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Franco Foda beim Training mit dem ÖFB-Team

APA/ROBERT JAEGER

Blumenaus Fußball-Journal

Der Beste ist nicht der Richtige

Franco Foda mag vom Punkte-Schnitt her der beste ÖFB-Teamchef sein - der richtige ist er nicht. Ein Beleg in sieben Schritten.

Von Martin Blumenau

Josef Hickersbergers aus Argumentations-Not heraus improvisiertes Zitat, dass er lieber mit den „richtigen als mit den besten“ Spielern antrete, hat es jüngst ja sogar in politwissenschaftliche Analysen geschafft. Und es passt auch in den aktuellen Diskurs um Franco Foda, dessen Team sich am Samstag in Wien mit einem freudlosen Spiel und einer Ehrenrunde nach Vorschrift für die nächste EM qualifiziert hat: Die Zahlen (bester Punkteschnitt der ÖFB-Geschichte) stehen einer der Bedeutung des Ereignisses völlig fehlenden Euphorie und einer ungenügend-widersprüchlichen Leistung entgegen. Weil Foda der Beste sein mag, aber eben nicht der Richtige ist.

Was es im Folgenden zu belegen gilt.

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Österreichs Nationalmannschaft ist, anders als zu fast jedem Zeitpunkt seit den 80ern, in den allermeisten Positionen mit international konkurrenzfähigen Spielern besetzt, die den Ansprüchen des modernen Fußballs genügen: Sie sind sowohl zur Spielgestaltung als auch zum schnellen Umschaltspiel (früher: Konterspiel) fähig, das heutzutage nur mithilfe eines scharfen Pressings umgesetzt werden kann.

Foda verweigert seiner Mannschaft diese Spielanlage/n jedoch ganz bewusst und verpasst ihr Matchpläne in einer Mischung aus alter (schlechter) ÖFB-Tradition und dem ganz persönlichen Angsthasen-Fußball, den er in seinen Sturm-Zeiten perfektioniert hat. Und der geht so: Die Defensiven (im aktuellen System die vier Abwehrspieler und die zwei zentral defensiven Mittelfeldspieler) sichern ab, die vier Offensiven haben Freiheiten nach vorne. Die Matchpläne sehen in ihrer Essenz so aus: hinten nix zulassen, dann die Bälle schnell nach vorne und die vier Offensiven müssen es mit ihrer individuellen Klasse lösen.

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Das klappt selbst mit dem ersten Anzug mehr recht als schlecht; die zweite Garnitur war (in Riga für alle Augen deutlich sichtbar) mit dieser vorsintflutlichen Strategie aber bereits über- bzw. eigentlich unterfordert.

Denn Foda greift auf die beiden alten, zentralen Strategien der ÖFB-Tradition seit den 80er Jahren zurück: zum einen die Angsthasen-Spielweise der vorsichtigen Trainer (Prohaska, Hickersberger, Constantini), zum anderen die „Gehts-ausse-und-spüts-eucha-Spü!“-Tradition der (planlosen) Motivations-Trainer (Krankl). Also: so wenig wie möglich riskieren, reaktiv bleiben und auf den lucky punch hoffen. Bestes Beispiel dafür: die beiden komplett mutbefreiten und deshalb auch erfolglosen WM-Teilnahmen ’90 und ’98.

Zu ihrer Ehrenrettung muss man den damaligen Coaches konzedieren, dass sie es mit teilweise wirklich limitierten Spielern zu tun hatten und aus einer Liga schöpften, die taktisch immer mindestens ein Jahrzehnt hinterherhinkte.

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Anno 2019 sieht das ganz anders aus: Die Liga hat (dank der Red-Bull-Schule, das muss man neidlos anerkennen) enorm aufgeholt, zumindest drei Vereine stellen dank eines Philosophie-Shifts Mannschaften mit internationalem Niveau. Dazu kommen mehr als zwei Dutzend Akteure, die in erstklassigen ausländischen Ligen stammspielen und eine entsprechende Ausbildung abrufen können.

Mit diesen deutlich besser ausgebildeten Spielern ist die alte, von Foda nur durch seine eigenen Ängste zusätzlich angereicherte Passiv-Spielweise nicht mehr ohne innere Verspannungen umsetzbar: Die Spieler sind für diese armselige Spielidee zu intelligent. Das ist Coaches der Vorgänger-Generation nur ganz schwer begreiflich zu machen; vor allem jenen, die nie ernsthaft außerhalb von Österreich und auch nicht in Salzburg arbeiten durften und deshalb noch in einer alten Welt leben.

