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Aktueller Musiktitel:

Modeselektor

Birgit Kaulfuss

FM4 Artist Of The Week

Euphorie im Soundinferno

Das Berliner Duo Modeselektor ist zurück, mit einem acht Stücke umfassenden Album, das den Titel „Who Else“ trägt, eine rhetorische Frage, die in unseren Gefilden mit der Feststellung „Wer, wenn nicht wir“ zu übersetzen ist.

Von Natalie Brunner

Der Titel „Who Else“ lässt mich sofort spekulieren, dass es sich um Musik handelt, die Gernot Bronsert und Sebastian Szary von Modeselektor selber gerne hören, ihre Existenz also der Liebe zur Sache geschuldet ist und nicht einem Erfüllen von Verpflichtungen oder Konventionen. „Who Else“ ist ein kleiner, kurzer, unprätentiös gewählter Titel, der aber, sollte ich richtig liegen, Liebeserklärung und Mission Statement in sich trägt.

Die Uhren werden beginnen, rückwärts zu laufen, bevor Modeselektor jemals schablonenhafte, im weitesten Sinne als Techno zu bezeichnende Clubmusik machen. Jede ihrer Produktionen ist von einer Idee beseelt, geschmückt mit Sounds, die sorgfältig aus den Maschinen herausgezaubert wurden, es kickt und groovt, ohne simple Rezepte zu verwenden. Modeselektor schaffen es, einen Widerspruch aufzulösen: Ihre Werke sind stets überraschend und doch als ihr Schaffen erkennbar. Ohne in ein mittelschullehrerinnenhaftes „Man muss die Regeln beherrschen, um sie zu brechen“, verfallen zu wollen, kann ich mir die Bemerkung nicht verkneifen, dass es nur rechtens wäre, wenn die beiden Party-Jedis mit Master Modeselektor angesprochen würden.

Die Presseinfo lässt uns auch wissen, dass sie mit der gleichen fokussierten Authentizität, mit der Master Yoda auf dem Planeten Dagobah mit jedem Jahr, in dem er Steine bewegt, stärker in der Macht wird, im Studio komponieren und Klänge erschaffen: „Im Studio geht es immer noch um dieselben Dinge wie früher, die Suche nach dem Beat, den sie noch nicht gemacht haben, den ewigen Kampf um den perfekten Mix. Keine Kick klingt wie eine andere auf diesem Album, keine Snare wiederholt sich in einem anderen Track. Jede Hi-Hat ist maßgeschneidert, kein Synthesizer taucht irgendwo noch mal genauso auf.“

Szary und Gernot ausm Kiez

„Don’t be fooled by the rocks that I got, I’m still, I’m still Jenny from the block. Used to have a little, now I have a lot, No matter where I go, I know where I came from.“ Es ist natürlich eine unverschämte Lüge, die Jennifer Lopez 2002, in dem Jahr, als Modeselektor ihre erste EP veröffentlicht haben, gesungen hat. Auf die beiden Producer scheint es aber zuzutreffen. Anstatt zu Sounds gewordene touristische Partymythen und Beatklischees zu bemühen, hören sie in die Ecken, Winkel und Buden hinein, in denen in der Stadt, die niemals schlafen gehen muss, Interessantes, Verschrobenes und Leftfieldiges ertönt.

Modeselektor beim Zeitunglesen und Kaffeetrinken auf der Parkbank

Birgit Kaulfuss

„One United Power“, mit dem „Who Else“ eröffnet, ist ein Stück, das dich auf euphorisierende Weise in den Arsch tritt. Steh auf, geh raus, tu was, das die Umstände, die dich ankotzen, ändert. Das könnte in meinem Fall von Raven-Gehen über Plastik-Sammeln bis hin zu Schlachthöfe-Dichtmachen und das Patriarchat-Zerstören gehen. Ich höre „One United Power“ als Hymne gegen Passivität.

Auf der Nummer „Wealth“, die schon seit einiger Zeit auf FM4 rotiert, ist die junge, aus Südlondon kommende, nennen wir es einmal Grime-MC Flohio zu hören. Auch wenn man vom Text nichts versteht, aus dem Titel „Wealth“, also Reichtum, Wohlstand, ist sofort aufgrund des Klanges klar, dass es eine Attacke auf den Status Quo des Kapitalismus ist.

„Prügelknabe“, in unseren Gefilden des Öfteren durch die rassistische Endung „das schwarze Schaf“ ersetzt, ist der Joker der Rechten, die vorherrschende Strategie, um Menschen mit konstruierter Schuld zu beladen. Ich wäre gerne dabei, wenn Modeselektor nicht-deutschsprachigen Journalistinnen Aussprache, Bedeutung und momentanen Verwendungszusammenhang dieses Wortes erklären. Wobei bei dieser Nummer bin ich durchaus bereit zuzugeben, dass mein Interpretationswille und Politisierungsdrang zu weit gehen könnten. Vielleicht ist der Prügelknabe auch nur der Drumcomputer, der bis zur Klimax ganz schön was abkriegt.

