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Szenen aus der Graphic Novel "Die heitere Kunst der Rebellion" von Danielle de Piciotto

Danielle de Picciotto / Walde+Graf Verlag

Graphic Novel

Berliner Subkultur der 80er und 90er: „Die heitere Kunst der Rebellion“ von Danielle der Picciotto

Die deutsch-amerikanische Künstlerin Danielle de Picciotto erzählt und zeichnet in ihrer neuen Graphic-Novel vom kulturellen, sozialen und politischen Alltag Berlins, Mitte der Achtziger bis Anfang der Neunziger Jahre und richtet dabei den Fokus wieder auf die eigentlichen, bedeutenden Phänomene dieser Epoche.

Von David Pfister

„Meine Freundin Claudia Menge wohnte mit ihrer WG im 4. Stock einer 500 Quadratmeter großen Fabriketage. Die WG bestand aus fünf Personen. Als ich ankam war ich aber erstaunt, wieviel mehr Menschen ein und aus gingen. Das lag einerseits an Gaby. Der Friseuse. Die in ihrem Zimmer der Szene die Haare schnitt und andererseits an Roland Wolf dem vielseitigen Musiker und Keyboarder von Nick Cave. Ich hatte einige seiner Freunde in dem Wim-Wenders-Film gesehen und nun standen sie plötzlich vor mir.“

Szenen aus der Graphic Novel "Die heitere Kunst der Rebellion" von Danielle de Piciotto

Danielle de Picciotto / Walde+Graf Verlag

Das Berlin vor und rund um den Mauerfall genießt in der Popkultur inzwischen einen ähnlich wichtigen Status wie etwa San Francisco in den Sechzigern. Eine wichtige Protagonistin des alternativen Berlins war und ist die Musikerin, Modeschöpferin, Filmemacherin, Malerin und Autorin Danielle de Picciotto. Danielle de Picciotto war beispielsweise Sängerin der Berliner Band „Space Cowboys“, gründete mit Gudrun Gut den berühmten „Ocean Club“ oder mit Dr. Motte die „Love Parade“.

Inzwischen ist sie mit Alexander Hacke von den Einstürzende Neubauten verheiratet. Ihre letzte Graphic Novel porträtierte den kreativen Alltag des Künstlerpaares. In ihrer neuen Graphic Novel erzählt sie auf liebevolle Weise von einer ikonisierten Epoche, vom kulturellen, sozialen und politischen Alltag Berlins, Mitte der Achtziger bis Anfang der Neunziger Jahre.

Szenen aus der Graphic Novel "Die heitere Kunst der Rebellion" von Danielle de Piciotto

Danielle de Picciotto / Walde+Graf Verlag

Viele Ereignisse prägten den Blick auf die Stadt Berlin. Etwa der Tatsachen-Roman „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“, David Bowie mit seiner sogenannten „Berlin Trilogie“, drei legendäre Platten die er in Berlin aufnahm. Ebenso Nick Cave und die Bad Seeds, die ähnlich wie David Bowie Inspiration in ihrer Übersiedelung nach Berlin fanden. Oder die Einstürzenden Neubauten, die ihre Instrumente aus Abfall von Berliner Schrottplätzen bauten oder dann später die legendäre Love Parade. In der isolierten, westdeutschen Stadt, inmitten der DDR, wucherte der Underground. Schroffer New Wave und früher Industrial, neue deutsche Welle und dann später eine innovative Technokultur.

Die US-amerikanische Multimediakünstlern Danielle de Picciotto studierte in New York Musik und Kunst und stand schon in der amerikanischen Metropole mit beiden Beinen metertief in den Subkulturen. Beispielsweise erwähnt sie in ihrer neuen Graphic Novel ganz nebenbei ihre Erfahrung mit Andy Warhol. 1987 reist sie nach Berlin. Aus der zunächst nur als Besuch geplanten Reise wird rasch ihre neue Heimat. Und ebenso schnell wird sie eine wichtige Mitgestalterin der kreativen Berliner Szene.

