstlerischer als die meisten anderen Spiele des Genres. In verschiedenen Szenen durchwandert man einsame Gebäude und surreale Landschaften und lässt die Welt auf sich wirken. Nach 45 Minuten ist das Erlebnis vorbei. Im Kopf bleibt es allerdings für viel länger. Auch das haben Linkes Spiele mit den Werken seiner erklärten Vorbilder David Lynch und Wong Kar Wai gemeinsam.

„Fugue in Void“ ist für Windows, Mac und Linux erschienen; die weiterem, kostenlosen Spiele von Moshe Linke finden sich bei itch.io.

Ist das schon Kunst - oder noch ein Spiel? Für Moshe Linke ist die Antwort klar: Seine Arbeitsweise, in der plötzliche Inspiration und Kreativität wichtiger sind als geplantes, strukturiertes Vorgehen, und seine Spiele, die ebenso abstrakt wie persönlich sind, sprechen für die Zuordnung zur Kunst. Beziehungsweise dafür, den Widerspruch aufzuheben - es sind Kunstwerke zum Spielen, oder Spiele, die zugleich Kunsträume und -erlebnisse sind.

Als Nächstes will der junge Hamburger gemeinsam mit Kollaborateuren ein größeres Projekt angehen - „Neon Entropy“ lautet der Arbeitstitel. Man darf gespannt sein, wohin uns Moshe Linke in Zukunft noch mitnehmen wird.

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