FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Filmstills aus "Ex Machina"

Universal

Die Heimkino-Tagebücher: Ausnahmetalent Alex Garland und seine Welt

Mit seiner Sci-Fi-Serie „Devs“ hat er gerade in den USA für Aufsehen gesorgt. Der Regisseur und Autor Alex Garland zählt aber schon länger zu den visionärsten Filmemachern unserer Zeit.

Von Christian Fuchs

Mitten im Lockdown trifft ein Packerl ein, drinnen verbirgt sich bloß ein simpler USB-Stick. Kein mysteriöser Geheimdienst steckt hinter dieser Aktion, sondern ein Filmbuddy von mir, der mir ein kleines Geschenk machen will. Auf dem Stick befinden sich einige brandheiße Bewegtbild-Neuigkeiten, die man hierzulande - ich flüstere es hier ganz leise - noch nicht auf den üblichen Streamingkanälen erwerben kann.

Womit wir bei einer aktuellen Miniserie namens „Devs“ sind, die bislang nur auf der US-Entertainment-Plattform Hulu erschienen ist. Wer in Großbritannien lebt, dem bietet jetzt auch BBC2 die Chance, die acht Episoden zu sehen. Dabei sollte die ganze Welt Zugang zu „Devs“ haben. Alex Garland, Autor und Regisseur aller Folgen, hat sich mit diesem süchtigmachenden Mix aus Quantenphysik und Thriller-Elementen, Science Fiction und Kapitalismuskritik nämlich selbst übertroffen.

Filmstills aus "Devs"

Hulu

Im Mittelpunkt steht ein Unternehmen aus dem Silicon Valley, dessen schwerreicher Chef wie ein bodenständiger Althippie aussieht. Doch die Gemütlichkeit täuscht. In Wirklichkeit geht Forest (Komiker Nick Offermann übertrifft sich auf todernste Weise selbst) über Leichen, um das bahnbrechende Computersystem geheim zu halten, an dem ein winziges Team für ihn arbeitet. Als der Freund der jungen Firmenangestellten Lily eines Tages aus dem mysteriösen Devs-Komplex nicht mehr heimkehrt, beginnt sie gefährliche Ermittlungen auf eigene Faust.

Innovative Zugänge zu klassischen Genres

„Devs“ ist die Antithese zu aufgeblasener Sci-Fi-Action, aber auch bombastischer Serienkonkurrenz wie „Westworld“. Alex Garland, der alle Episoden schrieb und inszenierte, verhandelt größtmögliche Dinge (vom Urknall über den Gottesbegriff bis zur Existenz eines freien Willens) mit den Mitteln des intimen Indie-Kinos.

Dank Schauspieler*innen wie der unfassbar guten Sonoya Mizuno oder dem besagten Nick Offermann, futuristischen Bildern und einer beklemmenden Grundspannung, bleibt man stellenweise atemlos vor dem Bildschirm zurück. „So brilliant in so many ways“ schrieb New-Hollywood-Legende Paul Schrader vor kurzem auf Facebook über „Devs“. „Essential viewing. Best TV/film of the year“.

Filmstills aus "Devs"

Hulu

Ungewöhnliche, innovative Zugänge zu klassischen Genres zu finden, dafür steht der Brite Alex Garland aber schon lange. 2003 erneuert er etwa als Drehbuchautor das Zombie-Kino, zusammen mit Regisseur Danny Boyle. Cillian Murphy wacht in „28 Days Later“ als Londoner Fahrrad-Bote im Spital aus dem Koma auf - und erkennt die Welt nicht mehr. Nicht nur das Krankenhaus präsentiert sich menschenleer, auch die Straßen der britischen Metropole wirken gespenstisch entvölkert.

Ein Virus hat die Bewohner Londons befallen, der extremste Aggressionen freisetzt. „28 Days Later“ ist mit wackeliger Handkamera gefilmt und wirkt wie das realistische Gegenstück zum damals angesagten Resident-Evil-Kitsch. Garlands Skript konzentriert sich auf Momentaufnahmen der Apokalypse - und knüpft dabei an sozialkritische Zombie-Klassiker von George Romero an.

Filmstills aus "28 days later" und "Sunshine"

Centfox

Illusionsloser Vertreter der Generation X

Künstlerisch weniger gelungen ist die erste Zusammenarbeit von Garland und Boyle davor. Im Jahr 2000 präsentiert der „Trainspotting“-Regisseur seine gefällige Verfilmung des Bestsellers „The Beach“, mit einem fehlbesetzten Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle.

