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Pom Pom Squad

Sammy Ray Nelson

„Ich wollte alle Erwartungen ans Frausein killen“

Holt die Puscheln raus, Pom Pom Squad hat ein Debütalbum veröffentlicht: Auf „Death of a Cheerleader“ beerdigt die New Yorker Band westliche Schönheitsideale und veraltete Rollenbilder. Im FM4 Interview hat Songwriterin und Mastermind Mia Berrin über ihre Definition von Weiblichkeit(en) und über popkulturelle Einflüsse am Debüt gesprochen.

von Michaela Pichler

„Du musst nicht aus den USA sein, um den Archetypus eines Cheerleaders zu verstehen! Sie sind hübsche, beliebte, meist weiße, cis-hetero Frauen, die diese eine einzige kulturelle Repräsentation darstellen, wie man als junges Mädchen oder junge Frau aussehen muss!“, erzählt die Songwriterin hinter Pom Pom Squad, Mia Berrin, im Interview. Seit 2015 macht sie als Pom Pom Squad den Big Apple unsicher, zuerst noch solo, mittlerweile aber als Quartett mit Mari Alé Figeman, Shelby Keller und Alex Mercuri. In dieser Besetzung sind bereits die beiden EPs „Hate it here“ und „Ow“ entstanden, nun war der erste Debütalbum-Streich endlich so weit.

You said open up your mouth and tell me what you mean
I said „I’m gonna marry the scariest girl on the cheerleading team“

Album "Death of a Cheerleader" - Pom Pom Squad

Pom Pom Squad / City Slang

„Death of a Cheerleader“ ist das Debütalbum von Pom Pom Squad und via City Slang erschienen.

Pom Pom Squad schafft das glattpolierte Image des US-amerikanischen Cheerleaders ab und nimmt die Puscheln selbst in die Hand: Mit ihrem Bandprojekt bricht Mia Berrin mit westlichen Schönheitsidealen und weißen Normen und tritt als nicht-weiße, queere Cheerleaderin auf. Genau deshalb nennt die 23-jährige Musikerin, die als Tochter Schwarzer und puertorikanischer Eltern aufgewachsen ist, ihr erstes Album auch „Death of a Cheerleader“: "Ich kann mich gar nicht so genau erinnern, wie ich auf diesen Titel gekommen bin. Aber ich hatte diese Idee, all diese Erwartungen ans „Frausein" zu killen. Ich musste für mich Weiblichkeit neu definieren, als etwas, das nichts mit dem Male Gaze zu tun hat und das ich selbst formen konnte!“

„Death of a Cheerleader“ ist auch der Filmtitel eines College-Movies aus den 1990er Jahren. Im Deutschen wurde er mit „Viel zu schön, um zu sterben“ übersetzt - das passt auch in der Umkehrung von Pom Pom Squad wie die Faust aufs Auge. Viele Songs am Debüt sind schon vor Jahren entstanden, wie die Single „Head Cheerleader“. Als Pom Pom Squad noch ein Soloprojekt war und Mia Berrin ein Teenager, der sich zum ersten Mal in eine andere Frau verliebt hat. „Death of a Cheerleader“ ist ein Coming-Of-Age-Album, das die erste rosarote Brille genauso gut einfängt wie die Teenage Angst und das Coming Out. Die Gefühlspalette ist dabei so breit wie auch der Pom Pom Squad Sound: wütender Punk („Shame Reactions“, „Drunk Voicemail“), glänzende Pop-Momente („Be Good“) und 90er-Jahre Grunge („Crying“) stecken in den vierzehn Song.

Ein Album, viele Hommagen

„Death of a Cheerleader“ ist irgendwo auch ein Konzeptalbum: Nicht nur wegen des queeren Reclaimens der Cheerleading-Kultur, sondern vor allem aufgrund des musikalischen Spannungsbogens. Idole aus der Rrriot-Girl-Bewegung haben sich aufs Album geschlichen, Kathleen Hanna und Courtney Love hat die Pom Pom Squad Sängerin immer schon bewundert. Wird es am Album ruhiger, driftet Pom Pom Squad in ganz andere Gefilde ab – wie im Song „Be Good“, der mit Streicher- und Bläser-Ensemble an die Doowop-Ära der 50er Jahre erinnert.

„Der Song hat den Rest des Albums für mich freigeschalten. Es spielt offensichtlich mit diesem Vintage-Feeling - als ich an dem Song gearbeitet habe, habe ich ihn irgendwann zu diesem großen Motown-Orchesterstück aufgeblasen. Das hat mein Songwriting verändert!“

„Be Good“ wird mit einer kindlichen Vibraphon-Melodie eröffnet, bis ein bittersüßer Text über das blinde Verfallen gegenüber einer Person beginnt. „Be Good“ war der erste richtige Love-Song, den Pom Pom Squad geschrieben hat. Am Album verbirgt sich aber noch so ein Pop-Allrounder: Das Cover „Crimson & Clover“ von Tommy James & The Shondells hat Pom Pom Squad ursprünglich schon als Single vor einem Jahr eröffnet. Damals hat die Wahl-New-Yorkerin ihre Version zu Hause im Lockdown aufgenommen und den Song zur Feier der Pride veröffentlicht. Auf den ersten Blick ist der Originaltrack aus dem Jahr 1968 gar kein queerer Track, Mia Berrin wird allerdings auch inspiriert von Joan Jetts Coverversion aus den 80er Jahren. „Joan Jett hat damals einfach die Pronomen des Love Interests nicht geändert und hat es damit - absichtlich oder unabsichtlich - zum queeren Song gemacht.“

Letztes Jahr war es für die gerade geoutete Mia Berrin ein Wermutstropfen, nicht an einer großen Pride-Parade mit der Community teilnehmen zu können, da die Veranstaltungen durch die Pandemie auf der ganzen Welt ausfallen mussten. Heuer hat die Songschreiberin den Pride-Month zu Hause mit ihrer Freundin gefeiert - „Das war mir heuer pride genug“, erzählt sie lachend im Interview.

Der Soundtrack zur Identitätssuche

Zum Sich-zu-Hause-Verschanzen eignet sich auch „Death of a Cheerleader“ gut. Dem Album liegt neben einem ausgezeichneten Sound auch Berrins Liebe zum Kino zu Grunde. Früher wollte sie eigentlich Schauspielerin werden, hat ihre College-Ausbildung dann aber doch gegen E-Gitarre und Proberaum getauscht. Geblieben ist der Blick für die Szenerie, den sie auch fürs Ohr hörbar macht. Ein Intro und ein Outro fungieren als Vorhang, der auf und zu gezogen wird, dazwischen wechseln die diversen Songs wie Kamera-Einstellungen.

Das Debütalbum von Pom Pom Squad funktioniert als Hommage an längst vergangene Musikzeitalter und als popkulturelle Anspielung. Dazwischen kann man Mia Berrins Identitätssuche lauschen - eine turbulente Achterbahnfahrt mit Heartbreak-Hymnen, empowernden Songtexten und queeren Kampfansagen.

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