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Essverbot Ubahn

APA/ROLAND SCHLAGER

Blumenaus 20er-Journal

Die Schauspielerin und das Ess-Verbot

Wie man das Ess-Verbot in der Wiener U-Bahn instrumentalisieren kann, am Beispiel von Nina Proll.

Von Martin Blumenau

Ich bin mit dem Ess-Verbot in der U-Bahn auch nicht ganz zufrieden. Besser wäre eine konkrete Begrenzung auf stark riechende Speisen gewesen, und überhaupt das Wording mit dem Wort „Verbot“, sowas kann man in Wien nicht leiden, besser wäre was mit Verzicht gewesen, das mag auch keiner, klingt aber cool nach Nachhaltigkeit.

Nun ist diese Regel genau ein Jahr alt und wird evaluiert, vonseiten der Verkehrsbetriebe, aber auch in der Öffentlichkeit. Und siehe da: Es ist kein großes Thema. Keine Strafen, nur mahnende Hinweise, zwei (2) pro Tag, weitgehende Einigkeit über die Sinnhaftigkeit, seine Mahlzeit nicht in der U-Bahn zu verzehren - würde auch jede Ernährungslehre-Anfängerin argumentieren können.

Das entsprechende Icon zeigt ein asiatisches Nudelgericht, samt Stäbchen, einen Burger und eine Pizza, von denen Wellen hochsteigen, die man entweder als „heiß“ oder als „stark riechend“ deuten kann. Und es steht gleichwertig neben dem Rauch- und dem Alkoholverbots-Icon. Heute, bei meiner U6-Testfahrt, hat eine Frau Nüsse geknabbert und ich habe, ohne nachzudenken, ichschwöre, ein Stück Schoko geknuspert. Gerade die U6 war als stinkende Döner-Fritten-Bude auf Gleisen berüchtigt und es war der public uproar über den Mief, der das Verbot ins Rollen brachte, mit der U6 als Test-Ballon. Der Mief ist deutlich zurückgegangen, nicht nur gefühlt, sondern auch, sagen die Verkehrsbetriebe, gemessen. Es funktioniert also.

Wäre also alles kein Thema für Aufregung. Außer man hat eine Agenda wie die Schauspielerin Nina Proll, die sich - in Gemeinschaft mit ihrem Mann, den Moretti-Bruder Gregor Bloeb - seit einiger Zeit (interessanterweise erst seit dem Erstarken einer nationalen Rechten) in der Bekämpfung von „politischer Korrektheit“ hervortut.

Proll besetzt damit eine vorher existente Lücke: Österreichische Schauspieler*innen sind entweder politisch desinteressiert oder liberal bis links; was in der Natur der Sache liegt - als Menschen-Darstellerin muss man innendrin tendenziell anarchisch aufgestellt sein; es sei denn, man spielt immer nur ein und dieselbe Figur. Proll hat sich neben ihrer Dauer-Rolle als blond-verruchte Nina Proll zusätzlich den Marketing-USP als Wird-man-wohl-noch-sagen-dürfen-Widerstandsbürgerin rausgesucht und bedient dieses Klischee auch in Solo-Lieder-Programmen.

Proll hat etwa - ebenso wie die neue Frauenministerin - noch nie Sexismus am Arbeitsplatz erlebt, was sich - bei Nachfrage - als bewusst-beschützende Abschottungs-Sichtweise erweist; weil man sich nicht mit Dingen beschäftigen muss, die man negiert - und so sicher Energie spart, etwa in der hiesigen #metoo-Debatte, deren prominenteste Gegenstimme sie war. Und eben das (sie war irgendwie die einzige in der Schauspiel-Branche, die mit dem Ist-Zustand eh zufrieden war) sicherte ihr jede Menge Medienpräsenz. Weshalb seitdem immer mehr Versuche kommen entsprechend nachzulegen. Und weil sich immer Medien finden, die „pfiffige“ Positionen, und seien sie noch so minoritär, gern verbreitern, funktioniert dieser Marketing-Schmäh.

Nun hat sich Proll (um ein neues Programm zu promoten) über das Ess-Verbot erregt, von dem sie „gelesen“ hatte. Offensichtlich ohne die - eh recht schmalen - Infos dazu gelesen zu haben oder zu kennen. Denn sonst hätte sie wohl nicht, fälschlicherweise behauptet, dass auch Kinder betroffen wären. Oder dass sie fix an eine Mehrheit der Menschen glaube, die da dagegen sein müssten - denn auch das ist falsch: Es gab im Vorfeld eine Abstimmung, die klar ausfiel und auch die Evaluierungs-Untersuchungen zeigen, was Sache ist, nämlich das Gegenteil der alternativen, gefühlten Proll-Fakten. Dass sie derlei Unfug in einem Interview absondern kann, ohne dass darauf (korrigierend) reagiert wird, ist leider klassisch-österreichische Journalismus-Praxis.

Der lustigste Fehler ist Proll aber mit ihrer Annahme passiert, dass „die neue Regierung“ alles hoffentlich ändern wird. Dass der Bund im Land bzw. der Gemeinde, bzw. den Wiener Verkehrsbetrieben nichts zu sagen hat, ist sicher eine Folge schlechter politischer Schulbildung (Stichwort: Föderalismus), aber angesichts der Nähe von Proll zu den Kurz-Regierungen auch nicht verwunderlich. Ich hab’ den Proll-Bloeb-Clan einmal bei einem Kanzlerfest erlebt, angesichts der Beachtung durch Ihn, die Heilsgestalt, glänzten die Augen da so stark, dass der Glaube an Seine Allmacht nachvollziehbar wird. Diese Proll’sche Fehlleistung schließt immerhin auch die Unterstellung aus, dass sie sich in den Wien-Wahlkampf der ÖVP einspannen hat lassen. Sie zeigt nur, dass öffentliches Sprechen ohne die entsprechende Expertise vor allem dann problematisch ist, wenn man Meinungen oder Annahmen mit Wissen oder Fakten gleichsetzt.

Dabei hätte ein Blick in die eigene Branche Proll die Sinnhaftigkeit einer Ess-Zurückhaltung aufgezeigt: In ihrer Logik (dass sich nichts verändern darf, dass eingeschränkte Freiheiten immer schlecht sind) würde man nämlich auch noch heute in Theatern das tun, was man in früheren, wilden Zeiten tun durfte: fressen, saufen, dazwischenrufen und mit Sachen werfen. Da wie dort stellt das Ess-Verbot nämlich keine puritanische Gemeinheit, sondern eine Weiterentwicklung zivilisatorischer Grundsätze dar - eine fortgeschrittene Rücksichtnahme des Einzelnen auf das Kollektiv. Ich weiß, für manche ist das schon Kommunismus, für mich sind das die Grundregeln eines Zusammenlebens, das über den Grundsatz des Menschen, der dem Menschen ein Wolf sei, hinausgeht.

Was ich Nina Proll zugutehalten muss: Sie hätte mir wahrscheinlich gegen den wahnsinnigen Herrn-Karl-für-Arme geholfen, der mich unlängst in der U-Bahn angeschrien und bis zur Rolltreppe verfolgt hatte, weil ich einen Kaffee getrunken habe. Aber vielleicht eh auch nur, wenn ein Kamerateam dabei gewesen wäre.

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