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Comiczeichner Charlie Adlard in seiner Heimatstadt Shrewsbury

Paul Pant

Besuch bei „The Walking Dead“-Artist Charlie Adlard

Charlie Adlard hat 15 Jahre lang „The Walking Dead” (TWD) gezeichnet. Dieses Jahr im Juli hat er mit Autor Robert Kirkman seinen letzten, großen TWD-Coup gelandet. Völlig unerwartet erschien die finale Ausgabe. Ein Schock für die Fans, aber kein „Pensionsschock“ für Charlie Adlard. Wir haben ihn in seiner Heimatstadt Shrewsbury besucht.

Von Paul Pant

Zur Einstimmung auf die Vienna Comic Con (23. bis 24. November) haben wir eine Living Legend aus der Comicwelt besucht: Charlie Adlard. Der Brite hat jedes Monat 22 Comicseiten plus ein Cover gezeichnet. Von Ausgabe Nummer sieben an bis zum letzten Heft Nummer 193 war er an Bord. Eine Menge Arbeit. Angeheuert wurde er im Jahr 2004 vom Verlag Image Comics und Autor Robert Kirkman.

Vienna Comic Con 2019

Die Vienna Comic Con feiert dieses Wochenende ihr 5. Jubiläum. Die VIECC ist Österreichs größte Comicmesse. Sie findet am 23.11. und 24.11. in der Reed Messe Wien statt. Die Liste an Stargästen ist lang, vom „Herr der Ringe“-Schauspieler Sean Astin (Samweis Gamdschie) bis zur Comiclegende Frank Miller werden viele bekannte Gesichter anwesend sein. Hier findest du alle Infos dazu.

Adlard hatte sich damals in der Comicwelt bereits einen Namen gemacht. Sein Stil und sein Ruf, sehr schnell zeichnen zu können, eilten ihm voraus. Vor allem die Schnelligkeit ist ein wertvolles Asset für die großen US-Comicserien. Jeden Monat muss neues Material im Geschäft liegen. Dem Kampf mit den Deadlines weint Charlie Adlard heute keine Träne nach. Er möchte nie wieder unter solchem Zeitdruck arbeiten müssen, sagt er: „I could never draw a page, until I was satisfied with it.“ Nach einem strikten, selbst auferlegten Plan musste er zeichnen. Nach einigen Stunden die Seite in einer Schublade verschwinden lassen, damit er sie bis zur Abgabe nicht mehr sehen musste - die Fehler, die nur dem Meister ins Auge stechen.

„Draw The Walking Dead“ in Charlies Heimatstadt

Diesen „Fehlern“ hat sich Charlie nach dem Finale von TWD gestellt. In seiner Heimatstadt Shrewsbury hat er das erste Mal seine Comickunst in einem Museum ausgestellt. Die unzähligen Blätter, Covers und sonstiges, die Charlie Adlard in den 15 Jahren gezeichnet hat, sind nämlich nicht bei irgendwelchen Sammlerinnen und Sammlern verschwunden. Die meisten sind noch im Besitz des Künstlers. Das ist der Deal beim Indie-Verlag Image. Autor und Artists behalten ihre Rechte. Im Gegensatz zur Arbeit bei den Big Playern am Markt.

Die "Draw The Walking Dead" Ausstellung im Shrewsbury Museum

Paul Pant

Charlie Adlard sitzt also auf einem ziemlichen Schatz. Einzelne Blätter werden in den USA mit bis zu 20.000 Dollar gehandelt. Bevor aber alles unter den Hammer kommt, hat Charlie Adlard seine Zeichnungen noch einmal hergezeigt. Das Besondere dabei: Er hat die Original-Zeichnungen zusammen mit den Tusche-Zeichnungen ausgestellt. Ein tiefer Einblick in den „Old school“-Schaffensprozess beim Comiczeichnen, den nicht jeder Künstler zulässt.

Neue Projekte ohne Abgabedruck

Das Ende von Sheriff Rick Grimes hat Charlie gut überstanden, versichert er. Er liebt den Scherz, dass er sich jetzt endlich Zeit nehmen kann, Zeichnen zu lernen. Kein Pensionsschock also. Im Gegenteil: Er ist in den vergangenen Monaten rund um den Globus gereist, hat Conventions besucht, Ehrentitel verliehen bekommen, Ausstellungen gestaltet und viele neue (kleinere) Projekte gestartet. Ökonomischen Druck hat er ja nicht mehr, wie er mit britischem Understatement und einem Grinsen verrät. Seine neuen Projekte zeichnet er mittlerweile auch digital am Tablet oder am Computer und nicht mehr am klassischen Zeichenbrett, vor dem Fenster seines Arbeitszimmers. Sein aktuellstes Projekt ist „Heretic“, eine Mittelalter-Geschichte, die eine Mischung aus „Sherlock Holmes“ trifft auf „Der Name der Rose“ werden soll. Mit an Bord bei diesem Projekt ist sein Freund Robbie Morrison, der ebenfalls in der Nähe von Shrewsbury lebt.

FM4 Homebase Spezialstunde mit Charlie Adlard

Anlässlich unseres Besuchs von Kult-Artist Charlie Adlard hat es am Montag, den 18. November 2019, eine Homebase Spezialstunde gegeben. Den Besuch gibt es 7 Tage zum Anhören in unserem im FM4 Player, in der FM4 App oder gleich hier:

Hauptstadt der britischen Comicindustrie

Die Verlockungen Hollywoods haben Charlie Adlard übrigens nie interessiert. Er wohnt noch immer in seiner Geburtsstadt Shrewsbury (engl. ausgesprochen “Schroussberri” oder auch “Schruhsberri“, 70.000 Einwohner, in der kleinen englischen Grafschaft Shropshire. Wie der Name der Stadt richtig ausgesprochen wird, darüber ist man sich selbst vor Ort nicht einig. Die BBC hat einmal versucht, das zu klären, und ist gescheitert.

