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Mehr Noir geht nicht: „Sugar“ verbeugt sich faszinierend vor dem düsteren Genre

Was für eine großartige Serie: Colin Farrell brilliert als Privatermittler im modernen Los Angeles, der selber ein Fan alter Detektiv-Krimis ist.

Von Christian Fuchs

John Sugar ist Privatdetektiv in Los Angeles, der sich auf das Auffinden verschwundener Menschen spezialisiert hat. Bereits dieser Satz drückt bei Film- und Literatur-Fans einschlägige Knöpfe. Denn die kalifornische Metropole steht bekanntlich nicht nur für ewigen Sonnenschein und Hollywood-Erfolgsstorys. L.A. kann auch ein ungemein dunkler Ort sein, die Welthauptstadt des Noir, voller Drogenskandale, Verbrechen und Verschwörungen.

Diesen düsteren Ruf verdankt Los Angeles nicht bloß der realen Kriminalstatistik. Autoren wie Raymond Chandler oder Mickey Spillane erschufen im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts den sogenannten Hard-Boiled-Detective. Abgebrühte, nihilistische Privatermittler, die in den gefährlichen Untergrund von L.A. eintauchen, kettenrauchende Männer mit windschiefen Moralvorstellungen, die nicht vor Gewalt zurückschrecken. Es dauerte nicht lange, bis sich Filmproduzenten die Rechte an den grimmigen Romanen sicherten.

Das Kino machte die hartgekochten Detektive dann zu Stars. Die sogenannte schwarze Serie, zu der Meisterwerke von Regisseuren wie John Huston, Fritz Lang oder Billy Wilder zählen, faszinierte ein von Weltkrieg und wirtschaftlichen Katastrophen desillusioniertes Publikum. „Film Noir“ tauften später französische Kritiker:innen das Genre mit seinen mysteriösen Fällen, kaputten Macho-Cops und dominanten Femmes Fatales. Der Einfluss der melancholischen Schwarzweiß-Klassiker reicht bis in die Gegenwart. Neo-Noir-Elemente finden sich in Science-Fiction-Filmen, in Erotikthrillern, in der Werbung.

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Menschenfreund und Nichtraucher mit Trauma-Vergangenheit

John Sugar, Apple TVs neuer Serienheld, kennt die Geschichte des Film Noir wie die Westentasche seines Maßanzugs. Er arbeitet nämlich nicht nur als privater Schnüffler, in seiner Freizeit schaut er auch leidenschaftlich gerne alte Krimis. Mehr noch, Sugar hat Filmzeitschriften wie „Sight & Sound“ abonniert, sieht sich selber als Movie Maniac. Wenn er mit seinem Vintage-Sportwagen durch die todschicken Villenviertel von L.A. fährt, sehen wir im Gegenschnitt den legendären Humphrey Bogart cruisen; der moderne Detektiv imaginiert sich selber als Old-School-Noir-Figur.

So ein verkopfter Meta-Zugang kann ordentlich schiefgehen, locker auch in unfreiwilliger Komik enden, aber in „Sugar“ funktioniert alles. Das liegt zum einen an Colin Farrell. Meisterlich erweckt der irische Akteur („The Banshees of Inisherin“) den klischeebeladenen Detektiv-Charakter zu neuem Leben. In seinem Blick mischen sich Obsession und Getriebenheit mit existentieller Traurigkeit.

Im Gegensatz zu seinen verbitterten Kollegen glaubt John Sugar übrigens an das Gute im Menschen. Auch wenn er Bösewichte laufend krankenhausreif prügelt, dazwischen werden Obdachlose versorgt und verirrte Seelen getröstet. Bereits dieser humanistische Ansatz unterscheidet „Sugar“ von der nachtschwarzen Serien- und Filmkonkurrenz. Nichtraucher ist der strikte Anzugträger auch noch, in kurzen Flashback-Sequenzen lässt sich allerdings ein heftiges Trauma rund um seine Schwester erahnen.

Liebeserklärung an die Stadt der Engel und der Finsternis

Der Fall, der John Sugar nicht loslässt, könnte jedenfalls aus einem typischen Film Noir stammen. Olivia Siegel, die Enkelin eines ikonischen Produzenten, ist spurlos verschwunden; die dazugehörige Familie erinnert an einen Mafia-Clan, die Ermittlungen laufen ins Leere. Sugar taucht in einen Abgrund aus Drogen, Sex und Nepotismus hinab, im Kopf begleitet von seinen knallharten Idolen aus dem Kino.

Neben Colin Farrell und einer durchgehend tollen Besetzung (James Cromwell!) hat die Serie „Sugar“ aber noch viele andere Qualitäten. Virtuos gehen die Macher mit Timing und Dramaturgie um, es gibt sowohl hektisch geschnittene Folgen als auch hypnotische Langsamkeit, alles in kompakt kurzen Episodenlängen. Gedreht an zahlreichen Originalschauplätzen zwischen Luxus-Residenz und Downtown-Grind, gleißendem Sonnenlicht, das durch Palmenreihen blinzelt und nächtlichem Neongeflacker ist „Sugar“ eine einzige Liebeserklärung an die Stadt der Engel und der Finsternis.

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Noir, Neo-Noir, Meta-Noir, mehr Krimi-Referenzen als in dieser Serie gehen nicht, bis zu einer späten Wendung, die es in sich hat - und die Genre-Karten völlig neu mischt. Ob man John Sugar danach weiterhin auf seinen Spuren folgt, hängt von persönlichen Geschmäckern ab. Der Schreiber dieser Zeilen, selber Noir-süchtiger Nichtraucher und Melancholiker, kann nur eines: Eine unbedingte Empfehlung abgeben.

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