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Cherrelle und Leni Charles von dem Label Kids of the Diaspora

Marko Mestrovic

FM4 Auf Laut: Kulturelle Aneignung - Eine heikle Debatte

Cornrows auf weißen Köpfen, Bindi und Henna-Tattoo als Kostüm. Ist das ok? Wo sind die Grenzen zwischen kultureller Aneignung und Rassismus? Wo kann sie umgekehrt vielleicht zu Inklusion und gegenseitigem Verständnis beitragen? Diese Fragen besprechen wir heute Abend in FM4 Auf Laut.

Von Barbara Köppel

Was ist kulturelle Aneignung?

Kulturelle Aneignung ist es, wenn Menschen aus der privilegierten Mehrheitsgesellschaft Symbole, Verhaltensweisen, Mode, Duktus, etc. von benachteiligten Minderheiten übernehmen, ohne diese entsprechend zu würdigen. Dadurch kann es zu Umdeutung, Sinnentleerung und oft auch zu Kommerzialisierung dieser kulturellen Elemente kommen.

„Das wird dann zum Problem, wenn Macht ins Spiel kommt, und die eine Kultur die andere auf diesem Weg ausbeutet,“ sagt Leni von Kids of the Diaspora. Ihre Schwester Cherrelle ergänzt: „Kulturelle Aneignung ist es, wenn man die Credits weglässt.“

Leni und Cherrelle

Leni und Cherrelle betreiben gemeinsam Kids of the Diaspora. Ein Projekt, das einerseits Modelabel ist und andererseits eine Plattform für Menschen, die sich in der Gesellschaft nicht repräsentiert fühlen. Über Mode, Events, Musikvideos, Ausstellungen etc. soll ein Gefühl der Zusammengehörigkeit vermittelt werden, das sich über Grenzen der Herkunft, Religion, Gender und sexueller Orientierung hinwegsetzt. Lifestyle als Ausdruck der eigenen Identität.

Die Schwestern sind in Niederösterreich aufgewachsen und haben Wurzeln in Nigeria, Tschechien und Österreich.

Leni kommt ursprünglich aus der Werbebranche, Cherrelle ist Casting-Director für Filmproduktionen.

Aufgrund ihrer Awareness-Arbeit werden die beiden immer wieder in Fragen kultureller Angemessenheit konsultiert und sind heute unsere Gäste in FM4 Auf Laut.

Die plakativste Form davon zeigt sich jedes Jahr zu Halloween und im Fasching: Blackface und Baströckchen, das „Indianer-“ oder „Geishakostüm“ mögen „lustig“ gemeint sein, allerdings reproduzieren und festigen solche Verkleidungen negative Stereotype und sind schlicht rassistisch.

Black Hair als Politikum

Problematisch wird es aber schon weitaus früher, und zwar wenn kulturelle Aneignung quasi unbeabsichtigt, aus Ignoranz oder fehlender Sensibilität passiert. So finden manche zum Beispiel Braids, Dreads oder Cornrows auf weißen Köpfen unangebracht. Wer Dreadlocks aus rein modischen Gründen trage, missachte dabei, dass sie bei den Rastafaris einen spirituellen Hintergrund haben.

Überhaupt ist „black hair“ zum Politikum geworden, in das die Geschichte der Diskriminierung buchstäblich eingeflochten ist. Etliche People of Colour werden nach wie vor aufgrund ihres natürlichen Haars aus Schule und Arbeitsplatz ausgegrenzt, weil etwa Afro oder Flechtfrisuren als „unprofessionell“ oder „ghetto“ gelten. In einigen Bundesstaaten der USA wurden deswegen sogar „hair discrimination laws“ erlassen.

„Über Haare könnten wir stundenlang reden“, sind sich Leni und Cherrelle einig. „Die Frage ist ja nicht, wer diese Hairstyles tragen darf oder nicht. Der eine von Bilderbuch hatte zum Beispiel Cornrows und das fanden wir super! Die Frage ist, wer sie salonfähig und populär macht. Müssen sie erst auf weißen Köpfen gesehen werden, damit sie als normal gelten und akzeptiert werden?“

Kulturelle Aneigung in der Popkultur

Eine ähnliche Frage stellt sich, wenn Miley Cyrus auf der Bühne twerkt. Bei ihr wurde dieser Tanzstil eher als Akt sexueller Selbstbestimmung gewertet, während er bei Rihanna noch als problematisch diskutiert wurde.

