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"Fight Club": Nackte Männeroberkörper im Fight Club

20th Century Fox

Das erste Mal: „Fight Club“

Der Kultfilm der späten 90er Jahre rund um den versuchten Ausbruch eines gewöhnlichen Versicherungsvertreters aus dem Hamsterrad des Kapitalismus ist, zumindest beim ersten Mal Sehen, ein vielseitiges Spektakel.

Von Robert Glashüttner

Ich habe 20 Jahre lang einen Bogen um „Fight Club“ gemacht, weil ich befürchtet habe, dass mich das Thema Gewaltsehnsucht zu sehr beschäftigen würde. Für die meisten Menschen in behüteten westlichen Gesellschaften ist physische Gewalt glücklicherweise etwas Abstraktes. Sie findet in der Zivilbevölkerung selten statt, und doch können wir Menschen uns natürlich nicht komplett davon lösen.

In der FM4 Sommerserie „Das erste Mal“ stellen sich Redakteur*innen jenen berühmten Streifen, die sie bislang immer verpasst haben.

Gewaltdarstellungen sind alltäglich in fiktiven Geschichten: In Romanen, Theaterstücken, Filmen oder Computerspielen darf und soll es auch mal heftig zur Sache gehen. Figuren, die uneingeschränkt mutig und gewaltbereit sind (und dabei meistens auch einen moralischen oder systemkritischen Auftrag haben) sind eine Vision, für die in unserer zivilisierten Gesellschaft außerhalb der Fiktion kein Platz ist, aber deren anarchische Kraft uns dennoch fasziniert. Ebenso wie das meist dazugehörende und in „Fight Club“ oft zitierte Ganz-unten-Ankommen, wo man nichts mehr zu verlieren hat und einem alles egal ist.

Wir alle haben hin und wieder einen latenten Drang nach aktiver und/oder passiver körperlicher Gewalt. Wie geht man damit um? Dieser Ambivalenz wollte ich mich beim ersten Mal „Fight Club“ stellen. Würde ich insgeheim auch dem Club beitreten wollen?

"Fight Club": Der Erzähler mit blutiger Nase und Polizisten im Hintergrund

20th Century Fox

Wunden, Beulen und Blutspuren bringen weniger Verunsicherung im (Film-)Alltag, als man glauben würde. Notfalls ist man ein paar Treppenstufen hinuntergefallen.

Sich nicht mehr spüren

Obwohl Szenen, Schauspiel und Schnitt fantastisch sind und „Fight Club“ deshalb zumindest beim ersten Mal sehen herrlich kurzweilig ist, trägt der von David Fincher verfilmte Roman von Chuck Palahniuk inhaltlich ziemlich dick und plakativ auf. Die auch an anderen Stellen oft bemühte Überspitzung vom durch die Konsumgesellschaft komplett betäubten Menschen, wird dem Facettenreichtum von Kapitalismus nicht ansatzweise gerecht. Würde dieser nur aus großen Konzernen und deren Versprechungen bestehen und dabei keinerlei Widersprüche, Subversionen und Umkehrungen zulassen, wäre er schon längst abgeschafft.

Doch der namenlose, von Edward Norton gespielte Protagonist von „Fight Club“ passt in diese oberflächliche Schablone. Er ist ein überspitzt gezeichnetes Konsumopfer, dem neben seinem Versicherungsjob, einer gut bestückten Garderobe und einer voll ausgestatteten Ikea-Wohnung unglaubwürdigerweise nichts Anderes in seinem Leben einfällt. Da hilft nur die komplette Kehrtwende, nämlich die ultimative anarchische Dekonstruktion von allem, was der bürgerlichen Konsumkultur hoch und heilig ist: Besitz, Anstand, Sicherheit. Ganz oder gar nicht, lautet die Devise. Für Subtilitäten ist in „Fight Club“ kein Platz, doch das würde wohl auch dem Spektakel entgegenstehen.

"Fight Club": Der Erzähler und Marla im Waschsalon

20th Century Fox

Marla Singer (Helena Bonham Carter) hat als einzige weibliche Hauptfigur enttäuschend wenig Eigenständigkeit. Sie dient vor allem dazu, die Geschichte der Männer mit Sex und Suizidgedanken etwas aufzulockern.

Hau her!

In Bezug auf die eingangs erwähnte Ambivalenz der physischen Gewaltanwendung unter Normalbürger*innen, kann ich mich in die erste Szene, die später zum namensgebenden Fight Club führt, gut einfühlen: "Komm, schlag mich! - Das erinnert an Situationen mit Schulkollegen in der Unterstufe, wobei man sich dabei in den allermeisten Fällen aber gegenseitig lediglich die Oberarme blau geboxt hat. Dennoch hat die Idee eines zumindest einigermaßen auf Regeln basierenden Schlägerei-Vereins etwas Verlockendes.

Leider kippt der Fight Club bald vom Ort zum Dampfablassen für durchschnittliche Männer in eine unangenehme Prügeltruppe. Statt in einer Gruppe reflektiert mit seinen individuellen Gewaltfantasien zu spielen, geht es bald nur noch um das Zelebrieren eines archaisch-brutalen, ultramaskulinen Rituals. Frauen sind da natürlich komplett unerwünscht, und ohne Zusammenschlagen, bis der Arzt kommt, scheint es nach einer Weile gar nicht mehr zu gehen. Das ist definitiv nicht mehr Unterstufe und auch jenseits eines gesunden Ventils für die eigenen Aggressionen.

Turn it up to 11

Im letzten Drittel legt der Film dann nochmal nach, wenn nämlich aus der Prügelgemeinschaft - die mittlerweile Dependancen in allen möglichen US-amerikanischen Großstädten gefunden hat - eine faschistoide, paramilitärische Truppe wird. Irgendwann dämmert es dann auch dem anarchischen Anführer, dass das vielleicht doch alles ein wenig viel auf einmal ist.

Trotz gemischter Gefühle bin ich froh, mir „Fight Club“ rechtzeitig zum 20-Jahre-Jubiläum doch noch angesehen zu haben. Sogenannte Kultfilme wie dieser, die zur Zeit ihrer Erscheinung vor allem auf auffällige Szenen und markige Sprüche reduziert worden waren, sind mit etwas Abstand und in einer ganzheitlichen Rezeption (inklusiver vieler aktueller und älterer Einschätzungen und Kritiken) später oft wesentlich interessanter.

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