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Szene aus "Muttertag": Frau richtet einem Mann die Fliege

Harald Sicheritz

Das erste Mal „Muttertag“

Dein erster „Muttertag“ könnte auch dein letzter gewesen sein.

Von Boris Jordan

Es ist ja keineswegs so, dass alle Gestalter*innen der Rubrik „Das erste Mal“ die ganzen ihnen unbekannten, blöd als „Kultfilme“ bezeichneten Werke nur unabsichtlich noch nicht gesehen hätten. Einige von ihnen haben ein paar von den später zu „Klassikern“ gewordenen Filme einfach verweigert. So habe ich, als „Muttertag“ rausgekommen ist, rasch beschlossen, dass ich das Genre „österreichischer Kabarettfilm“ schlicht ganz auslassen würde.

In der FM4 Sommerserie Das erste Mal stellen sich Redakteur*innen jenen berühmten Streifen, die sie bislang immer verpasst haben.

Grund für meine Verweigerung waren eigene, auf Trailern und anderen Vorurteilen fußende Entschlüsse, welche der zwingenden Bestandteile des Genres ich nun gar nicht aushalten würde: die dauernden Skurrilitäten und herrlichen „Schrägheiten“, das fortwährende Wuchteldrucken, das Ausschlachten von Ernst Hinterberger’schen Wienerismen, nur ohne dessen Warmherzigkeit, das wohlfeile Abgrenzungs-Schenkelklopfen auf Kosten der nicht bürgerlich gebildeten, sogenannten Unterschicht – all das hat mich damals zu Tode gelangweilt und tut es noch.

I sag’s glei, I woa‘s net

Nicht gerade wenige dieser Klischees bewahrheiten sich bei der ersten Sichtung von „Muttertag“, 25 Jahre später, aufs Gnadenloseste.

Der Film beginnt schon mit einem der wienerischsten Zitate, einem Aufschrei. Während ein Puch Maxi durch den Gemeindebau dröhnt, brüllt eine Stimme genüsslich gedehnt „Oaschloch“, die Lieblingsszene von Schauspielerin Andrea Händler.

Da gibt’s jetzt nix zum blöd Schauen

Somit beginnt Muttertag gleich mit etwas, das den Erfolg des Films bei allen Alterungsschwierigkeiten nachhaltig und zeitlos gemacht hat: Die Dialoge bestehen zu einem großen Teil aus sich wiederholenden Catch-Phrasen - teilweise übertrieben oft wiederholt, damit es noch die Widerständigsten bemerken -, die in die österreichische Alltagssprache eingegangen sind, etwa „I hob nur g’schaut“, oder, für Deutsche doppelt unverständlich, „Pudl di net auf, Hustinettenbär“ oder „Des geht eahm original genau goa nix an“, „I sag’s glei, I woa‘s net“, sowie das immergrüne „Na, sehr super“.

Szene aus "Muttertag": Zum Muttertag wird ein Gedicht aufgesagt

Harald Sicheritz

Die Figuren sind absichtlich in scherenschnittartige Klischees gepresst: Verklemmter Spießerpapa, verklemmte Spießermama, beide mit Hirschgemälde im Schlafzimmer, sich noch dümmer stellender verkalkter Gemein-Opa, sexy Freigeistin auf Rollschuhen, sadistische Kinderbande, höfliche Punks, Sandlerphilosophen, ein dauergeiler Polizist, ein dummer Postler, ein Corvette-Macho, die untätige Versagerpolizei, der böse Nachbar, der wegen jedem Schaß die untätige Versagerpolizei anruft - 25 Rollen, fast ausschließlich von den Mitgliedern des „Schlabarett“ dargestellt (Roland Düringer spielt allein 7 davon). Darauf war man besonders stolz, seltsamerweise, denn selbst 1994 hat man schon Monty Python oder die britische Idiotenserie „Carry-On“ gekannt, deren Markenzeichen die verteilten Rollen schon in den Sechziger Jahren gewesen waren.

Die eigentliche Handlung spitzt sich nicht übertrieben überraschend auf den unvermeidlichen Muttertag zu, an dem sich alles erwarteterweise in einer halb-unabsichtlichen Gewaltorgie erschöpft, bei der die einzig sympathische Figur des Films geopfert werden muss, damit es zur gipfelnden Ultimativ-Skurrilität kommen darf. Und, ja, „Eat the Rich“ war auch damals schon 7 Jahre alt.

Na, sehr super

Die Dialoge abseits der erwähnten Catch-Phrasen sind teilweise sprachlich sehr gut getroffen, irgendwie ist der Film am besten, wenn er nicht lustig ist. Die Muttertagsgedichte sind witzig, auch die Tatsache, dass die Pfadfindergruppe eine Busstation in den Park fährt oder der Postler sich beim Puch-Maxi-Rekordversuch durch den Spielplatz „verbremst“ hat.

Am charmantesten ist die Idee, nahezu sämtliche Nebenrollen, die nicht von den Schlabarett-Akteur*innen gespielt werden, durch die ältere Generation von Kabarettisten verkörpern zu lassen. So spielen Lukas Resetarits, I Stangl, Niki List, Fritz Muliar und Herwig Seeböck nette kurze Cameo-Rollen, Kurt Ostbahn und Roland Neuwirth singen als Sandler im Park inmitten von Autowracks und brennenden Mistkübeln, dazu geben FM4 Moderator Martin „Sugar B“ Forster und Günther „Gunkl“ Paal die netten Punks von nebenan.

Szene aus "Muttertag" mit einer Gruppe von Sandlern

Harald Sicheritz

Die Darstellung von Punk oder Subkultur ist nicht nur schlecht gealtert, sondern war schon damals alt. Die Band „Wiener Wunder“ (seltsamerweise ohne ihren Sänger, der immerhin die Hauptrolle in „Müller’s Büro“ gespielt hatte und ebenso wie Andreas Vitasek in der Altkabarett - Riege fehlt) schaut aus, als wenn sie sich für ein Vorstadt-Gschnas aufgepunkt hätte und spielt den Titelsong, der sehr laut nach dem New Wave von Nina Hagen oder Hansi Lang klingt, der zum Zeitpunkt der Entstehung auch schon gut 10 Jahre her war. Aber vielleicht ist „Muttertag“ ja genau deshalb ein ungewollt nahes Abbild von Punk und Subkultur im Österreich der Neunziger geglückt.

Opa, du Sau

Vielleicht tut man dem Film auch Unrecht, sind doch einige Ideen in den letzten 25 Jahren zu sehr breit getreten worden, vor allem in der Fernsehserie „MA2412“ und ihren gefühlt 900 Wiederholungen - also von den Autoren selber, also doch nicht ganz so ungerecht. Wer Roland Düringer schon hundert Mal durch schlechte Zähne nuscheln gesehen hat, kann eben das Original dahinter nicht mehr entziffern. So etwas überlagert die nicht wenigen Leistungen, die aus der Schlabarett-Ecke seither gekommen sind auch bei mir Kabarett-nicht-lustig-Finder.

Vielleicht, nein, sicher tut meine steinerne Miene bei der Erstsichtung dem Film auch unrecht. Schließlich halte ich persönlich den Großteil der Akteur*innen für zwar sympathisch, nur eben nicht sehr witzig, da kann keine*r was dafür. Und: Bei der Frage, wie gut oder schlecht etwas „gealtert“ sei, wird nämlich meist die unangenehme Frage ausgeblendet, wie gut oder schlecht man selber gealtert ist. Und so halte ich es gerne auch weiterhin.

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