Das gleichnamige Buch, mit dem sich Alex Garland auf Anhieb einen Namen macht, wirft einen düster-zynischen Blick auf den Rucksack-Urlauber-Tourismus. Der Autor, ein typisch illusionsloser Vertreter der Generation X, verwandelt Traveller-Träume von paradiesischen Stränden in ein subtiles Horrorszenario, das an die kalifornische Manson-Family oder die österreichische Mühl-Kommune erinnert. Danny Boyle lässt den Roman aber von seinem Stammautor John Hodges umschreiben, um ein breites Mainstream-Publikum zu erreichen.

Dass Boyle und Garland mit „28 Days Later“ erneut zusammenfinden - und diesmal auf kompromisslose Weise - gehört zu den schönsten Wendungen des britischen Gegenwartskinos. Mit dem Weltraum-Epos „Sunshine“ knüpfen die beiden dann in Hollywood an eine Ära an, als es in Science Fiction-Filmen noch nicht wie beim Kinderfasching zuging. Meilensteine wie „2001: A Space Odysee“ oder „Solaris“ zeigten die Reise in die Tiefen des Alls auch als Trip in das Innere der menschlichen Psyche. Klaustrophie und Paranoia sind auch in „Sunshine“ allgegenwärtig.

Filmstills aus "28 days later" und "Sunshine"

Centfox

Deus Ex Machina

Die Sonne droht in dem Film in einer nahen Zukunft zu erlöschen, der Erde steht ein globaler Winter bevor und dann der totale Untergang. Um dieses Desaster zu verhindern, wagen sich acht Menschen auf eine gefährliche Weltraum-Mission. Danny Boyle erspart uns aber die üblichen Katastrophenbilder. „Sunshine“ lebt von der Atmosphäre an Bord des Raumschiffs, von Suspense und verstörenden Stimmungen. Als zentrales Thema von Alex Garland kristallisiert sich die existentielle Verlorenheit des Menschen angesichts von Technik und Unendlichkeit heraus.

Fantastisch sind auch seine Drehbücher für den Actionthriller „Dredd“ und die elegische Dystopie „Never Let Me Go“: Zwei äußerst konträre Ansätze zum Science-Fiction-Genre. Auch darin verankert und noch aufregender ist Garlands Regiedebüt. „Ex Machina“, der beste Film des Jahres 2014, verpackt wissenschaftliche Themen in einen fesselnden Psychothriller.

Ein arroganter Internet-Milliardär macht darin mit einem kleinen Angestellten ein Experiment. Er soll mit einem Supercomputer Gespräche führen, der das Gesicht und die Körperformen eines Supermodels hat. Domhnall Gleeson, Oscar Isaac und Alicia Vikander taumeln virtuos durch das Kammerspiel rund um künstliche Intelligenz und männliche Berechenbarkeit.

Filmstills aus "Ex Machina"

Universal

Psychologie und Psychedelik

Mit „Annihilation“ hat sich Alex Garland endgültig zum wichtigsten Zukunftsforscher des Kinos entwickelt. Dabei erlebt die Adaption einer Romantrilogie des Sci-Fi-Autors Jeff VanderMeer 2018 leider keinen Kinostart. Zu unkommerziell erscheint den Produzenten der Stoff, Netflix springt stattdessen ein.

Eine riesiger Landstrich an der amerikanischen Westküste wird in dem Film von der Natur vereinahmt und überwuchert. Die Regierung schickt militärische Teams in das Gebiet, die spurlos verschwinden. Was verbirgt sich hinter der flimmernden Mauer aus knallbuntem Licht, die die unerklärliche Area X abschirmt? Stecken schief gelaufene Experimente, feindliche Mächte oder gar Außerirdische dahinter?

Filmstill aus "Annihilation"

Netflix

Man kann über manche digitalen Spezialeffekte des bizarren Dschungel-Abenteuers streiten. Wie Regisseur Garland dem weiblichen Wissenschaftlerinnen-Team durch die dampfende, mutierende Natur folgt, wie er Natalie Portman, Jennifer Jason Leigh, Gina Rodriguez und Tessa Thompson mit irrlichternden Phänomenen konfrontiert, das ist hochgradig faszinierend. „Annihilation“ verbindet feministische Ansätze mit Horrorschocks, Psychologie mit Psychedelik.

Bis die Serie „Devs“ endlich bei einem deutschsprachigen Streaming-Dienstleister landet oder gar via BluRay veröffentlicht wird, zahlt es sich aus, tief ins Universum von Alex Garland einzutauchen. Kaum ein Filmkünstler seiner Popkultur-Generation erzählt so visionär vom Ende der Zivilisation, von gesellschaftlichen Extremzuständen und fatalen Gruppendynamiken. Die Filme und Serien von Mr. Garland passen fast schon zu perfekt in diese verwirrende und vervirte Zeit.

Aktuell: