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Szenenfoto aus "Crooks"

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„Eintauchen in verbotene Welten“: Marvin Kren über seine neue Serie „Crooks“

Der Wiener Regisseur erzählt im FM4-Interview von seiner Faszination für Gauner und Ganoven. In seinem jüngsten Serienstreich für Netflix reisen Frederick Lau und Christoph Krutzler als ungleiches Ganoven-Duo durch Europa.

Von Christian Fuchs

Steht man Marvin Kren im Studio gegenüber und plaudert mit ihm, dann stellen sich bald sehr herzliche Vibes ein. Der Wiener Regisseur, der mit dem Zombie-Kammerspiel „Rammbock“ 2010 auf sich aufmerksam machte, ist wirklich ein ganz besonderer Sympathieträger. Höflich, klug, besessen von Kunst, Kultur und natürlich dem Kino. Letzteres auch gerne im Serienformat. Dabei haben Netflix-Produktionen wie „Freud“ (vom ORF coproduziert), „Vier Blocks“ oder jetzt „Crooks“ einen überaus cinematischen Look; der richtige Style ist dem eingefleischten Filmfan wichtig.

Zuletzt durfte ich mit Marvin Kren über seine supere Kunst-Satire „Der weiße Kobold“ reden, jetzt hat er FM4 wieder einen Besuch abgestattet. „Crooks“ ist ganz vage vom Krimiklassiker „Classe tous risque“ (Der Panther wird gehetzt, 1960) beeinflußt, die französischen Kino-Ikonen Lino Ventura und Jean-Paul Belmondo spielen darin zwei Gauner, die sich auf unfreiwillige Weise kennenlernen und zu lebensrettenden Freunden werden. Aber in Wirklichkeit ist „Crooks“ die Best-of-Marvin-Show, alle seine bisherigen Filme und Serien (minus Zombies) mixt er zu einem eskapistischen Cocktail, viel Kunstblut gehört ebenso zu den Zutaten wie ein spezieller Wiener Humor. Warum dieser freundliche Filmemacher so sehr auf mafiöse Clans, gefährliche Banden und kriminelle Energien steht, musste ich ihn natürlich auch fragen.

Lieber Marvin, deine neue aufwändige Serie führt durch ganz Europa. Es geht um zwei Gangster, die unfreiwillig aneinandergeschweißt sind, ein klassisches Buddy Movie, würde ich sagen, vor dem Hintergrund von Clan-Rivalitäten. Es geht auch um eine gestohlene Goldmünze. Vielleicht kannst du uns „Crooks“ ein bisschen näherbringen…

Marvin Kren: Es ist tatsächlich ein Gangster-Roadmovie mit sehr vielen Buddy-Movie-Elementen. „Crooks“ ist beinhart, was einen guten Gangsterfilm auch ausmacht, aber auch teilweise sehr witzig, es hat viel schwarzen Wiener Humor. Was ich ganz toll finde ist aber eben diese Reise durch Europa, es war mir ganz wichtig, filmisch auszubrechen aus meiner deutsch-österreichischen Filmwelt und die Reise anzutreten in den Süden. Wir sind nach Italien und weiter nach Marseille gereist, von da stammten auch die großen Inspirationen, die alten Gaunerfilme von Melville und Claude Sautet aus den 1960er und 1970er Jahren. Ich wollte diesen Geist, diesen Spirit der alten Ganovenfilme wieder ins Hier und Jetzt bringen.

Aber die Idee basiert doch auch auf einem realen Kriminalfall. Der spektakuläre Diebstahl einer Goldmünze in Berlin war eine Inspiration, oder?

Der Diebstahl der Goldenen Münze aus dem Bode-Museum war durchaus eine Inspiration, wobei man bedenken muss, dass diese Münze halt 100 Kilogramm schwer war. Und in der Gestaltung der Drehbücher haben wir schnell gemerkt, eine 100 Kilogramm schwere Goldmünze zu bewegen, in Schuhsohlen zu verstecken, das alles gestaltet sich etwas schwierig. Deswegen haben wir aus dieser Münze einen kleinen goldenen Rubel gemacht.

Szenenfoto aus "Crooks"

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Es wimmelt vor Gangstern aller Arten in dieser Serie. Jetzt könnte man sagen, der kultivierte und künstlerische Marvin Kren gibt sich so einer Art Ganoven-Romantik hin. Was hat dich wirklich fasziniert an diesem Plot?

Naja, es hat, glaube ich, schon mit dem Eintauchen in verbotene Welten zu tun. Also das ist etwas, was mich schon als Kind gereizt hat. Und da gibt es auch durchaus eine Verwandtschaft zum Horrorfilm. Auch dort dreht sich alles um das Eintauchen in verbotene Zonen, die man nicht kennt, die eigene Gesetzmäßigkeiten haben. Das ist verführerisch zum einen, beängstigend zum anderen. Und genauso versuche ich mich da auch zu nähern, mit sehr viel Respekt, Aufmerksamkeit, ich lass mich verführen, bleib trotzdem auf Distanz und schaue mir das halt ganz genau an.

