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„Die Großmutter ist die stille Revolutionärin in diesem Roman“

In acht Stunden ist man mit dem Autobus in Belgrad - wenn man gut durch die Grenzkontrolle kommt. Mit dem Romandebüt „Die guten Tage“ von Marko Dinić geht es express nach Serbien, hinein in einen Generationenkonflikt und zurück in eine Geschichte, die nicht allein die Länder des ehemaligen Jugoslawien betrifft.

Von Maria Motter

Marko Dinić spricht wie gedruckt. Er ist ein spannender Zeitgenosse, weil er die Auseinandersetzung nicht scheut und nicht bei jedem Quatsch mitmacht. Er wolle zu seiner Poetik und seinen Ansätzen gefragt werden, nicht nach seinem Outfit und ob er andere AutorInnen kenne, erklärte er mir in den Sommertagen, bevor er sich dem Bachmannbewerb stellte.

Jetzt ist sein erster Roman mit dem so schlichten wie wunderschönen Titel „Die guten Tage“ erschienen. Und es wird klar, wie ernst Marko Dinić Literatur nimmt. Der Roman spielt an drei Tagen, weist eine garantiert höchst gewissenhaft gewählte Konstruktion auf, die beim Lesen allerdings komplett in den Hintergrund tritt, weil die Geschichte, die hier erzählt wird, Krieg und Frieden im Großen und im Privaten verhandelt. Die Geschichte nimmt in einem Bus Fahrt auf.

Ein Mann Ende Zwanzig sitzt in einem Langstreckenbus von Wien nach Belgrad, um einen Ring dorthin zu bringen, der einst seiner Großmutter gehörte. Eindringlich ist dieser Trip beschrieben, der keine Reise ist. Während wir unterwegs sind beim Lesen, tauchen Erinnerungen wie Landschaften vor dem Autobusfenster auf.

Als ich Marko Dinić zum Interview treffe, bleibt wieder keine Zeit für Fragen nach der Poetik. Zu drängend nah sind die großen Themen, die in „Die guten Tage“ an die LeserInnen herangetragen werden. „Die guten Tage“ ist eine Absage an Balkan-Kitsch.

Großmütter sind eigentlich Figuren, über die geschrieben wird, aber sie schreiben selten selbst, oder?

Marko Dinić: Wenn ich auf die Geschichte meiner Großmutter schaue, deren Biografie auch teilweise in dieses Buch eingeflossen ist: Sie hat gerade die vierte Klasse beendet und Zeitung so gelesen, dass sie die Wörter mit dem Mund nachgezeichnet hat. Das bedeutet aber nicht, dass da nicht ein großes Potenzial gewesen ist. Man muss sich die Umstände und Gesellschaften anschauen, unter denen diese Leute aufgewachsen sind und in denen sie Arbeiten verrichten mussten, für die sie vielleicht auch nie geschaffen wurden. Da auch meine Großmütter sich immer im Hintergrund gehalten haben in der Familie und so eine leise Power im Hintergrund waren, war das auch ein Anlass, ihre Geschichten aufzuschreiben.

In deinem Debütroman geht es um ein Riesenthema: Es geht darum, wie korrupt eine ganze Gesellschaft werden kann, welche Mördermaschinen Menschen in einem gewissen System werden können, das das noch fördert, fordert und ermöglicht. Weshalb hast du dich entschieden, das zum Thema deines ersten Romans zu machen?

Marko Dinić: Ich weiß sogar noch das Datum des Tags, an dem ich angefangen habe zu schreiben. Das war am 24. März 2009. Das ist der Jahrestag des Bombardements auf Serbien 1999. Ich habe damals gemerkt, das ist so lange her und ich habe eigentlich gar keine Ahnung, was damals geschehen ist. Das Einzige, was ich konnte, war dieses Gefühl abzurufen, das ich damals verspürt hatte als Kind, und seitdem gehe ich diesem Gefühl nach, das kein gutes Gefühl ist.

Es ist mittlerweile auch das Gefühl eines Überlebens – bedenkt man, dass über 2.000 ZivilistInnen in diesem Bombardement gestorben sind. Und wenn ich zurückdenke an die Heftigkeit dieser Bombardements und an ganz bestimmte Details, wie dieser Krieg geführt wurde, sowohl von der einen als auch der anderen Seite, bin ich diesem Gefühl gefolgt, um diesen Roman zu schreiben. Und gleichzeitig natürlich auch, um bestimmten Biografien nachzugehen. Die Lust am Erzählen der Geschichten derer – das klingt jetzt sehr plakativ –, die ihre eigenen Geschichten nicht erzählen können. Wie zum Beispiel die Geschichte meiner Großmutter väterlicherseits, der dieser Roman gewidmet ist.

Buchcover: Zwei auf einer Mauer entlang laufende Personen

Hanser Verlage | Zsolnay

„Die guten Tage“ von Marko Dinić ist 2019 bei Zsolnay erschienen.

„Die guten Tage“ ist so ein wunderschöner Titel. Wir sind unterwegs mit dem Ich-Erzähler, aus seiner gewohnten Umgebung zurück in eine Vergangenheit, die aber doch zugleich eine Gegenwart ist: Es geht in das heutige Belgrad, das in ihm sehr viele Erinnerungen weckt.

