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Satyr Verlag

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„Der Untergang des Abendkleides“

Ella Carina Werner ist Kolumnistin bei „Titanic“. Jetzt ist ihre Textsammlung „Der Untergang des Abendkleides“ erschienen. Laut Linus Volkmann, dem lustigsten Musikkritiker Deutschlands, ist Ella Carina Werner die lustigste Kolumnistin Deutschlands. Und auf Linus ist Verlass.

Von Boris Jordan

In „Der Untergang des Abendkleides“ – der Titelkalauer ist, soviel sei verraten, das einzig Fade an diesem Buch - schreibt Ella Carina Werner nicht nur launige und witzige, oft zotige Sätze, einen nach dem anderen, sie unternimmt und erlebt auch allerlei Seltsames: Zum Beispiel fällt ihr beim Finnlandurlaub auf, dass die Finnen fanatische Atomkraftbefürworter sind, und macht sich daran, diese davon zu überzeugen, wie tödlich Atomkraft sein kann. Das geht gehörig und finnisch schief, die wortkargen Finnen wollen sich nicht umstimmen lassen, sie lieben den Tod und sind schon morgens betrunken.

„Kyllä“, rufen alle im Chor, „Apokalypsi supi!"
Was soll man da noch sagen.
Irgendwer aus der lichtlosen Tiefe des Ladens reicht mir einen Salmiakki-Schnaps.
"Hölökyn Kölökyn“, zu Deutsch: „Prost“, raunt es von allen Seiten.
„Hölökyn Kölökyn“, murmle ich matt zurück und exe den lackschwarzen Höllentrank. Und dann noch vier.
Das Mütterchen fragt, ob ich gleich noch mitkomme zu Samis
Drinkin Reika, zu Deutsch: „Samis Saufloch“.
Ich wiegle auf Englisch ab: „Nee, sonst bin ich zu betrunken. Ich muss heute Nachmittag noch Handzettel auf dem Marktplatz verteilen."
Das Mütterchen nimmt meinen Arm und sagt, man sei im Leben für nichts zu betrunken, solange man noch auf dem Boden liegen könne, ohne sich festzuhalten. Altes finnisches Sprichwort.
Dagegen lässt sich nicht viel einwenden.

Ella Carina Werner

Julia Schwendner

Ella Carina Werner

In "der Untergang des Abendkleides“ geraten wir, zusammen mit der oft grantigen, leicht midlife-krisigen Kolumnistin, in einige solche Situationen: Da ist der Karrieristen-Schulkamerad Jörn, der sich beim 20-jährigen Maturatreffen freut, sich endlich mal ideologisch mit jemandem messen zu können, der für Mindestlohn und gegen Autos ist („Nein, wie herrlich, nein, wie realitätsfern“). An ihrem Geburtstag erzählt Ella Werners Mutter von der Katastrophe („‚Nie wieder, nie nie wieder‘, habe ich gestammelt, als ich dich im Arm hielt“), die Ellas Geburt für sie war, ihre Tante weigert sich, beim Schwarzfahren Strafe zu zahlen, immerhin sei sie eine ehrbare, gebildete Frau, Augenarztgattin und pensionierte Lateinlehrerin. Dann der Schock, wenn der Frauenarzt jünger und hipper als man selber ist ... Oder: Die Mutter will endlich Feministin werden, aber der Vater darf es nicht erfahren.

„Der Untergang des Abendkleides“ von Ella Carina Werner ist im Satyr Verlag erschienen.

Die Autorin trinkt auch gerne mit ihren spitzzüngigen Jugendfreundinnen größere Mengen Erdbeersekt oder Riesling, dann zelten sie im Garten der Eltern und tun so, als wären sie in der Wildnis des Nordens, sie argumentieren, wer auf einer einsamen Insel von den anderen gegessen werden würde, oder sie beschließen, eine Deutschpunkband gründen zu wollen, und scheitern schon daran, ob sie sich nun Kommando Klitoris, Eiternde Kaiserschnittnarbe oder Schlechter Grauburgunder nennen würden und woher sie das viele Sperma nehmen sollen, mit dem der Irokesenschnitt in Form gebracht werden muss.

Vielleicht der Höhepunkt in Ella Carina Werners prallem Hamburger Stadtleben: der Augenblick, in dem drei ältere, asiatische Geschäftsfrauen sich als Sextouristinnen outen, die wegen der „samtigen“ Haut des deutschen Mannes extra einen Tag an ihre Geschäftsreise angehängt hätten, aber auch wegen seines Charakters:

„Unterwürfig“, sagte die Erste.
„Treudoof“, jubelte die Zweite.
„Ohne Reststolz“, krähte die Dritte.
Kurz, zu allen Schandtaten bereit, bestätigten alle drei, wenn ich verstünde, was sie meinten.

Subthema der Texte in „Der Untergang des Abendkleides“ ist die Frage, wie kindisch, albern spontan oder cool jemand jenseits der Dreißig, mit Mann und Job und Kind, überhaupt noch sein kann. Die Antwort gibt die Autorin selbst.

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