Auch der aus Estland stammende Zeitgeistsaboteur, Cloudrapper und seit diesem Text auch Kulturkritiker Tommy Cash rappt seinem Namen entsprechend auf der Nummer „Who“ über das Scheitern von Träumen, die ohnedies naiv waren im Kapitalismus. Wer hat gesagt, dass - was auch immer - funktioniert, wenn du das glaubst, was dir gesagt wird, und du dich an die Regeln hältst. Ab der zweiten Strophe besteht der Text nur mehr aus Blablabla, inklusive Kinderchor. Obwohl erst Februar ist, möchte ich hier ganz offiziell zu Protokoll geben: potentielle Lieblingsnummer 2019. Der Blablabla-Teil ist schon als Soundfile auf meinem Handy, um es bei verbalen Zusammenstößen im öffentlichen Raum meinem Gegenüber vorspielen zu können.

Techno, Gabba, Breakbeats, 303, 808

Das WMF war und wird vielleicht irgendwann mal wieder eine Institution der Clubgeschichte. Das WMF war der älteste Club in Berlin Mitte, zuerst beheimatet in einem leerstehenden Gebäude des Besteckherstellers, daher der Name. In den fast zwei Dekaden seines Bestehens ist der Club von einem leeren Industriegebäude ins nächste gezogen, insgesamt acht Mal. Irgendwann gab es keine wirklich leerstehenden geeigneten Gebäude mehr und der Vermieter hat über Nacht den Vertrag gekündigt. „WMF Love Song“ ist also auch eine indirekte Art, Stadt- und Clubgeschichte zu erzählen. Im WMF wurde für alle Kurz-nach-der-Wende-Raver-Kids, die dabei waren - und nicht nur für sie - prägende Clubgeschichte geschrieben. Nachzuhören in der 4 Minuten 30 dauernden Liebeserklärung.

„I’m Your God“ ist eine etwas düsterer ausfallende Verbeugung vor der Macht des Beats. Rave-Sensibelchen könnten bei dieser Nummer, besonders bei den Effekten auf der Stimme, auf der Suche nach einem Safe Space und einem zuckerhältigen Getränk den Tanzboden verlassen oder zu Hause auf Skip drücken, bevor die Hochschaubahn von Fentanyl losgeht.

Modeselektor live in der Arena Wien am 28. Februar.

Fentanyl ist ein synthetisches Opioid, bis zu 120 Mal stärker als Morphin. Bei Narkosen von Mensch und Rhinozeros wird es legal eingesetzt. Fentanyl aus China überschwemmt derzeit den Erdball. Die Todesraten sind so hoch, dass sogar die größten Drogenhandelsplätze im Darkweb sich auf den Moralkodex geeinigt haben, den Killer aus dem Sortiment zu nehmen. Zu spät für all die Menschen, die die Statistik der Drogentoten in den USA in den letzten Jahren auf immer neue Höchstwerte schnellen ließen, unter ihnen auch Prince, den wir bei dieser Reise ins Herz der Finsternis verloren haben. Ich schätze, den Pulsschlag auf Fentanyl kann man sich vorstellen wie den Beat von „I’m Your God“.

Albumcover: Modeselektor "Who Else"

Monkeytown Records

Modeselektor- „Who Else“

Das Album „Who Else“ schließt mit einem vermeintlichen Schlafliedchen. „Wake Me Up When It’s Over“ erzeugt bei mir das Bild von den beiden Modeselektoren, die in ihrem Backstageraum ein genüssliches Schläfchen halten, währen rundherum Pre- oder Aftershow-Wahnsinn abläuft - aber nur der Beginn der Nummer. Ich empfehle einen Eigenversuch mit den ersten 90 Sekunden von „Wake Me Up When It’s Over“. Kann es euch auch express ins Reich der Träume befördern, wenn ihr zu lang und zu wild gefeiert habt? Aber aufgepasst, Modeselektor beweisen nach diesen 90 Sekunden, dass es nie zu spät ist für eine weitere musikalisch induzierte Klimax und sei es, dass frau oder man im Bett aufspringt und die Nachtischlampe als Glowstick missbraucht.

Modeselektor lassen uns mit einem euphorisierenden Soundinferno zurück. Das Album ist aus und die Hörerschaft ist auf 1000 und angejunkt auf mehr, leben, ausgehen, die Endorphine hüpfen lassen.

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