Was den Leuten an „Crooks“ gefallen wird, ist, dass es halt kein Klamauk ist, sondern wir schon versucht haben, eine Art von Realität zu porträtieren. Es gab viel Recherche. Wie schauen die Clans in Neukölln aus? Kennen wir das schon aus „Vier Blocks“ oder wie? Wie könnten die Wiener funktionieren, dass man ihnen auch wirklich glaubt? Wie sind die Jungs aus Marseille drauf? Oder die Korsen? Diese Art von Recherche, was Sprache, Codes, Kleidung und Aussehen betrifft, die richtige Besetzung, das waren die speziellen Herausforderungen für mich, die total reizvoll und aufwändig waren.

Wie läuft so eine Recherche ab? Hast du da Verbindungsleute in die Unterwelt sozusagen?

Meine Magisterarbeit diesbezüglich habe ich ja mit der ersten Staffel „Vier Blocks“ schon absolviert. Das trage ich sozusagen als Wissen mit. Die Wiener Unterwelt haben wir eigentlich erfunden, da spielen wir auf alte Gaunerlegenden an, die es eigentlich gar nicht mehr gibt, die schon in den 90er Jahren ausgestorben sind. Die haben wir ins Hier und Jetzt gebracht. Und die Recherche? Man trifft sich eigentlich ganz unspektakulär in Cafés mit Leuten, die Erfahrungen haben, Leuten, die Leute kennen. Man unterhält sich und macht viele Notizen und schaut jemandem länger in die Augen. Das erzählt einem ganz viel.

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Wir tauchen in diese Welten mit einem Duo ein, dem Berliner Frederick Lau und dem Burgenländer Christoph Krutzler. Beide kennt man schon aus deinen Serien und Filmen, vor allem aus der TV-Satire „Der weiße Kobold“, da kamen beide schon vor.

Ja, der Christoph und der Frederick sind halt ganz enge Schauspielfreunde für mich. Die gehören ein bisschen zu meiner Filmfamilie, wenn man so will. Ich liebte die Idee, die beiden als Underdogs einzusetzen. Das sind sozusagen keine High-End-Verbrecher, sondern einer ist bloß der Chauffeur von einem Wiener Clan und der andere ist ein Berliner Dieb, der ausgestiegen ist. Also eher so das untere Segment vom Verbrecherleben.

Diese Familie, dieses aus deinen Projekten bekannte Best-of-Ensemble, da ist mir der Begriff MKU dafür eingefallen, also das Marvin Kren Universe. Gibt es da eine spezielle Chemie, die du mit diesen Menschen verbindest?

Wenn man jemanden gefunden hat, der so etwas mitträgt, was ich suche, dann ist das etwas Besonderes. Ich suche Schauspieler:innen, die auf gewisse Weise alte Seelen sind, die öfters gelebt haben, wenn man so will. Oder denen man anmerkt, dass sie viel eigenes Gepäck mitbringen. Im Guten wie im Schlechten, im Tragischen wie im Schönen wie im Lustigen. Die können sozusagen das ganze Leben transportieren in ihrem Ausdruck. Wenn man diese Eigenschaften paart mit einer gewissen Disziplin und Schauspieltechnik, dann hat man den heiligen Gral. Und warum dann jemanden weiterziehen lassen, wenn das gut funktioniert?

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Etwas ganz Zentrales bei diesem Riesenensemble ist die Sprache. Früher, in uralten Fernsehzeiten, hätten alle Deutsch gesprochen, wären synchronisiert worden. Bei dir ist aber der Akzent sehr wichtig, wienerischer geht’s stellenweise gar nicht mehr, aber auch bei den anderen Schauplätzen ist es wichtig. Ist es schwer so multisprachlich zu drehen?

Das macht es ja auch aus. Der Reichtum dieser Show ist, dass wir das voll umarmt haben, dass halt Leute aus den Balkanländern ihre Sprache sprechen, die Araber sprechen ihre Sprache, die Franzosen natürlich auch. Das ist auch eine extreme Herausforderung für den Zuseher, weil er möchte sich hinsetzen und einfach der Handlung folgen und nicht irritiert werden von dem Mix aus Sprachen und Dialekten. Es ist definitiv eine Herausforderung. Erinnern wir uns nur zurück an „Chernobyl“, die haben das einfach alles auf Englisch gedreht, obwohl es in Russland spielte - und es war trotzdem eine gute Serie. Also wir fordern im Gegenzug den Zuseher durchaus heraus. Übrigens, bitte achtet auf die Menüleiste, wenn ihr uns nicht versteht. Es gibt eine deutsche Synchronfassung, wo die Österreicher sich elegant selbst synchronisiert haben.

Immer dabei bei einer Produktion von dir ist deine Mutter Brigitte Kren, auch in „Crooks“, aber in einer ziemlich düsteren Rolle…

Ja, aber ich möchte nicht zu viel spoilern. Die Leute sollen mindestens bis zur vierten Folge schauen.

