FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Arlo Parks

Alex Kurunis

Arlo Parks’ „Collapsed in Sunbeams“ ist empathischer Bedroom-Pop

Das Jahr hat gerade erst begonnen, doch schon erscheint ein heißer Anwärter fürs beste Album des Jahres. Es heißt „Collapsed in Sunbeams“ und ist das umwerfende Debüt der 20-jährigen Singer-Songwriterin Arlo Parks. Mit Songs über Themen wie Depressionen und Angststörungen hat die Indie-Hoffnung aus London mitten in der Pandemie einen Nerv getroffen.

von Michaela Pichler

Vielleicht ist sie einem schon einmal durch einen glücklichen Zufall in die Streamingwarteschleife gerutscht. Oder man hat von ihr über den Radiosender BBC erfahren, der sie in die renommierte „Sound of 2020“-Liste als das nächste große Ding angepriesen hat.

Mit ihrem Song „Black Dog“ landete die junge Musikerin erst kürzlich auf Platz acht der FM4-Jahrescharts, und auch Billie Eilish und Phoebe Bridgers sind schon lange Fans von Anaïs Marinho alias Arlo Parks, die mit ihren 20 Jahren schon große Wellen in der Popwelt geschlagen hat.

2020 hätte ihr Jahr werden sollen, der internationale Durchbruch sollte auf großen Bühnen und langen Tourneen zementiert werden, am Ende sollte das vielversprechende erste Album winken. Eine Rechnung, die im Seuchenjahr so leider nicht aufgehen durfte. „Ich habe mir den Beruf der Musikerin immer mit sehr viel Reisen vorgestellt, viel von der Welt sehen. Live zu spielen und viele unterschiedliche Menschen kennenzulernen!“, erzählt Arlo Parks im FM4-Interview.

Eine große Stimme der „Super Sad Generation“

In der andauernden Pandemie trifft auch Arlo Parks neue Leute hauptsächlich auf Social Media. Wenn ihr die Fans zum Beispiel erzählen, wie sehr sie sich von ihren Songs verstanden und abgeholt fühlen. Denn Arlo Parks hat mit ihrer Musik einen Nerv getroffen: Sehr persönlich spricht sie über Tabuthemen wie psychische Erkrankungen.

Damit reiht sich die Londoner Newcomerin ein in eine Generation junger Artists wie Girl in Red, Clairo und Yungblood, die offen mit Themen wie Depression, Angststörungen und Suizidgedanken umgehen.

Arlo Parks

Arlo Parks

Das Debütalbum „Collapsed in Sunbeams“ von Arlo Parks ist am 29. Jänner 2021 via Transgressive Records erschienen.

„Super Sad Generation“ heißt auch die erste EP von Arlo Parks, die 2019 erschienen ist. Damit wurde Arlo Parks zum Sprachrohr der Generation Z, die sich mit einer Welt konfrontiert sieht, die alles andere als Stabilität und Sicherheit verspricht.

Aus diesem Gefühl der unsteten Zukunft heraus ist auch das jetzt erschienene Debütalbum entsprungen. „Collapsed in Sunbeams“ lautet der poetische Albumtitel, der bereits den Nagel auf den Kopf trifft - denn zwischen all den düsteren Gedanken und der Schwere lässt Arlo Parks’ Musik auch genügend Hoffnungsschimmer durchsickern.

Entstanden ist das Album im Londoner Lockdown. „Im Lockdown bin ich meine alten Tagebücher durchgegangen und habe über all meine Erfahrungen nachgedacht, die mich zu der gemacht haben, die ich heute bin“, erzählt Arlo Parks über den Songwriting-Prozess. In nur zwei Wochen sind die neuen Lieder entstanden, gemeinsam mit dem Producer ihres Vertrauens, Gianluca Buccellati.

„Es gibt immer die Möglichkeit auf Heilung“

Mal introspektiv, dann wieder als Beobachterin schreibt Arlo Parks ihre Texte, immer mit einem Händchen fürs Storytelling. Ihre Songtexte lesen sich wie Gedichte.

