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Anna Felnhofer im Interview

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Drei Menschen, eine Therapeutin, drei Grenzüberschreitungen: Anna Felnhofers Roman „Schnittbild“

Das Romandebüt „Schnittbild“ erzählt in vier Episoden von der Begegnung dreier Menschen mit derselben Therapeutin. Im FM4 Interview spricht Anna Felnhofer über das komplexe Thema der Grenzüberschreitung im therapeutischen Kontext.

Von Alica Ouschan

FM4: In aller Kürze, worum geht es in deinem ersten Roman „Schnittbild“?

Anna Felnhofer: Es geht ihm im Prinzip um therapeutische Beziehungen, die jeweils eine gewisse Form von Grenzüberschreitung erleben. Das Ganze ist gegliedert in vier Geschichten, von denen jede Geschichte durch ein Bindeglied zusammengehalten wird. Über alle Geschichten hinweg gibt es eine Protagonistin, das ist die die Psychologin/Psychotherapeutin, die alles zusammenhält.

Buchcover "Schnittbild"

Elisabeth Danzer/Luftschacht Verlag

Anna Felnhofer arbeitet als klinische Psychologin und Forscherin an der Med-Uni in Wien.

2018 landete sie mit einem ihrer Texte auf der FM4 Wortlaut Shortlist.

Ihr Debutroman Schnittbild ist im Luftschacht Verlag erschienen.

Die Geschichte ist recht komplex, es gibt Verflechtungen, Zeitsprünge, Verbindungen, die erst später erklärt werden – warst du beim Schreiben manchmal selbst verwirrt?

Ich hatte ein recht klares Konzept von Anfang an und wusste, dass das Buch in vier Episoden gegliedert sein wird. Ich wusste auch, wann jede Episode spielen wird und hatte das Konzept im Grunde, bevor ich angefangen habe, zu schreiben. Ich hab dann jedes Kapitel nacheinander geschrieben und dann immer wieder überlegt, wo die Überschneidungen sind. Also verwirrt war ich nicht. Ich habe einfach versucht, jede Geschichte sich selbst entwickeln zu lassen und so zu schreiben, dass jede dieser vier Episoden auch für sich stehen kann.

Du bist 2018 mit einem deiner Texte auf der Shortlist des FM4 Kurzgeschichtenwettbewerbs Wortlaut gelandet – wie lange schreibst du schon Prosa?

Prosa schreibe ich eigentlich schon seit zwanzig Jahren. Es braucht eine gewisse Zeit, bis man seinen Stil entwickelt hat oder sich traut, Texte irgendwohin zu schicken. Aber seit circa zwanzig Jahren schreib’ ich, bzw. eigentlich schon als Kind oder Jugendliche. Das war eigentlich als erstes da. Erst später kam das wissenschaftliche Schreiben dazu, das wieder einen ganz anderen Ton, eine ganz andere Gangart hat.

Du arbeitest hauptberuflich als klinische Psychologin und Wissenschaftlerin an der Med-Uni Wien. Inwiefern besteht ein Zusammenhang zwischen deinem beruflichen Alltag und dem Schreiben? Wo wird dieser Zusammenhang in deinem Buch sichtbar?

Im Buch geht es um eine ganz klassische klinisch-psychologische Behandlung. Situationen, die vergleichbar sind mit der Psychotherapie. Was mich besonders inspiriert hat, zu diesem sehr schwierigen Thema oder Aspekt der Grenzüberschreitungen in der in der Psychotherapie oder in der klinisch psychologischen Behandlung, war vor allem, dass ich mich sehr früh schon im Studium mit dem Thema der Ethik auseinandergesetzt habe. Mir war klar, dass ich dieses Thema in Geschichten packen möchte. Also nicht wissenschaftlich angehen, nicht in ein Fachbuch packen, sondern literarisch verarbeiten, weil ich das Thema begreifbar machen wollte, für Menschen, die diese Erfahrungen selbst nicht gemacht haben, in einer psychotherapeutischen Situation zu sein. Das ist ja für jemanden, der damit gar nichts zu tun hat, auch komplett unvorstellbar, wie so ein Machtungleichgewicht entstehen kann: Die eine Person gibt mehr oder weniger alles von sich preis und die andere Person gar nichts. So entsteht natürlich zwangsläufig ein Ungleichgewicht, und das muss man halt gut ausbalancieren können. Das können die meisten auch sehr gut. Aber es kommt einfach zu Abhängigkeiten, es kommt zu Situationen, die für beide Seiten nicht gut sind.