Und dann ist da ein Darsteller, der mich komplett geflasht hat, Karl Welunschek, ich finde, der hebt die Serie teilweise auf ein anderes Level. Habe den Credits entnommen, dass er mittlerweile verstorben ist. Welunschek spielt einen Gangsterboss und Zuhälter auf eine Weise, die mich an Christopher Walken in „True Romance“ denken ließ. Wie bist du auf den gestoßen?

Ach, das freut mich sehr, dass du das sagst! Weil ich auch extrem stolz bin auf seine Performance. Karl Welunschek war sozusagen der erste Regisseur in jungen Jahren, der mich beeindruckte. Der hat in Theatern und im Schauspielhaus inszeniert, meine Mutter war sozusagen in seinem Ensemble drin. Ich bin als 4-jähriger immer dort bei den Proben dabei gesessen und war fasziniert von seiner Präsenz, im Guten wie im Schlechten. Eingeschüchtert, gleichzeitig aber auch fasziniert. Der war als Regisseur ein richtiger Berserker, wenn man so will, einer, der mit Leib und Seele in eine Welt, in ein Projekt reingegangen ist. Von der Biografie her ein Heimkind, der es geschafft hat, mit seinem Intellekt und mit seinem Talent in den 70ern und 80er in diese Hochkultur des Wiener Theaters reinzukommen, um dort wie ein Punk alles aufzumischen. Dabei hat er sich natürlich auch ein bisschen verbrannt.

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Spannende Figur, die mir tatsächlich nicht bekannt war…

Welunschek war nie ein Angepasster, er war stetig in meiner DNA oder in meinem Denken drinnen, wurde dann viel älter und reifer. Spät haben wir zueinander gefunden. Ich fand einfach keinen Schauspieler, der den Roten angemessen verkörpern konnte. Und dann hat mich meine Frau noch mal aufmerksam gemacht auf den Karl, ihn in Erinnerung gerufen, er kam zum Casting und wir waren weggeblasen von seiner Glaubhaftigkeit. Umso trauriger, dass er sich selbst dann leider nicht sehen konnte. Er ist, während ich die Serie geschnitten habe, leider verstorben.

Ich muss das Stichwort Berserker jetzt aber aufgreifen, auf eine ernstere Weise. Ein anderer deiner Darsteller, Kida Khodr Ramadan, der ja auch in „Vier Blocks“ eine Hauptrolle spielt, ist sehr in die Medien geraten, wegen cholerischen Ausbrüchen am Set. Wie geht man damit um, wenn man da gerade dreht und solche Vorwürfe auftauchen?

Beim Dreh gab es diese Vorwürfe noch nicht in der Ausgestaltung. Es gab auch damals, bei der ersten Staffel „Vier Blocks“, diese Vorwürfe nicht in dieser Art. Grundsätzlich: Es gibt einen ganz klaren Verhaltenskodex von mir, von der Produktionsfirma und auch von Netflix, an den es sich zu halten gilt. Wobei das in keinster Weise die Vorwürfe, die aktuell genannt werden, entschuldigt. Meine Unterstützung gilt jenen, die darunter gelitten haben und jenen, die dadurch in ihrer Arbeit eingeschränkt worden sind.

Zurück zum Ensemble: Frederick Lau kennt man ja aus vielen Filmen und Serien, vor allem auch von dir. Aber es ist schön, Christoph Krutzler in so einer Hauptrolle zu sehen, wirklich ein besonderer Typ. Hast du vor, mit ihm noch mehr zu machen?

Wenn man so lange arbeitet, ist es ganz wichtig, sich mit positiven Menschen zu umgeben. Und ich schätze mich glücklich, den Christoph auch einen Freund zu nennen. Wenn der einen Raum betritt, dann wird der Raum heller, wenn der einen anlächelt, wird alles noch heller, komplizierte Situationen wickelt er ohne Stress ab. Beim Film passiert es ja oft, dass man in Zeitdruck gerät, dass es kalt ist - er lamentiert nie. Er lacht bloß. So jemanden hat man einfach wirklich gerne um sich. Ich stecke ihn auch nicht in komplett verblödelte Rollen, zeige ihn als netten Kerl, der halt gut boxen und kämpfen kann. Und guten Apfelsaft macht.

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Es gibt eine Szene, wo er betrunken eine ganze Gruppe von Gangstern verprügelt, du musst jetzt zugeben, dass dich da Filme mit Bud Spencer und Terence Hill inspirierten…

Also die Goldmünze gehört in diese lustige „Crooks“-Referenzenbox genauso rein wie Bud Spencer und Terence Hill. Der Vergleich liegt bei Freddy und Christoph auf der Hand, ich wollte eine düstere Version von den beiden Jungs haben. Das waren doch einfach die lustigsten Filme aus unserer Kindheit, die wir stundenlang schauen haben können. Ich brauche jetzt nur noch eine große Essensszene mit meinem Duo.

Unbedingt! Vielen Dank fürs Gespräch und viel Erfolg mit „Crooks“!

Ich danke dir, Christian. Ich bin immer gerne bei FM4, danke schön.

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