Lyrik war auch in ihrer Songwriting-Entwicklung schon vor der Musik da. Arlo Parks’ literarische Vorbilder tragen große Namen: „Die Glasglocke“ zählt zu den Lieblingsbüchern der Londoner Musikerin, Sylvia Plath schleicht sich als Inspiration und Referenz in die Lieder, wie in dem Feature mit Kollegin Clairo „Eugene“ zum Beispiel. Gerade liest sie die Essay-Sammlung „Slouching Towards Bethlehem“ von Joan Didion. Arlo Parks empfiehlt außerdem „Your Silence Will Not Protect You“ von der US-amerikanischen Autorin und Menschenrechtsaktivistin Audre Lorde.

Diese Ikone des Black Feminism hat Parks auch zum Song „Hurt“ inspiriert, in dem die Musikerin vom Bewältigen eines Traumas erzählt. „Der Song beruht auf einem Zitat von Audre Lorde, das besagt, dass Schmerz sich entweder ändern oder enden wird. Deshalb wollte ich einen Song schreiben, der einen aufbaut und zu dem die Leute tanzen können. Etwas, das sie daran erinnert, dass selbst die tiefsten Momente im Leben irgendwann wieder vorbeigehen. Ein Reminder, dass es immer die Möglichkeit auf Heilung gibt.“

Nichts hält für die Ewigkeit - nicht mal das Schlechte im Leben. Was sich textlich als tröstendes Durchhalte-Mantra formiert, speist sich musikalisch aus vielem Guten. Softe RnB-Elemente, ein stolpernder Trap-Beat, das Seufzen des Saxofons und Arlo Parks stimmliche Mischung aus Spoken Word und Tenderness bilden die Grundpfeiler im Soundspektrum von „Hurt“.

Arlo Parks

Jack Bridgeland

Hoffnungsträgerin

In einem ähnlichen Duktus wie schon im Song „Hurt“ geht es auch auf der neuesten Single weiter: „Hope“ ist genau das, was der kurz-knackige Titel schon verspricht. „Der Song ist ein Reminder, dass wir durch diese schwere Zeit kommen werden und es am Ende des Tunnels Licht gibt!“, meint Arlo Parks.

Musikalisch wurde die Songwriterin von Elliott Smith, DJ Shadow, Grizzly Bear und Portishead inspiriert, textlich erzählt Parks von der bleiernen Schwere, die Betroffene fühlen, wenn sie morgens nicht aus dem Bett kommen, die Freund*innen nicht um Hilfe bitten können, weil sie sich zu sehr schämen - weil sie nicht mehr zu funktionieren scheinen.

Arlo Parks nimmt diese Person auch in dem dazugehörigen Musikvideo in den Arm und verspricht: „We all have scars / I know it’s hard / You’re not alone / You’re not alone“.

Arlo Parks’ Umgang mit dem Thema psychische Gesundheit hat nichts mit einer pseudohaften Zwangs-Positivity zu tun, wie sie in letzter Zeit genauso toxisch in die Instagram-Kanäle gespült wird wie jeder andere Trend. Es ist ehrliche Empathie, die von den Hörer*innen auch genauso aufgefasst wird. So kommentieren Fans unter den Videos und erzählen von ihrem furchtbaren dritten Lockdown und wie dieser Song mitten in der Stille zu ihnen spricht.

Damit diese Empathie gelingt, laufen bei Arlo Parks viele gute Fäden zusammen: Die perfekt produzierten Lo-Fi-Beats, die tröstenden Songzeilen, Arlo Parks warmes Timbre und unaufdringliche Bläser im Hintergrund: All das trägt bei zum einnehmenden Zauber von „Collapsed in Sunbeams“ – einer Platte, die sich anfühlt wie eine Decke im einsamen Winter, wie eine Umarmung einer alten Freundin, die man lange nicht mehr gesehen hat. Und genau darum geht es Arlo Parks in ihrer Musik, um zwischenmenschliche Zuneigung: „Ich möchte damit eine Verbindung schaffen, dass Leute davon bewegt sind, es ihren Liebsten schicken, nach einem harten Tag die Songs in der Küche oder im Schlafzimmer aufdrehen und sich darin gesehen fühlen.“

mehr Musik:

Aktuell: