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Antihelden-Abgesänge

Anlässlich von „The Mule“: Die besten Filme von und mit Hollywood-Legende Clint Eastwood.

Von Christian Fuchs

Man sieht einen 88-jährigen Schauspieler, der einen 90-jährigen Drogenschmuggler spielt, nicht sehr oft im Kino. Die größte Attraktion, die Clint Eastwoods neuer Film bietet, ist also schon alleine dieser ausgefallene Aufhänger. Alte Menschen hautnah auf der Leinwand zu erleben, noch dazu abseits von geriatrischen Sozialdramen, das hat absoluten Seltenheitswert.

Ansonsten ist „The Mule“ gar kein besonders ungewöhnlicher Film der Hollywood-Legende. Denn Earl Stone, der verschrobene Kriegsveteran, der in diesem Film gelegentlich zu rassistischen Äußerungen neigt, ist nur eine weitere Variation vieler Typen, die Eastwood in seiner langen Karriere verkörperte. Auf einer wahren Geschichte basierend erzählt „The Mule“ davon, wie der sture Earl, dessen Familie sich von ihm entfremdet hat, zu einem der erfolgreichsten Drogenkuriere des mexikanischen Sinaloa Kartells mutiert.

"The Mule"

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Dekonstruktion des Raubein-Image

Auch wenn wir anfangs nicht ahnen, wie gefährlich die Situation für den kriminellen Blumenzüchter wird, eines zeichnet sich schnell ab: Dieser Film läuft auf sentimentale Momente der Erlösung und Wiedergutmachung hinaus. Earl Stone muss sich - fast zu spät, aber doch - eingestehen, dass tatsächlich Gefühle unter seiner lakonischen Fassade schlummern. Und dass seine Lieben das Wichtigste für ihn sind.

Wie in fast allen Filmen, die der Regisseur und Schauspieler Clint Eastwood in seinen späteren Lebensjahren gedreht hat, dekonstruiert er in „The Mule“ sein einstiges Raubein-Image. Dabei schließt sein vierzigster Streifen als Regisseur leider nicht an die Klasse seiner Meisterwerke an. Die Story holpert einen Tick zu langsam dahin, die formale Umsetzung wirkt brav, die Art und Weise, wie uns der konservative Sprücheklopfer als lässiger Hund verkauft werden soll, funktioniert nur bedingt. Aber immerhin blitzt in „The Mule“ gelegentlich das Können von Eastwood wieder auf, während seine letzten Regiearbeiten ernsthaft schwächelten.

Eine verhängnisvolle Affaire

Nutzen wir den aktuellen Anlass aber, um den wirklich guten Stoff aus den Archiven hervorzukramen und die Meisterschaft von Clint Eastwood als Regisseur und Schauspieler zu feiern! Blicken wir gleich ins Jahr 1971 zurück. Damals kennt man den Mann vor allem mit Cowboyhut und Zigarillo im Mundwinkel. In den ikonischen Italowestern von Sergio Leone mutiert der Amerikaner zur Personifikation des wortkargen Revolverhelden.

Kurz bevor Eastwood als gnadenloser Cop „Dirty Harry“ dann endgültig der Superstar des maskulinen Gewaltkinos wird, wagt er seinen ersten Abstecher in den Regiestuhl. „Play Misty for Me“ heißt der kleine und sehr gemeine Streifen, der deutsche Titel „Sadistico: Wunschkonzert für einen Toten“ hört sich wieder einmal ungleich plakativer und dämlicher an.

Es ist ein stilsicheres, eindringliches Regiedebüt, in dem Eastwood himself auch die Hauptrolle eines Radio-DJs spielt, der irgendwann seine unnachgiebigste Anruferin persönlich trifft. Dass daraus eine sexuellen Beziehung erwächst, erweist sich als fatale Wendung. Denn die junge Frau entpuppt sich als gefährliche Stalkerin, die sich an dem Moderator festkrallt. Aus der verhängnisvollen Affaire wird ein heftiger Albtraum und „Play Misty for Me“ verwandelt sich in einen souveränen Psychothriller, einerseits auf den Spuren von Alfred Hitchcock, andererseits mit einem knalligen Touch Späthippie-Flair.

