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Casey Affleck Berlinale 2019

APA/dpa/Gregor Fischer

berlinale

Sag mir, wo die Frauen sind

Casey Afflecks Spielfilm-Regiedebüt ist angesiedelt in einer Arthaus-postapokalyptischen Welt, in der es fast keine Frauen mehr gibt. „Light of my Life“ zieht seine Wucht aus überlegter Ruhe und haut einen mit zwei suspense-igen Szenen um. Kino, das zittrige Knie macht.

Von Pia Reiser

Meine Eltern sind aus vielen Gründen großartig, aber u.a. auch, weil sie als verlässlicher SMS-Service fungieren, wenn SchauspielerInnen, RegisseurInnen oder AutorInnen sterben, die mir am Herzen liegen. Und so stolper ich noch zittrig und mit weichen Knien (30% Hunger, 70% Filmnachwirkung), widerstehe, weil in Eile, der Versuchung, im Museum für Film und Fernsehen eine Jean-Marais-Postkarte zu kaufen und laufe, naja, gehe schnell, weil ich die Pressekonferenz zum „Light of my Life“ nicht versäumen will.

Dann nacht mein Telefon leise und höflich bling und ich lese die Nachricht meines Papas, dass Albert Finney gestorben ist. Ich stolpere kurz auf der Treppe (20% runterhängender Mantelgürtel, 60% die zittrigen Knie vom Film, 20% Hunger) und denke an Finney an der Seite von Audrey Hepburn in „Two for the Road“, an Finney in „Skyfall“ mit Rauschebart, vor allem aber an Finney als Hercule Poirot in „Mord im Orientexpress“. Adieu, Albert Finney.

Albert Finney

MGM

Sagt in „Mord im Orientexpress“ den Supersatz „Aber kotzen sie nicht gegen den Wind“ und erfasst den neurotischen Geist des Hercule Poirot im Grunde besser als Peter Ustinov

Hierfür gibt es jetzt keine oder gute smarte Überleitung, da müssen wir jetzt gemeinsam durch, nach dem Stiegenstolperer also Pressekonferenz mit Casey Affleck. Der ist auf der Berlinale, um sein Spielfilm-Regiedebüt „Light of my Life“ vorzustellen, in dem ein Vater (Affleck) und seine Tochter Rag (Anna Pniowsky) durch eine Welt fast ohne Frauen ziehen. Also nicht, weil Affleck vergessen hat, sie darzustellen, sondern weil eine nicht näher definierte Seuche beinahe alle Frauen weltweit dahingerafft hat.

Ich ha
be eine noch nicht ganz wissenschaftlich überprüfte Theorie, dass Filme, in denen jemand den Satz sagt there is a storm coming super sind. Bisher in meiner kauzigen Mini-Studie dabei: „Skyfall“, „The Dark Knight Rises“, „Take Shelter“ (nach dem hatte ich auch zittrige Knie!) und jetzt auch „Life of my Light“. (Weitere Beispiele und Gegenbeispiele gerne an mich!)

Der Satz fällt auch in der ersten Szene von „Light of my Life“, die Vater und Tochter am Boden liegend zeigt, er erzählt ihr eine Geschichte. Wir wissen nicht, wo wir uns befinden. Man sieht einen Schlafsack und bemerkt Details, weil die Einstellung während der Geschichte gleich bleibt und die Augen zu wandern beginnen. Die dreckigen Ränder unter den Fingernägeln. Die offenbar mit einer Nagelschere abgeschnittenen Haare des Mädchens, der Dreck auf ihrem Arm.

Szenenbild aus "Light of my Life"

BBP LOML

„Light of my life“

Erst irgendwann, als die Geschichte über einen Fuchs und die Arche Noah fertig erzählt ist, gibt es einen Schnitt nach draußen, wir sehen ein kleines Zelt im Wald. Kombiniert mit der Frage von Rag, ob sie tatsächlich die einzige ihrer Art sei, gelingt „Light of my Life“ ein großartiger Auftakt. Die eine, ruhende Einstellung, die lange Geschichte, die sich der Vater ausdenkt und wie diese grundsätzlich heimelige und sichere Situation von Details unterwandert wird, die verunsichern.

