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Den Rapper Haftbefehl braucht 2020 eigentlich niemand mehr

Chabo, Babo, Azzlack. Haftbefehl war mal richtige deutsche Sprach-Innovation. Das ist vorbei. Auf dem neuen Album von Aykut Anhan ist die Intention eindeutig größer als das Ergebnis.

Von Felix Diewald

Mahdi Rahimi sieht das anders!

An alle Azzlackz!: Die Frage ob man Haftbefehl 2020 noch braucht, kann man einfach beantworten: Man braucht 2020 Haftbefehl mehr denn je. Genauso wie man ihn zwischen 2010-2019 gebraucht hat und die 7000 Jahre Menschheitsgeschichte davor.

Es war 2009, ich war 15 oder so und auf jeden Fall treuer Youtube-Abonnent von Aggro-TV. Auf diesem Channel hatten verschiedene Straßenrapper aus dem deutschsprachigen Raum in klassisch gefilmten One-Take-Videos die Möglichkeit, sich zu präsentieren. Eines Tages stand da dann ein 196cm großer Kurde mit einem der geilsten Rapper-Namen überhaupt: Haftbefehl. Er war als Teenager wegen eines ebensolchen aus Frankfurt nach Istanbul geflüchtet und mittlerweile wieder zurück. Neben der Backstory war da aber auch etwas ganz Besonderes in der Vortragsweise dieses jungen Rappers. Während die meisten anderen Rapper immer noch versuchten, Bushido zu kopieren, atmete Haftbefehl mehr den Patois der französischen Banlieus. Das war neu. Dazu kam ein Sprachmix, aufgeklaubt auf den Straßen des Frankfurter Bahnhofsviertels. Arabisch, französisch, B/K/S. Und natürlich Hafbtefehls kehliger „CH“-Laut, den Linguisten später „stimmlosen Frikativ“ nennen würden - ähnlich dem deutschen Wort „Bach“ oder dem französischen Wort „garçon“.

Ausnahme-Straßenrapper

Dass Haftbefehl ein Ausnahme-Straßenrapper ist, erkannte damals auch die Musikindustrie recht schnell. Universal gab ihm einige Jahre später angeblich einen Vertrag mit Konditionen, wie sie sonst nur Rammstein genießen. Haftbefehl selbst rappt über seine damalige Forderung beim Verhandeln:

„Tipp-Ex auf Rammstein-Vertrag und gib mir einfach die Kopie“

der rapper haftbefehl

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Das Feuilleton ist begeistert

Haftbefehl ist zu dieser Zeit am Höhepunkt und ganz vorne dabei. Seine Sätze wie „Chabos wissen wer der Babo ist“ werden wenig später in den normalen deutschen Sprachgebrauch aufgenommen. 2014 erscheint dann das Opus Magnum des Rappers: das Album „Russisch Roulette“. Das wird nicht nur von Hip Hop-Fans,  sondern auch vom Feuilleton in den Himmel gelobt. Deutsche Medien wie „Die Zeit“, oder die „FAZ“ zeigen sich vom Rapper Haftbefehl als „Dichter“ begeistert.

6 Jahre nix

Und dann kommt, wie so oft: nix mehr. Man hat das Gefühl, Haftbefehl hat mit seinem super Vetrag ausgesorgt und ist zufrieden mit seiner Rolle als Mentor und Label-Boss für andere Jung-Rapper. Am vergangenen Freitag ist jetzt, nach sechs Jahren, der lang erwartete Nachfolger von „Russisch Roulette“, „Das weisse Album“, erschienen. Haftbefehls Musik darauf knallt noch immer und ist auch immer noch ab 18.

Haftbefehl ist 34, für Straßenrap also steinalt

Haftbefehl ist aber mittlerweile 34, in seinem Genre, dem Straßenrap, also steinalt. Junge Teenager-Kollegen landen heutzutage mit viel Auto-Tune wenig einfallsreiche Hits auf Spotify und sind mitunter nach einigen Wochen wieder in der Versenkung verschwunden. Haftbefehl aka Aykut Anhan ist hingegen schon länger dabei.

Wo sind die Wortneuschöpfungen?

Aber was unterscheidet diesen Haftbefehl jetzt von all den anderen Shisha-Rappern? Wieso kriegt er die Titelseite im Zeit-Feuilleton und andere nicht? Der Hauptgrund ist sicherlich sein Sprachmix sowie seine lautmalerischen Innovationen in der Vortragsweise. Nur leider gibt es das am neuen Haftbefehl-Album fast nicht mehr zu hören.

Ich verdiene mehr als du

Auch inhaltlich geben Haftbefehls Texte wenig mehr her als die sinngemäße Parole „Ich hab’s geschafft.“ Immer wieder spricht er seinen super-tollen Vertrag an, mit dem er angeblich so viel verdient. In seiner Häufung wird es aber ziemlich fad und BWL-Studenten-mäßig, dauernd darüber zu rappen, dass er halt mehr verdient als die anderen, die nur 80 Cent pro verkauftem Album verdienen und er seine Einnahmen nicht durch elf teilen muss, wie zum Beispiel die 187-Strassenbande aus Hamburg.

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Spannende Retrospektive

Spannender sind da die Rückblick-Songs auf „Das weisse Album“. Auf diesen begibt sich Haftbefehl mit einem lyrischen Alter-Ego in seine Jugend um die Jahrtausend-Wende, als er im Schatten der Frankfurter Banktürme schnelles Geld verdiente.

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„Das weisse Album“

Sexismus, Antisemitusmus

Haftbefehl, auch das gehört zu seiner Geschichte, hat früher viele antisemtische Lines gehabt und von jüdischen Anwälten und Rotschild-Verschwörungstheorien-Bullshit gerappt. Dafür hat er sich mittlerweile entschuldigt. Auf dem aktuellen Werk findet sich nichts mehr dergleichen. Gerade in Zeiten, in denen Rapper wie Sido von „unterwanderten“ Medien faseln, ist dieses Statement von Haftbefehl im Straßenrap-Kontext wichtig. Sexistische Zeilen gibt es bei Haftbefehl nach wie vor. Diese finden sich jedoch vor allem in den Rückblicken, in denen er als „junger“ Haftbefehl rappt. Der erwachwsene Haftbefehl wird eher als verantwortungsvoller Familienvater vermarktet. Zum Beispiel auf „Papa war ein Rolling Stone“, gemeinsam mit Marteria:

Es fehlt die Dringlichkeit

Haftbefehl hatte nie den ganz großen Hit. Seinen Rap- und Sprachstil haben andere übernommen und sind damit erfolgreicher geworden. Wenn Haftbefehls Vertrags-Konditionen wirklich noch so gut sind, wie er sagt, dürfte ihm das aber egal sein. Das ist gut für Haftbefehl, nimmt seiner Musik aber die Dringlichkeit. Haftbefehl und sein Produzent Bazzazian wollten „das beste Album“ machen, wie sie in „1999 Part.5“ sagen. Die Intention war hier allerdings eindeutig größer als das Ergebnis.

Kein anderes Genre entwickelt sich so schnell weiter

Das Traurige, aber gleichzeitig Schöne an Rap-Musik: Kein anderes Genre hat eine vergleichbare Innovationskraft, kein anderes Genre entwickelt sich so schnell weiter und katapultiert eine gestandene Instanz wie Haftbefehl innerhalb von wenigen Jahren in die popkulturelle Bedeutungslosigkeit. Auf welchem Schulhof werden noch Wörter wie „Chabo“ verwendet?

Dieses Haftbefehl-Album, so ehrlich muss man sein, braucht im Jahr 2020 niemand mehr.

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