In einem Ted Talk zum Thema 2014 illustriert Aaliyah Jihad, wie sich Miley Cyrus’ Imagewandel vom süßen „American Highschool Girl“ zum Superstar mit „street cred“ an etlichen Elementen der „black culture“ bedient hat: Baggy Pants, dicke Goldketten und Baseball-Kappe, Slang-Ausdrücke, bis hin zur Aussage, dass schwarz sein doch gar nichts mit Hautfarbe zu tun habe, sondern mit „vibe“, „hanging out“ und „smoking a number“. Mittlerweile hat Miley ohnehin längst einen anderen Look. Punk, Glam, Streetstyle oder Cowgirl – Miley kann alles sein, und sie kann ihre performative „Blackness“ ablegen wie ein ausrangiertes Bühnen-Outfit.

Vorwürfe wegen kultureller Aneignung gibt es aktuell auch gegen Billie Eilish. Im kürzlich erschienenen Vogue-Interview hat sie vom Posen und Lügen in der Rap-Musik gesprochen, während sie eigene Lyrics, die nicht der Realität entsprechen, als „Storytelling“ bezeichnet. Für viele Anlass Billie Eilish für ihre Oversize-Clothes, ihre langen Nägel und den aufgesetzten „blaccent“ zu kritisieren. Assets einer Kultur für ästhetische Zwecke zu entlehnen und sich gleichzeitig davon zu distanzieren, stößt natürlich nicht auf Gegenliebe.

Allerdings sind auch People of Colour nicht vor derartigen Faux-Pas gefeit. Beyoncé ist 2016 in Coldplays Hymn-for-the-Weekend-Video aufgetreten.. Sie trug traditionelle, indische Kleidung mit Gesichtsschmuck und Henna-Tattoos, während Chris Martin sich mit buntem Farbpulver beim Holi-Fest besprühen ließ. In den Social Media, wo Fragen der kulturellen Aneignung gewohnt emotional verhandelt werden, war man sich uneinig: Was für die einen eine Maskerade im Bollywood-Style ist, ist für die anderen eine Feier der indischen Kultur.

Kultur ist nichts Homogenes

Denn natürlich gibt es auch Kritik am Konzept der kulturellen Aneignung. Die beginnt beim Kulturbegriff selbst. Kultur ist nichts Homogenes. Lederhosen, Schnitzel und Skifahren sind vielleicht Facetten der österreichischen Kultur, viele würden sich aber wehren, darauf reduziert bzw. überhaupt damit in Verbindung gebracht zu werden.

FM4 Auf Laut zum Thema

Am Dienstag, 18. Februar 2020, von 21 bis 22 Uhr live auf Radio FM4 und anschließend für 7 Tage im FM4 Player

Ruft an und diskutiert mit: 0800 226 996

Fragt man die Schwestern Leni und Cherelle nach ihrer Definition von „Blackness“, gibt es auch keine eindeutige Antwort: „Es gibt gravierende Unterschiede zwischen den Erfahrungen, die Menschen mit hellerer und dünklerer Haut innerhalb und außerhalb der Black Community machen,“ so Leni. „Manche mögen es nicht, als schwarz bezeichnet zu werden, andere sind beleidigt, wenn man es nicht tut. Heikles Thema.“ „Und als Mischling bist du entweder weißer oder schwärzer als du denkst“, ergänzt Cherrelle. „In America sind wir just black. Für unsere Mutter Mischlinge, für unseren Vater schwarze Europäerinnen.“

Models present creations by Comme Des Garçons, during the men's Fall/Winter 2020/2021 collection fashion show in Paris on January 17, 2020

Anne-Christine POUJOULAT / AFP

Bei der Pariser Fashion Week 2020 schickte das japanische Label Comme des Garcons Models mit Cornrow-Perrücken auf den Laufsteg. Sie entschuldigten sich nachher.

Kultur ist jedenfalls etwas, das sich stets verändert, das permanent Einflüsse „von außen“ integriert und damit Neues erschafft. „Man muss sich bei der Einbettung einfach die Frage stellen: Is it coming from a good place in my heart? Am I appreciating it?“, fasst Leni das Dilemma zusammen.

Appreciation bzw. Anerkennung scheint hier das Schlüsselwort zu sein. Denn nur wenn kultureller Austausch auf Augenhöhe und mit Respekt passiert, besteht die Chance, dass Akte der Aneignung vielleicht sogar für Inklusion und für ein besseres Verständnis zwischen den Menschen sorgen können.

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