„Also ein Grund warum ich damals in Berlin geblieben bin, waren tatsächlich die starken Frauen die ich kennengelernt habe, in der Musik- und Kunstszene. Damals war das ja sowieso sehr beliebt in Berlin relativ gender-neutral zu sein oder dass man alle vorherrschenden Vorurteile oder Normalität über Bord geschmissen hat. Das heißt, Frauen haben sich so verhalten wie Männer und Männer wie Frauen.“ Danielle de Picciotto 2021

Szenen aus der Graphic Novel "Die heitere Kunst der Rebellion" von Danielle de Piciotto

Danielle de Picciotto / Walde+Graf Verlag

Das Berlin der Achtziger und Frühneunziger ist schon längst ein eigenes Genre in der Pop- und Unterhaltungsindustrie geworden. Die harsche Legende wurde zum Konsumprodukt. Die Graphic Novel „Die Heitere Kunst der Rebellion“ von Danielle de Picciotto erledigt die längst fällige Aufgabe, den Fokus wieder auf die eigentlichen, bedeutenden Phänomene dieser Epoche zu richten.

„Es ging um Individualität, es ging darum nicht konform zu sein. Es ging darum nicht der Industrie zu folgen, sondern seine eigenen Maßstäbe aufzustellen. Ich hab das Gefühl, dass jetzt mit einer neuen Generation die so um die zwanzig sind, dass das wieder anfängt. Dass die ganze Gender-Frage viele Sachen wieder öffnet. Ich denke in dem Moment wo die ganze Gender-Diskussion offen ist, wird sowieso alles viel freier und individueller und man unterstützt sich auch mehr. Von daher fand ich die Zeit damals aber auch die Zeit heute in dieser Hinsicht interessant und inspirierend.“ Danielle de Picciotto 2021

Szenen aus der Graphic Novel "Die heitere Kunst der Rebellion" von Danielle de Piciotto

Danielle de Picciotto / Walde+Graf Verlag

Die Graphic Novel von Danielle de Picciotto „Die Heitere Kunst Der Rebellion“ ist im Walde+Graf Verlag erschienen.

Da Danielle de Picciotto gebürtige Amerikanerin ist, gelingt es ihr in ihrem Buch auch stets distanzierte Perspektiven einzunehmen. Das erinnert ein wenig an Hunter S. Thompson, beobachtend und gleichzeitig in der Geschichte lebend. Ihr Zeichnungen sind liebevoll und amüsant. Der Erzählstil verschmitzt ironisch. Gerne wird sich in der Literatur vor allem auf den Todesblues dieser Zeit zwischen Heroin und feuchten Kellerwohnungen konzentriert. Danielle de Picciotto erzählt uns aber auch viel von einem freudvollen, jugendlichen Gestaltungswillen. Von exaltierten Modeschauen, den Impulsen einer prosperierenden Drag-Szene oder dem befreienden Hedonismus des frühen Techno. Alles im Schatten des kalten Krieges und später des Mauerfalls. Und auf einmal tun sich verblüffende Parallelen zu unserer momentanen Pandemie-Krise auf.

„Ich finde tatsächlich, dass die heutige Zeit mit der Pandemie der Zeit des Mauerfalls, der Zeit des Übergangs zwischen 1989 und 1990/1991 sehr ähnlich ist. Damals wusste man genau so wenig wie heute, wie es weiter geht. Damals war der Hauptansatz total offen und flexibel zu sein. Man hat sich sofort mit der Situation auseinander gesetzt und wusste eigentlich sofort, dass man nicht mehr das Vergangene herbeiholen kann. Man konnte nicht an der Vergangenheit festhalten. Und ich glaube, dass die beste Art und Weise mit der Pandemie und der Situation umzugehen, die ist flexibel zu sein und neue Wege zu finden und sich zu überlegen was für Türen öffnet mir diese Situation.“ Danielle de Picciotto 2021

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