Marko Dinić: Die Anfangsintention war es schon, diesen Protagonisten - ich würde ihn Antagonist nennen, denn er ist eigentlich kein angenehmer Zeitgenosse – in einem Nichtraum agieren zu lassen. Für mich war es klar, dass dieser Nichtraum nur dieser Bus, dieser sogenannte „Gastarbeiterexpress“ sein kann.

Du bildest über die Situation in diesem Bus auch die Gesellschaft ab, was sich sehr drastisch an dem zeigt, was sich abspielt.

Marko Dinić: Ich zitiere in diesem Buch einen Klassiker des jugoslawischen Kinos, den Film „Ko to tamo peva“, frei übersetzt „Wer singt denn dort“. In diesem Film gibt es Typen – es sind niemals psychologische Figuren –, die für eine kurze Zeit zusammengewürfelt und zu dieser Fahrt verdammt sind. Es gibt sehr viele Anspielungen im Roman bis hin zu popkulturellen Brücken, die ich schlage.

Der Protagonist ist 1999 elf Jahre alt, er war ein Kind in diesem Krieg. Es geht im Roman sehr viel um die Generationen und ihre Zugänge zum Krieg. Du schreibst vom „Angst-Ratlosigkeit-Sud“, in dem deine Generation aufgewachsen ist. Kannst du das erklären?

Marko Dinić: Dieser Angst-Ratlosigkeit-Sud ist das Resultat der politischen Umstände, unter denen wir als Kinder aufwachsen mussten. Die Angst ist das Resultat einer auf Ausgrenzung basierenden, nationalistischen Politik. Das ist die Angst, die sowohl damals als auch heute noch geschürt wird gegenüber Minderheiten, gegenüber dem vermeintlichen Feind – egal, wo der lauern mag.

Diese Politik findet immer Feinde. Also ist die Angst, die ich in dem Buch beschreibe, vielleicht keine reale, sondern eine hochgezüchtete. Und die Ratlosigkeit ist die Verwirrung der Elterngeneration, die einfach keinen Rat für ihre Kinder parat hat. Sie haben keine Antworten für sie, weil sie selber auch in dieser Hass-und-Chauvinismus-Schleife, in dieser konstruierten Angst hausen beziehungsweise selber mithalfen, diese Angst zu konstruieren und zu schüren. Das ist dieser Angst-Ratlosigkeit-Sud, der nach wie vor eigentlich sehr viele Teile des ehemaligen Jugoslawiens in seinem Bann hält.

Marko Dinić liest aus „Die guten Tage“: am 25.2. in der Stadtbibliothek Salzburg, am 26.2. im Literaturhaus am Inn in Innsbruck und am 28.2. in Wien bei der Österreichischen Gesellschaft für Literatur sowie am 27.3. im Grazer Literaturhaus.

Dabei gibt es andererseits auch den sehr verklärenden oder nicht verklärenden Blick auf das ehemalige Jugoslawien, den auch die jüngere Generation hat, indem sich viele als „wir Jugos“ bezeichnen und diesen Begriff für sich selbst positiv konnotieren.

Marko Dinić: Dieser Begriff „Jugos“, den ich auch selber positiv besetze, weil ich mich selber als Jugo verstehe, ist aber einer, der erst in der Fremde positiv wird. Der wird ja positiv verwendet von jenen Leuten, die in Österreich und in Deutschland in der Diaspora aufgewachsen sind. Was nicht wenige Menschen sind, wenn man bedenkt, dass Serbien ein Land von sieben Millionen Menschen ist und knapp fünf Millionen außerhalb leben.

Der Protagonist in deinem Roman versucht das auch. Er haut ab und versucht in der Fremde, in Wien, sich von dieser Angst und Ratlosigkeit zu lösen und seinen eigenen Weg zu gehen, weg von der Familie und fern des Einflusses des Vaters.

Marko Dinić: Er ist selber ein Geflüchteter. Er ist selber ein Getriebener. Und diese Wut auf die Väter-Generation und diese Wut auf die in seinen Augen verlorene Gesellschaft peitscht ihn nonstop an, sich neu zu erfinden. Aber er schafft es nicht. Er schafft es nicht, er landet in sehr prekären Umständen, die dieselben Vorzeichen tragen, die er von zu Hause kennt. Dort herrschen dieselben Narrative, dieselben Muster sieht er sowohl in der Fremde als auch in der vermeintlichen Heimat. Deshalb verschwimmt der Heimatbegriff, den ich behandle.

Heimat ist etwas ganz Entrücktes, eine komplett wahnwitzige Konstruktion, die nie greifbar wird und nach der er sich aber vielleicht insgeheim sehnt. Deshalb verfällt er immer wieder in diese Pathos-Schleifen, in diese Nostalgie, von der er auch selber sagt, dass sie eine Falle ist. Darin unterscheidet er sich nicht wesentlich von seinem verhassten Vater, der selber ein Tito-Nostalgiker war. Das noch als Antwort zur vorigen Frage: Was diese Gesellschaft zu einem großen Teil geprägt hat, ist diese unglaubliche Nostalgie gegenüber diesem einst so großen, blühenden, sozialistischen Land, das dieses Tito-Jugoslawien war. Was für meine Generation eigentlich keine Rolle mehr spielt, weil wir zu einer Zeit geboren wurden, wo das lange passé war und ganz andere, finstere Gestalten sich anschickten, ganze Generationen ausbluten zu lassen und sie immer noch ausbluten lassen.