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Natürlich ist nicht Foda schuld daran, dass er nicht aus seiner eigenen Haut kann. Sondern diejenigen, die ihn bestellt haben, diejenigen, denen Partikular-Interessen wichtiger sind als eine durchgängige, an die Qualitäten der Spieler angepasste, ganz grundsätzliche Philosophie - wie sie die Salzburger, Linzer oder Wolfsberger eben auch haben, von den großen deutschen Klubs, bei denen viele Leistungsträger spielen, gar nicht erst zu reden.

Ohne diese Spiel-Philosophie (die ein Sportdirektor, und zwar einer, der weiter denkt als bis zur nächsten Zigarettenpause, entwickeln müsste) wird einfach irgendein Coach bestellt, der dann halt vor sich hin werkelt, unbedacht, unreflektiert, unhinterfragt.

Selbst der auf den einzigen jemals in dieser Art denkenden Sportchef Ruttensteiner zurückzuführende Teamchef Koller war im ÖFB entwicklungstechnisch gesehen ein Zufall, ein Ausschlag in eine andere Richtung. Dem sofort der Backlash Foda folgte.

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Fodas Ankündigung einer Weiterentwicklung der Kollerschen Arbeit war wahrscheinlich sogar ehrlich und gut gemeint - tatsächlich hat er die Systemfähigkeiten seiner Truppe um ein paar Modelle erweitert - der Rückfall erfolgte aber im zentralen Bereich der Gesamteinstellung, der grundsätzlichen Philosophie. Und innerhalb eines düsteren, tribalistischen Weltbilds, in dem das Individuum nicht an die gemeinsam entwickelten Möglichkeiten des Kollektivs, sondern an die Kraft der Vereinzelung und an die Übermacht der Reaktivität glauben muss, ist keine Fröhlichkeit möglich, kommt es weder zu Euphorie noch zu Entwicklung.

Da kommen dann auch Medien und Öffentlichkeit ins Spiel, denen das Ergebnis alles und die Entwicklung nichts gilt. Dass erfolgreiche Verbände zuerst in Entwicklung und Philosophie investieren (Deutschland mit dem Klinsmann/Löw-Modell, aber auch die Schweiz mit einer seit Jahren systematisch aufgebauten und erweiterten Spielidee) ist in Österreich nicht relevant, weil es keine entsprechende Tradition, aber auch keine Medien gibt, die hier Einforderungs-Arbeit betreiben. Alles jauchzt populistisch hinter aktuellen Ergebnissen her: Infrage gestellt wird auch nur personell, nie strukturell.

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Ich hab dieser Tage beim Umzugsausmisten einen Zufallsfund von vor 10 Jahren gemacht, eine über den grindigen Boulevard gespielte Anpatzung des ehemaligen ÖFB-Torwarttrainers Lindenberger, die dem damaligen Teamchef Brückner (ein glückloses, wenig durchdachtes Intermezzo nach der von Hickersberger mut- und seelenlos vergeigtem Heim-Euro 2008) galt. Lindenberger wollte eine Abkehr von Brückners 4-2-3-1 (da war der alte Tscheche seiner Zeit voraus), weil das in der Liga keiner spiele, und zurück zum 4-4-2 der alten Simpel-Schule. Ein Argument, das den Test der Zeit nicht bestanden hat: mit einer damals schon auf Legionäre gestützten Truppe die Spielideen der damals schlechten Liga zu doppeln - völlig untauglich.

Wie beim Spruch von Hickersberger steckt aber auch in Lindenbergers Dreckwurf unabsichtlich nachträgliche Wahrheit: Heute, in einer vergleichsweisen Blüte-Phase der Liga, ist diese Forderung sinnvoll. Natürlich darf sie nicht an einem einzelnen System festgemacht werden, aber das wüsste, 10 Jahre danach, auch der diesbezüglich lernfähige Franco Foda. In einem österreichischen Fußball-Umfeld, das durch blitzschnell denkende und handelnde Spieler von Bayern, Leipzig, Salzburg, Linz, Mailand, Leverkusen, Hoffenheim, Frankfurt oder Gladbach definiert wird, ist eine Rückkehr zum fatalistischen Reaktivismus, wie ihn Foda spätestens seit der Nations-League-Teilnahme eingeläutet hat, nicht nur ein Griff ins Klo (Stichwort: Stimmung), sondern auch selbstmörderisch (Stichwort: Entwicklung). Wenn die Kicker nicht mehr aufführen dürfen, was sie können, werden sie zunehmend in eine innere Immigration getrieben.

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Franco Foda mag der beste Trainer im schlechten österreichischen Sinn sein: einer, der sich und sein Team kleinmacht und duckt und nicht das geringste Vertrauen in seine Fähigkeiten hat. Das reicht für den Medien-Boulevard, der sein Publikum ja ähnlich behandelt. Das reicht auch innerhalb des ÖFB und dessen wenig avancierte Innensicht/Ambition.

Für Europa allerdings und die erweiterte Spitzenklasse, der man angehören könnte, wenn man wollte, reicht das nicht.

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