Was war dir wichtig, mit deinem Buch und den verschiedenen Geschichten aufzuzeigen?

Ich wollte nicht das Thema der sexuellen Übergriffe in therapeutischen Beziehungen thematisieren, weil das etwas ist, was sehr sichtbar ist. Und wenn man an Grenzüberschreitungen oder missbräuchliche Beziehungen denkt, dann wird einem wahrscheinlich am ehesten das einfallen. Da gibt’s ja schon ein paar Werke, die sich da darum drehen zum Beispiel Irvin D. Yalom „Die rote Couch“. Ich wollte weg von diesem Thema und eher diese sehr diffizilen Überschreitungen darstellen. Die, die man, wenn man einen Blick von außen auf diese Beziehung wirft, gar nicht als so gewichtig wahrnehmen würde. Dass die Therapeutin die Stunde überzieht, um eine halbe Stunde. Das ist relativ unwesentlich, von außen betrachtet, aber kann für die Patient*in eine wahnsinnig große Bedeutung entwickeln und die Abhängigkeit, die vielleicht schon da ist, nochmal verstärken. Mir war es wichtig, diese kleinen Überschreitungen darzustellen und deren Wirkung. Das heißt nicht, dass es immer so ist, aber letztendlich zeigt der Text Möglichkeiten auf.

Anna Felnhofer liest heute Abend um 20 Uhr bei den O-Tönen im Haupthof im Museumsquartier in Wien.

Dein Buch zeigt unterschiedliche Arten auf, wie derartige Grenzüberschreitungen ausschauen können. Haben sich daraus die Figuren entwickelt?

Am Anfang habe ich mir überlegt, einfach nur eine Geschichte zu erzählen. Ich hab mich bewusst dagegen entschieden, weil ich die Bandbreite aufzeigen wollte und auch weg wollte von dem Eindruck, der dadurch entstanden wäre: „Ja, das ist halt einfach diese eine Person und die hat halt Schwierigkeiten und deswegen entsteht die Abhängigkeit.“ Ich wollte aufzeigen, dass es in verschiedenen Konstellationen zu solchen missbräuchlichen Aspekten kommen kann und dass es an der Dynamik zwischen zwei Personen liegt. Das Wichtige war mir bei der Entwicklung der Charaktere, dass sie alle auch unterschiedliche demografische Aspekte reinbringen, also ein unterschiedliches Alter, Milieu, Bildungsgrad, um einfach aufzuzeigen, dass das über alle Personen hinweg, also eigentlich jeden betreffen kann. Ich möchte aufzeigen, welche Spielarten es in diesen Konstellationen gibt, möchte aber auch niemanden verurteilen, sondern einfach zeigen, was passieren kann. Diese Protagonistin ist auch nur ein Mensch. Sie selber erlebt in ihrer privaten Welt eine Abhängigkeit und auch das war mir wichtig aufzuzeigen, dass wir alle das in unseren privaten Beziehungen haben und sich das auf unterschiedliche Arten und Weisen äußert.

„Schnittbild“ ist dein erstes Buch. Es ist fesselnd aber auch komplex zu lesen und stellenweise schwer verdaulich – wem kannst du „Schnittbild“ empfehlen?

Ich tue mir schwer, es meinen Kolleg*innen zu empfehlen. Ich merke, dass Personen, die beruflich damit zu tun haben, also die entweder Psychotherapeut*innen sind oder klinische Psycholog*innen, das natürlich ganz anders lesen als jemand, der vielleicht nur aus persönlicher Erfahrung auf Seiten der Patient*in gesessen ist. Aber sonst? Jedem, der sich für subtile, diffizile Grenzüberschreitungen in menschlichen Beziehungen interessiert und damit auseinandersetzen möchte. Und Geduld hat.

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