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Der Song zum Sonntag: Dives - „100 Times“

Am besten gleich hundertmal anhören: „100 Times“ heißt das neue Lied der Dives aus Wien.

Von Christoph Sepin

Es ist erstaunlich, mit wieviel Fingerspitzengefühl und Raffinesse die Dives aus Wien an ihren neuen Song herangegangen sind. Entstanden in Zeiten des Physical Distancing, ein paar Monate nach dem Release der Debütplatte „Teenage Years Are Over“, klingt „100 Times“ nicht nach Hommage, nach dem Zelebrieren des Sounds eines vergangenen Jahrzehnts, sondern als ob hier jemand tatsächlich mit einer Zeitmaschine in eine frühere musikalische Ära gezischt wäre und uns - zu unserer Freude - diesen strahlenden Popsong mitgebracht hätte.

Aus dem Höhepunkt einer Zeit, als populäre Musik für die Masse noch mit dem Suffix „Wave“ ausgestattet war, scheint „100 Times“ zu kommen. Und wie das klingt, so schaut das auch aus: Sorgfältig passt im Musikvideo dazu jeder Schnitt, jeder Tanzmove und jeder Blick in die Kamera und davon wieder weg. Trotz seiner Retroaffinität ist das glücklicherweise nicht altbacken oder schon zu oft gehört. Zeitlos, fällt eher zum Gesamtkonzept dieses Songs ein.

Zeitlos und trotzdem bekannt auch die erzählerischen Motive: „When you’ve tried a thousand times, a thousand eyes look down on you“, hat Atari Teenage Riots Alec Empire mal in seinem Lied „1000 Eyes“ rezitiert, „Eyes without a face, got no human grace“, sang Billy Idol Jahrzehnte davor. Und auch jetzt besingen Dives in „100 Times“ die Augen: „I checked a hundred times, within this darkness I saw their evil eyes“.

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  • Auch die geschätzten Wissenschafts- und Popjournalist*innen Thomas Kramar und Heide Rampetzreiter machen sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song ihre Gedanken.

Gemeinsam haben diese Textzeilen alle, wie sie sich mit dem Thema Menschlichkeit befassen: Wenn das nicht Gesichter sind, die entgegenblicken, sondern nur Augen, tausend Stück im einen Lied, ohne Anmut im anderen oder aus der Dunkelheit im dritten, dann wirkt das kalt, distanziert und entmenschlicht. „You hear them, every word they say. Is it something I should ignore? Am I seeing faces on the wall? Are they staying all night long?“

Wenn es zu dunkel wird, dann hilft es, ein Licht einzuschalten, das wissen auch die Dives: „Turn the lights on, all I see is nothing
“, wird da gesungen und sich den Metaphern bedient: „But I know we‘re playing hide and seek“. Man spielt verstecken, aber es reicht - mit den Monstern unterm Bett, mit den Ängsten, mit den bösen Augen, die anstarren. Dass hier trotz düsterer Lyrics ein Stück tanzbare Surfpopmusik entstanden ist, ist eine weitere Errungenschaft der Dives.

„100 Times“ gibt Raum für Interpretationen, für Auseinandersetzungen mit Komplexitäten der kalten, oft unwirtlichen Realität, lässt aber genug Freiräume übrig, das alles als Popsong zu genießen. Lyrics sind dringlich, Instrumente sind einladend - und dazwischen unbekümmerte Eloquenz und kreatives Selbstbewusstsein. Soviel davon, dass nach einem kurzen, letzten Satz, „I checked a hundred times“, das Lied zu einem plötzlichen Ende kommt. Muss man eben hundertmal anhören.

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