Die idyllische Kleinstadt mit mittelalterlichem Kern liegt nahe der walisischen Grenze, 60 Kilometer vom industriell geprägten Birmingham entfernt. Ein durchwegs ländliches Gebiet. Für die britische Comicszene ist die Stadt aber extrem wichtig geworden. Nicht nur wegen Charlie Adlard. Die BBC hat Shrewsbery als inoffiziellen Sitz der englischen Comicindustrie bezeichnet.

Eisner-Award-Gewinner*innen und andere Held*innen

Tatsächlich ist die Comicmenschendichte in der Gegend extrem hoch. Eisner-Award-Gewinner Christian Ward (für Black Bolt von Marvel) ist zugezogen. Er hat dieses Jahr sein SciFi-Comic „Invisible Kingdom“ veröffentlicht. John Wagner, Co-Erfinder von Judge Dredd (mit Carlos Ezquerra) wohnt ebenfalls schon seit Jahren in der Gegend. Er hat in den 80er Jahren für die „Batman Detective Stories“ geschrieben (mit Alan Grant) wie auch die Graphic Novel „A history of violence“, die David Cronenberg verfilmt hat.

Robbie Morrison, mit dem Charlie Adlard gerade an „Heretic“ arbeitet, war Autor für das berühmte britische Comicmagazin 2000 AD. Seine Frau Deborah Tate hat früher für Marvel in London gearbeitet. Neben den Comic Artists gibt es auch noch einige bekannte britische Cartoonists. Dan Berry zum Beispiel, er ist mit Charlie Adlard in Shrewsbury aufgewachsen. Die Liste könnte noch lange weitergeführt werden.

Charles, Charles und Charlie

Charles Darwin ist in Shrewsbury geboren. Charles Dickens hat hier das erste Mal aus seiner „A Christmas Carol“ vorgelesen, die bekannte Verfilmung dazu aus dem 1984 wurde in der Altstadt von Shrewsbury gedreht, und das Grab von Ebenezer Scrooge kann man am Friedhof der St. Chad’s Church besuchen. Dieses wurde allerdings erst beim Filmdreh angelegt, also der Name des Hauptdarstellers in einem herren- und namenlosen (Original-)Grabstein eingraviert. Wessen Gebeine tatsächlich drinnen liegen, ist unbekannt. Fun Facts over.

Wyle Cop Straße in Shrewsbury

Paul Pant

Mit TWD ist eine Comicära zu Ende gegangen

Das erste TWD-Heft erschien im Oktober 2003. Der Zombie-Geschichte vom Indie-Verlag Image Comics wurde anfangs wenig Zukunft vorausgesagt. Autor Robert Kirkman und Zeichner Tony Moore hatten die Idee dazu.

Jim Valentino, Herausgeber bei Image zu diesem Zeitpunkt, erinnert sich in einer „Jubiläums“-Doku von Syfy Wire, dass er überzeugt war, dass sich Zombiecomics nicht verkaufen lassen. Robert Kirkman schwindelte deswegen beim Story-Pitch, dass es eigentlich um eine Alien-Invasion ginge: Der Zombievirus sei nur die Vorbereitung für einen intergalaktischen Krieg. Die Aliens sind nie gekommen (es gab lediglich ein nicht ganz ernst gemeintes Spin-off, Jahre später), stattdessen wurde TWD die umjubelte Charakterstudie eines Vaters, der mit seinem Sohn in der Zombieapokalypse überleben will.

Erfolg und Rekorde

Nach der sechsten Ausgabe steigt Tony Moore als Hauptzeichner aus und Charlie Adlard übernimmt von da an die Feder. Von Ausgabe zu Ausgabe geht es stetig bergauf mit den Verkaufszahlen. Innerhalb weniger Jahre stieg „The Walking Dead“ zur bislang erfolgreichsten Comicbuchserie der vergangenen zwei Jahrzehnte auf. Hatte das erste Heft noch die Mini-Auflage von 7.300 Stück, ging das 100. Heft, 383.612 Mal über den Ladentisch. Der Rekord wurde nur zum 25-Jahr-Jubiläum des Verlags übertroffen. Damals wurden 750.000 Hefte ausgeliefert. Robert Kirkman war da bereits Mitherausgeber von Image Comics.

Zuletzt hatte der Comic in analoger Form laut Distributor Diamond Comics jeden Monat konstant zwischen 40.000 und 100.000 Leser*innen. Digitale Abonnent*innen nicht eingerechnet. Ökonomische Gründe für das Ende gab es nicht. Das Finale in Heft 193 war allerdings lange geplant, sagt Charlie Adlard. Am schwersten seien ihm die letzten Monate vor dem Finale gewesen, sagt Adlard. Wegen der Vorlaufzeit der Produktion mussten die letzten Seiten bereits im April 2019 fertig sein.

Happy End

„The Walking Dead“ hat es immer geschafft die Leser*innen zu überraschen. Jede Hauptfigur konnte jederzeit sterben. Für die letzte Ausgabe hatte Robert Kirkman anfangs ein düsteres, deprimierendes Ende geplant. Das hat sich geändert, erzählt Charlie Adlard. Es habe sich einfach falsch angefühlt, nach all den Jahren, in denen die Hauptfiguren durch diese schlimmen Ereignisse gehen mussten.

„There are enough bad things going on in the real world”, sagt er. Am Ende hat es also doch irgendwie ein Happy End geben müssen. Der Shitstorm der Fans wegen der Scharade und dem plötzlichen Ende blieb aus. Das hat auch Adlard überrascht. Im Gegenteil, die Resonanz der Fans war großteils sehr positiv.

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