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Miles Davis

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Wer war Miles Davis?

Die Kino-Dokumentation „Birth Of The Cool“ versucht, die vielen Facetten des Lebens und Schaffens eines der innovativsten Jazz-Musiker in knapp unter zwei Stunden zu packen - mit Teil-Erfolg!

Von Stefan „Trishes“ Trischler

Seien wir uns ehrlich: Wir wissen alle viel zu wenig über Miles Davis. Der Jazz-Trompeter und -Visionär hat einige sehr interessante Strömungen der Musikrichtung quasi im Alleingang begründet oder zumindest populär gemacht. In seinen Bands spielten Giganten wie John Coltrane, Herbie Hancock oder Wayne Shorter, bevor sie ihre jeweiligen Solo-Karrieren starteten. Zudem ruhte sich Davis nie auf seinen bisherigen Errungenschaften aus, sondern wollte sich und seine Musik rastlos immer neu erfinden.

Eine Möglichkeit, mehr über den Trompeter und sein an aufregenden Episoden nicht gerade armes Leben zu erfahren ist die 1990 erschienene Autobiographie. Wer gerade nicht die Zeit und Muße für 448 Taschenbuch-Seiten hat, kann sich jetzt aber ein praktisches audiovisuelles TL;DR anschauen: Die Dokumentation Birth Of The Cool von Stanley Nelson.

Die im Plauderton geschriebene Autobiographie sorgt auch hier für den roten Faden: Von einem Schauspieler in der unverkennbar kratzigen Stimme (Nachwirkung einer schlecht verheilten Kehlkopf-Operation) wieder zum Leben erweckt, wirkt es so, als würde uns Miles Davis höchstpersönlich durch die verschiedenen Stationen seines Lebens führen. Von der Kindheit in einer begüterten, aber trotzdem zerrütteten Familie in East St. Louis zu den Jazzclubs von New York und schließlich in die weite Welt.

Davis’ Lebensgeschichte wird dabei sehr linear erzählt, ergänzt durch Beobachtungen und Einordnungen von Kollegen, Geliebten und Musikhistoriker_innen. In Schlüsseljahren gibt es auch schnelle Zusammenschnitte davon, was im Rest der Welt gerade so los war. Exzellentes Archivmaterial von Studio-Sessions, Fernsehauftritten und Konzerten hilft zusätzlich, in die jeweilige Stimmung einzutauchen. Dabei wird dem Kreativprozess hinter unbestreitbaren Meisterwerken wie Kind Of Blue aber etwas wenig Platz eingeräumt.

Studiosession mit Miles Davis & Gil Evans

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Denn auch abseits der Musik gibt es sehr viel über Miles Davis zu erzählen. Er liebte schöne Frauen, schicke Anzüge und schnelle Autos - lebte also recht öffentlich die Art von Leben, die wir heute von Pop-Stars kennen. Vor dem allgegenwärtigen Rassismus der US-Gesellschaft schützte ihn das nicht, machte ihn als erfolgreichen Afroamerikaner im Gegenteil vielleicht sogar speziell zum Ziel. Wie 1959, als er vor einem Club stehend von einem Polizisten unprovoziert mit dem Stock den Kopf blutig geschlagen bekam. Ein Vorfall, der ihn nach eigenen Angaben bitter und zynisch werden ließ und wieder zu verschiedenen Betäubungsmitteln trieb - leider auch eine Konstante in Davis’ Leben.

Einem Cocktail aus Scotch, Kokain und Schmerzmitteln schreibt in der Dokumentation dann auch seine erste Ehefrau Frances die rasende Eifersucht zu, die Miles Davis dazu brachte, sie zu prügeln. Obwohl nachträgliche Beschwichtigungen dieser Art immer seltsam wirken, ist die sehr talentierte Tänzerin, die ihre eigene Karriere zugunsten der ihres Musiker-Ehemannes zurückstellte, mit die eindrucksvollste Persönlichkeit im Film.

Viele nur kurz angerissene Facetten lassen am Ende aber die Gewissheit heranreifen, dass es wohl eine mehrteilige Doku-Serie gebraucht hätte, um das Leben und Werk von Miles Davis gebührend aufzurolllen. Knapp unter zwei Stunden sind einfach zu wenig Zeit für die vielen verschiedenen Schaffensperioden und Lebensphasen dieser sehr komplexen (und mitunter auch sehr unsympathischen) Persönlichkeit. Der kreative Geist von Miles Davis hätte wiederum auch mit der gar formelhaften Machart der Musik-Doku vermutlich seine Probleme gehabt. Nach dieser soliden Einführungsvorlesung wünscht man sich jedenfalls noch mehr Informationen und mehr Tiefgang zum Thema - vielleicht ist das Buch am Ende doch die beste Quelle?

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