Bizarrer Mystery-Western

Endlich einmal ein guter deutscher Verleihtitel: „Ein Fremder ohne Namen“ bringt das Image von Clint Eastwood als Western-Antiheld auf den Punkt. 1973 inszeniert er sich in „High Plains Drifter“ erneut selbst, als lonesome Cowboy, dicht auf den Spuren von Sergio Leone. Als eiskalter Killer reitet er in dem Mystery-Western in eine vermeintlich ehrenwerte Kleinstadt und stellt die herrschende Ordnung brutal auf den Kopf.

Die Coolness seine Italo-Antihelden, deren stoische Ungerührtheit ganze Generationen junger Männer aus den falschen Gründen prägte, verblasst hier bald. Denn der namenlose Fremde antwortet auf die kriminelle Verlogenheit der Dorfbewohner mit einem Schreckensregime aus Vergewaltigung und Mord. „High Plains Drifter“, der konsequent Fragen nach dem wahren Bösen stellt, verwandelt sich gegen Ende fast in eine Geistergeschichte mit alttestamentarischen Zügen - ich könnte mir vorstellen, dass Nick Cave diesen ziemlich bizarren Film liebt.

Das Ende des Revolverhelden-Mythos

Noch so ein Pflichtfilm für Fans von Clint Eastwood und düsterer Spätwestern: 1992, als er „Unforgiven – Erbarmungslos“ veröffentlicht, ist der Star 62 Jahre alt. Zeit für Eastwood, mit seiner Vergangenheit heftig abzurechnen. Der Star, der in seinen Filmen unzählige Menschen mit diversen Schusswaffen getötet hat, ohne mit der Wimper zu zucken, schießt seinen eigenen Mythos in Fetzen. Ein letztes Mal schlüpft er in die Rolle eines Auftragskillers, der in „Unforgiven“ seinen Colt allerdings schon an den Nagel gehängt hat.

Aber die desolaten Lebensumstände - seine Frau stirbt in jungen Jahren, seine Farm wird von der Schweinepest heimgesucht - zwingen Bill Munny, den Haushalt als Rückzugsort zu verlassen. Zusammen mit zwielichtigen Partnern macht er sich auf die Suche nach zwei Gesetzlosen, um das dazugehörige Kopfgeld zu kassieren.

Stück für Stück demontiert Eastwood als maroder Revolverheld dabei die Mythen des klassischen Wild-West-Epos und distanziert sich auch vom Mentor Sergio Leone: Für dessen opernhaft übersteigerte Gewalt ist in diesem schmutzigen Cowboy-Abgesang kein Platz mehr, die Schusswechsel sind kurz, unspektakulär und grausam.

Läuterung eines grimmigen Reaktionärs

Und dann, 2008, präsentiert uns Clint Eastwood, wieder unter eigener Regie, einen weiteren Rentner, mit dem nicht gut Kirschen essen ist. Der alte Witwer Walt Kowalski in „Gran Torino“ ist angeekelt von der modernen Welt. Seine Söhne verachtet er als verfressene Yuppies, die Enkel mit ihren Handys und Piercings sind ihm ein Gräuel. Vor allem gehen Walt aber seine Nachbarn auf die Nerven, eine südostasiatische Migrantenfamilie. Wagt sich ein Fremder auf seinen Rasen, zückt er die geladene Waffe.

Der schlecht gelaunte Walt ist mehr als ein durchschnittlicher alter Rassist. Er ist nun wirklich die Pensionistenversion sämtlicher Rollen, mit denen der Schauspieler Clint Eastwood berühmt wurde, all der grimmigen Kerle, die meist nur ein dumpfes Knurren ausstoßen und die Waffe schussbereit halten. Aber als ob den Ex-Macho und Immer-noch-Republikaner das schlechte Gewissen verfolgen würde, lässt er den rechten Reaktionär Walt eine berührende Entwicklung durchleben. Dabei ist „Gran Torino“ kein humanistisches Märchen - bis Tränen fließen muss sich der schroffe Protagonist den Humanismus hart erarbeiten.

„The Mule“ erzählt die Geschichte dieser Läuterung nun im Grunde nocheinmal, nur nicht so fesselnd. Einen besseren Film als „Gran Torino“ hat der Regisseur und Schauspieler Clint Eastwood seitdem eben nicht mehr gedreht.

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