Sind diese Nostalgie und der Blick zurück doch etwas, was aus Erzählungen von den Großeltern kommt?

Marko Dinić: Nicht von den Großeltern. Von meinen Eltern. Die Großeltern waren noch im Zweiten Weltkrieg, die haben das Land aufgebaut und kamen aus ruralen und raueren Strukturen. Diese Euphorie des Tito-Jugoslawiens wird eher von der Elterngeneration getragen, weil sie diejenigen waren, die von dieser famosen Reisefreiheit gekostet haben, von diesem sozialistisch-liberalen Jugoslawien, das anders als die stalinistisch geprägten Länder viel offener war, viel toleranter auch gegenüber den Studentenprotesten.

Aber mit der Realität meiner Generation hat das nichts mehr zu tun. Weil wir eigentlich in den sich andeutenden Trümmerhaufen hineingeboren wurden und uns diesem Trümmerhaufen stellen müssen. Und nicht eben einem Land, das es in unserer Vorstellung gar nicht gibt. Wir kennen dieses Land ja nur aus Bildern und aus Super-8-Filmen. Das ruht in der Vorstellung und in den Erinnerungen unserer Eltern. Ich gönne es ihnen. Aber für mich, und ich wage es, für Leute meiner Generation zu sprechen: Mit unserer Lebensrealität hat das nichts zu tun.

Im Roman schreibst du den Satz: „Die totale Entmündigung meiner Generation war nur ein kleiner Teil der großen moralischen Niederlage nach den Kriegen der Neunziger Jahre gewesen.“ Mit Blick auf das heutige politische Serbien, wir sind so nah eigentlich, was kriegen wir mit von Belgrad?

Marko Dinić: Ich verfolge das Geschehen so gut wie möglich, weil meine ganze Familie dort noch lebt und ich sehr oft in Serbien bin. Man könnte ein ganzes Kapitel über westliche Berichterstattung schreiben. Natürlich gibt es viele einseitige Tendenzen.

Aber man muss sagen: Die alten sozialistischen Länder haben ein Vakuum hinterlassen und über dieses Vakuum wurde so halbgar eine Art parlamentarische Demokratie gestülpt, die in dem Sinn nur in einer schlechten Komödie funktioniert. Und darüber ist in den letzten Jahren ein Turbokapitalismus gekommen, der die Leute sehr verbittert gemacht hat. Die Leute in Serbien sind konfrontiert mit einem Regime, das mehr und mehr Züge einer Autokratie trägt, welches aber auch vonseiten der Europäischen Union legitimiert wird.

Die Länder des ehemaligen Jugoslawiens werden auch in der Literatur immer wieder zu so exotischen Orten verklärt, mit ausschweifender Musik und Kusturica-Filmen, diese Beseeltheit und Feier eines Lebensgefühls, das uns vermitteln soll: Egal, auch wenn die Welt um uns in Asche zerfällt, bleiben wir uns treu im Exzess. Das ist falsch! Die Leute sind konfrontiert mit ganz bitteren Fragen der Realität und sie wissen nicht, wie sie ihre Kinder durchfüttern können. Ich will mit diesen Klischees aufräumen, die einem oft in Gesprächen begegnen: „Damals im Urlaub in Kroatien ...“

Serbien und die Länder des ehemaligen Jugoslawiens sind im Roman eine Blaupause für das übergeordnete Thema des Nationalismus und des Hasses, der durch diesen Nationalismus geschürt und geöffnet wird. Es geht mir darum zu zeigen: Diese Angst ist nicht nur in Serbien, in Kroatien oder in Mazedonien Realität, sondern sie steht vor der Haustür eines jeden und einer jeden.

In Belgrad gibt es seit Monaten Proteste.

Marko Dinić: Die Demonstrierenden werfen der Regierung einen zunehmend autokratischen Stil vor und stellen sich gegen diese ganz starke Medienkonzentration und protestieren für unabhängigere Medien. Seit schon fast zehn Wochen versammeln sich die Menschen jeden Samstag zu Zehntausenden und gehen protestierend durch die Straßen.

Wird Deine zweite Großmutter auch Teil einer literarischen Geschichte werden?

Marko Dinić: Ich habe schon vor, einen Roman zu schreiben, in den ein Teil ihrer Geschichte hineinverwoben werden soll. Weil diese Großmütter für eine Alternative stehen mit ihrer Besonnenheit, aber auch mit ihrer Entrücktheit und fast asketischen Ruhe. Eine Alternative zu einer durch und durch patriarchal konstruierten, machistischen Gesellschaft. Die Großmutter ist die stille Revolutionärin in diesem Roman. Das ist ein Gedanke, den ich weitertragen möchte.

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