Über die Seuche, die für den Tod fast aller Frauen weltweit gesorgt hat, erfährt man wenig. Rag aber hat überlebt und zieht nun mit ihrem Vater durch die Wälder. Die Haare sind kurz geschnitten, falls ihnen doch jemand begegnet, sagt der Vater, das sei sein Sohn. Zweimal inszeniert Affleck bedrohliche Situationen, in denen einem der Atem stockt.

Nur stückchenweise lässt „Light of my Life“ uns wissen, wie die Welt jetzt aussieht, nachdem fast alle Frauen tot sind. Casey Afflecks Film besticht durch das Weglassen von Erklärungen, das Behalten von Geheimnissen. Eine Vater-Tochter-Beziehung steht im Zentrum eines Films, der sich mit schaurig-schönen Bildern von Wäldern und einer Arthaus-postapokalyptischen Welt auch um Genderrollen dreht. Die Geschichte, die der Vater zu Beginn erzählt, soll eigentlich von einer Füchsin namens Goldie handeln, doch im Mittelpunkt steht dann ein männlicher Fuchs namens Art. Das bemängelt Rag und ergänzt später Goldies Sicht der Geschichte - sie macht sie zur Heldin.

Anna Pniowsky und Casey Affleck auf der Berlinale 2019

Odd ANDERSEN / AFP / APA

Casey Affleck verneint auf der Pressekonferenz zwar, dass das Werk etwas mit seiner persönlichen Geschichte, den Vorwürfe der sexuellen Übergriffe am Set von „I’m still here“ zu tun hat - es kam dann zu einer außergerichtlichen Einigung - , aber dennoch fällt es schwer, den Film zu lesen, ohne die Vorfälle im Kopf zu haben, (und ich bin die erste, die immer für die Wichtigkeit plädiert, Werk und Person zu trennen).

Affleck macht also einen Film, in dem die Welt ein entsetzlicher Ort ist - u.a. deswegen, weil die Frauen fehlen. Er erschafft eine weibliche Hauptfigur, die übliche Genderrollen verneint und dann lässt er auch noch eine Geschichte im Film von einer weiblichen Figur um eine weibliche Perspektive ergänzen. Man würde sich nur wünschen, Affleck hätte auf die Frage bei der Pressekonferenz, ob es sich bei seinem Spielfilm-Regiedebüt um einen Film handelt, der sich um the empowerment of women dreht und ob es ein feministischer Film sei, eine bessere Antwort als das wisse er eigentlich auch nicht gehabt.

Vielleicht war er aber einfach auch nur von dieser guten Frage überrascht, denn an sich bestehen Presekonferenzen aus drei Fragen, die in verschiedenen Formulierungen und in oft komplizierten Hüllen daherkommen. 1) Woher kam die Idee zu dem Film 2) Was will RegisseurIn uns mit dem Film sagen 3) Wie kam es zur Besetzung von XY als HauptdarstellerIn. Ich hoffe, es gibt einen tumblr, der die zusammengekniffenen Gesichter von SchauspielerInnen und RegisseurInnen versammelt, während sie Fragen bei einer Pressekonferenz zuhören und auf Sinnsuche gehen.

„Light of my Life“ huscht mir noch oft durch den Kopf. Bilder von Schnee, die Verrohung der Menschheit und wie ein Vater versucht, unter widrigsten Umständen sein Kind zu erziehen und ihm Bildung und Liebe zur Literatur zu vermitteln. Ein ruhiger und doch wuchtiger Film, der geradezu danach schreit, auf der Viennale gezeigt zu werden. Ich würd’ ihn mir ein zweites Mal anschauen.

Während es in „Light of my Life“ also keine Frauen gibt, so glänzt der Berlinale Wettbewerb mit sieben Filmen von RegisseurInnen - und Dieter Kosslick hat auch den Gender Parity Pledge unterschrieben.

Die Jean-Marais-Postkarte hab ich dann übrigens doch noch gekauft.

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